01.11.15
Heute ist
der Tag nach Halloween. Und so fühlt er sich auch an. Der Tag nach
Halloween eben. Sollte an Halloween nicht alles enden?
Nein, offensichtlich
nicht. Denn er ist immer noch da, als er um 9:54 aufwacht, obwohl er
erst um 5:54 ins Bett gekommen ist. Nachdem er wieder einmal gesündigt
hat. Gott verzeihe es ihm. Aber darüber werde ich heute nicht reden. Das
muss erst von meiner Anwältin genehmigt werden - und das kann dauern.
Das hat sie selbst gesagt. So eine Scheidung dauert fast so lang wie
eine Ehe. Und kostet doppelt so viel Kraft. Aber es ist ja auch nicht so
viel Schlimmes passiert. Was soll schon passiert sein?! Er hat
niemanden ermordet (zumindest noch nicht), es ist auch keiner
vergewaltigt worden (leider?!) und noch nicht mal eine auch nur allzu
kleine Körperverletzung hat sich zugetragen (er wollte zwar, aber das
passende Opfer hat sich leider nicht ergeben). Aber trotzdem könnte das
Geschehene den mittlerweile gefühlte zwei Jahrhundert dauernden
Scheidungsprozess negativ beeinflussen und sie wissen ja: Anwälte sind
da Spaßbremsen, wenn es dazu kommt, öffentlich über seine kleinen und
vielleicht doch etwa größeren Verfehlungen zu reden. Und bis die das
genehmigt, das kann dauern. Nach der Scheidung vielleicht. Nach der
Scheidung wird alles besser! Das hat er sich fest vorgenommen. Wenn die
Scheidung erst mal durch ist, werde ich ein ganz neuer Mensch! Ich werde
mein verkkorkstes Leben komplett umdrehen. Ich werde meine Traumfrau
finden - und sie natürlich nicht ehelichen (ich bin doch nicht blöd,
zweimal den gleichen Fehler zu machen) -, ich werde in meinem Traumjob
arbeiten (obwohl ich noch immer keine Ahnung habe, welcher das denn sein
könnte) und ich werde endlich glücklich sein (you bet!). Kurzum: Nach
der Scheidung wird alles schlagartig besser. Oder auch nicht. Da werde
ich Ihnen von allen Schandtaten erzählen, die ich während der
Trennungszeit begangen habe, von allen Gesetzen, die ich gebrochen habe.
Dann bin ich frei. Vogelfrei. Aber im Moment eben noch nicht. Deswegen
muss das warten und wir bewahren Stillschweigen. Offiziell ist nichts
passiert. Ich kam um zwei Uhr nachts brav von der Arbeit nach Hause und
bin dann nicht wieder bis fünf rausgegangen. Nein, das bin ich nicht.
Pssst! Um um 5 Uhr, nachdem ich brav meine Mails gecheckt habe und
natürlich nichts anderes Unanständiges oder moralisch Verwerfliches
getan habe,bin ich natürlich auch nicht erst um 5:54 ins Bett gegangen.
Schwamm drüber! Wir bauen alle Scheiße. Wir dürfen uns nur nicht dabei
erwischen lassen. Und erst recht nicht, es der Welt in einem Blog
mitteilen. Ich hoffe, man (oder besser gesagt: Ex-Frau) hat mich nicht
dabei erwischt und anosnsten schweige ich wie ein Grab.
Was mich
zu diesem komischen stillen Feiertag bringt, der heute ist. Nein, nicht
Tag der Toten, obwohl ich mich so fühle als wär ich gestorben und nicht
wieder aufgestanden. Kein Wunder, bei den paar Stunden schlaf, die ich
nach gestern Nacht hatte. Meine Beine tun immer noch weh. Vom vielen
Umherlaufen, nicht von irgendwas anderem - was denken Sie denn wieder?
Aber dazu sage ich ohne meine Anwältin nichts - und die liegt hier glaub
ich nicht neben mir im Bett.
Mal nachgucken...
Ne, keine
Spur von Frau ******. Puh, da bin ich aber beruigt. Dann dürfte die mich
nachher gar nicht mehr vertreten, wär befangen. Nach einer Nacht mit
mir wär sie das bestimmt. Auch meine Finger tun weh und sind blutig.
Nein, das ist kein Halloween-Kunstblut. Das ist echtes. Meins. Keine
Ahnung von wem sonst noch. Nein, nur Spaß. Ich schwöre! Bei Gott! Und
den sieben Geißlein. Das ist nur meins. Das ist so eine üble Angwohnheit
von mir. Wenn ich nervös bin oder Scheiße gebaut habe, knabbere ich mir
die Finger wund. die Nagelbetten, wie meine Mutter zu sagen pflegte.
Ja, meine Betten sind heute morgen weiß Gott (ich schwöre) nicht ganz in
bester Ordnung. Aber das passt doch zum Tag nach Halloween. Mit dem
Blut anderer an deinen Händen aufzuwachen (nein, immer noch nur Spaß!).
Nicht zu wissen, was gestern passiert ist. Mit einem trockenen Kater.
Nein: Es ist eigentlich ganz harmlos - und ganz anders. Das mache ich
schon ewig lange. Immer nur solange bis Blut kommt. Dann höre ich
natürlich direkt auf. Das können Sie mir glauben! Wirklich! Das ist so
eine Art Ritzen für Arme. Für arme Depressive. Die reichen können sich
natürlich saubere Rasierklingen leisten, während die Armen immer noch an
ihren Fingern rumknabbern, bis das Blut nur so spritzt. Ich lecke kurz
an dem am übelsten aussehenden Finger (der rechte Daumen) und mache dann
den Fernseher an.
Wie immer
gucke ich Fußball. Erst die Zusammenfassungen der Samstagsspiele bei
Bundesliga Pur, dann den Doppelpass. Nicht, weil mich die Spiele oder
der Fußball-Talk im Doppelpass oder gar die illustren Gäste so
interessieren, sondern weil das eine der wenigen Routinen ist, die ich
aus meiner gescheiterten Ehe in mein mindestens genauso gescheitertes
Single-Dasein hinüberretten konnte. Wenn ich erst mal richtig geschieden
bin, wird das alles natürlich besser. Heute laufen sogar direkt die
Bayern. Bestimmt, weil die das Freitagsspiel hatten. Oder weil sie
ausnahmsweise mal 0:0 gespielt haben. Aber das kann ich heute nicht. Das
geht heute nicht. Ich muss raus. Sonst sterbe ich. Sonst geh ich
kaputt. Sonst werd ich bekloppt. Hier vor dem Fernseher zu liegen und
Fußball zu gucken, während überall um mich herum die Welt zusammenbricht
und sich letzte Nacht für einen Moment lang, nur einen Moment lang, die
Tür zur Hölle einen Spaltbreit geöffnet hat. Aber davon kann und darf
ich ja nichts erzählen. Nur so viel: There's a fine line between legal and illegal, love and hate, life and death.Das
geht gar nicht. Und obwohl ich mit viel Glück gute vier Stunden unruhig
geschlafen habe und mir die Beine immer noch vom vielen nächtlichen
Laufen wehtun, verschwende ich keine Zeit. Werfe mich in meine
Sport-Kluft. Ziehe meine schwarze No-Name-Trainingshose an, ein altes
England-Trikot, das noch keine oder nur wenige Stockflecken hat und zur
Krönung meine Tarnjacke. Nein, kein hippes Flecktarn oder gar diese
russischen Tarnjacken für das ewige Eis. Nein, nur schnödes Graubraun.
Braun, das mal grau war odergrau, das mal braun war. Die Jacke natürlich
nicht zugeknöfpt, damit das England-Trikot halb zu sehen ist - ich bin
ja kein kompletter Assi. Es ist ja schließlich stiller Feiertag.
Totensonntag oder irgendsowas. Wenigstens ist das Trikot gewaschen.
Trotzdem schäme ich mich ein bisschen für meine "Sportkluft" und
versuche, so schnell wie möglich in den Wald zu kommen. Dort bin ich
sicher vor allem. Keine aufdringlichen Blicke, keine Gedankan an Nadine
und María. Dort kann ich vergessen.
Vergessen,
dass meine Finger, die ich noch tiefer in die Seitentaschen der
Tarnjacke grabe, immer noch zu bluten scheinen. Wie bei Jesus. Ein
Wunder. Oder diesen Marienstatuen, die leiden und leiden. Das ganze
Leben unter der lange vollzogenen Trennung zu leiden scheinen. Es
geschehen noch Zeichen und Wunder. Wunder gibt es immer wieder... Zum
Beispiel jetzt, hier neben diesem unscheinbaren Gartenzaun in
Bonn-Ippendorf (das genau so ist, wie es klingt: Einfamilienhäuser,
Luxus-Blocks mit Eisentor und mittendrin meine Bleibe). Nein, es ist
nicht Nadine, die voller Reue splitterfasernackt aus den Büchen
gesprungen kommt, um mich mit ihrem kleinen südamerikanischen, dichten,
schwarzen Büschlein zu vergewaltigen. Schön wär's! Wovon träumst du
nachts?!
Genau davon...
...eigentlich.
Ok.
Nein, sie
ist weder gekommen, um mich zu vergewaltigen noch um mich zu ermorden.
Sie ist gar nicht da. Aber da liegt trotzdem was auf dem Boden, das
meine Aufmerksamkeit erregt. Ein Twix! Zuerst denke ich, es ist nur die
Verpackung, aber als ich es dann mit dem Fuß anstupse, merke ich, dass
die Packung noch intakt ist, dass da noch was drin ist. Zuerst bin ich
skeptisch (nicht, dass das vergiftet ist...oder angeknabbert...oder
beides), doch dann hebe ich die silbrig-goldene Packung auf
und
sehe, dass sie noch intakt ist. Nicht, dass das kleine Löcher drin
sind...durch die jemand etwas hineingespritzt hat um fetten, gierigen,
liebeshungrigen Depressiven wie mir ins Jenseits zu helfen. Aber das ist
nichts und auch das Verfallsdatum stimmt. 02.10.12, hier steht's ganz
klar. Nein, nur ein Witz. 2016. Also stecke ich das Twix als kleine
Wegzehrung ein, obwohl mir noch immer nicht ganz geheuer ist, dass es in
der Tasche meinen blutenden Fingern gefährlich nahe kommt. Einmal gucke
ich mich noch kurz um, aber mich hat keiner gesehen. Die haben alle
Besseres zu tun, als Sonntagsmorgens hier rumzugammeln. Die haben
Familie und Frauen, oder eben Besseres zu tun.
Vielleicht
ist das ja auch ein Zeichen. Eine Aufmunterung von Gott, wenn ich schon
durch die Hölle gehen muss. Oh, Gott, lassen Sie mich doch damit in
Ruhe. Keine Zeichen mehr. Nicht noch eins dieser Zeichen, denke ich und
esse die beiden Twix keine 20 Schritte weiter zur Sicherheit auf. Es
schmeckt gut - hey, dann musst du heute wenigstens nicht verhungern,
selbst wenn du verblutest. Du bist jetzt fast am Waldrand. Du bist fast
am Ziel, dort, wo du alle Sorgen vergessen wirst, wenn du nur weit und
lange genug läufst.
So weit kannst du gar nicht laufen...
Doch!
Kannst du! Du machst das heute wie Eminem. Der hat das damals auch so
gemacht, um sich von seiner Drogen- bzw. Frauenabhängigkeit zu befreien.
Da ist der glaub ich ganze Marathone (heißt das so?) gelaufen, nur um
zu vergessen.Seine Mutter und seine Frau zu vergessen. Hey, wie bei dir!
Wenn das bei dem geklappt hat...geht das bei dir bestimmt auch 100%
schief. Sieht man ja. Es ist ja nicht so, dass Eminem in jedem ernst
gemeinten Lied immer noch unter einen Mutterkomplex leidet, den er
nahtlos auf seine spätere Frau übertragen hat, während er seine Tochter
vergöttert. Kommt dir das nicht irgendwoher bekannt vor? Es ist ja nicht
so, dass Eminem in schöner Regelmäßigkeit von Mutter und Frau in
Prozesse verwickelt wird, die er dann mit viel Geld aus der Welt
schafft.
Aber du
gibst nicht auf! Du hast noch eine Idee, die dich bestimmt wieder aus
dem Loch ziehen wird, in dem sich dein Leben befindet. Das ist die Idee.
Die Lösung all deiner Sorgen. Ich werde mich selber konditionieren! Wie
der pawlowsche Hund. Das ist es! Jedes Mal, wenn ich heute an Nadine
denken muss, werde ich zehn Liegestützen machen. Perfekt! Es gibt nur
einen kleinen Haken: Entweder siehst du dann heute Abend aus wie Popeye
oder du liegst spätestens nach einer halben Stunde halbtot unterm Tisch,
deine Arme dein gebrochenes Herz umklammernd, dass nach der gestrigen
Nacht der Toten endgültig den Geist aufgegeben hat. Aber der Trick bei
diesen Ideen ist ja. Du fängst erst heute Abend damit an. Und bis dahin
hast du sie eh entweder vergessen oder verdrängt. Aber vielleicht würde
das wirklich funktionieren. Jedes Mal, wenn du an sie denken musst, 10
Liegestützen. Irgendwann bist du sie dann so satt, dass dein Gehirn
automatisch die Gedanken an sie ausschaltet. Später. Erstmal ist der
Waldlauf dran.
Du
gehst unter den ersten auf beiden Seiten der Straße durch, schließt die
Augen. Das ist wie Hypnose, wenn man nur lang genug läuft. Als wär man
high. Ja, high von Nadine. Du machst die Augen wieder auf. Wir wollen ja
nicht, dass zu der Hypnose irgendeine andere "-ose" dazukommt, so
tollpatschig wie du bist.
Und wenn
Sie jetzt denken: Das klingt doch alles ganz lustig. Dem sein Leben ist
doch gar nicht so schlimm, wie er immer tut, der irrt ein bisschen durch
den Wald mit blutigen Fingern, aber eigentlich geht es dem gar nicht so
schlecht, dann lassen Sie sich das Folgende gesagt sein: Das sind alles
nur psychische Abwehrmechanismen. Damit ich mir meiner Realität nicht
bewusst werde. Damit mache ich Ihnen und mir etwas vor. Eigentlich
fühlte ich mich kein bisschen belustigt, sondern trage schon seit
Monaten dieses stumpfe, dumpfe Gefühl der Enttäuschung mit mir rum, das
mich nicht zur Ruhe kommen lässt. Das ist doch nicht die ganze Wahrheit,
was ich Ihnen hier erzähle. Die ganze Wahrheit würde meine
Scheidungsanwältin doch nie erlauben. Und nie verstehen. Und nicht nur
sie. Wer kann die Wahrheit schon vertragen?! Die Wahrheit über unser
alltägliches Leben und Sterben. Wer kann die Scheiß-Wahrheit schon
vertragen?! Wer will sie schon hören?!
Ich will
sie ja selbst vergessen, die momentane Wahrheit meiner Existenz in
diesem Land. Dass ich kaum noch Kontrolle über irgendwelche
Erziehungsfragen habe, da meine Frau absichtlich jegliche Kommunikation
mit mir blockiert. Vielleicht sogar aus ihrer Sicht berechtigterweise,
aber ob das fair gegenüber meiner 16-jährigen Tochter ist, steht auf
einem anderen Blatt. Dass ich nicht weiß, was sie bei ihr am Wochenende
macht, was ihr von ihr erlaubt wird, weil es - wie schon erwähnt keinen
Austausch zwischen uns gibt. Noch nicht mal über unsere Tochter. Dass
alles nur gemacht wird, egal was die Konsequenzen sind. Alles wird von
ihr verfügt. Sie treibt sich auf gleich mehreren dubiosen Single-Seiten
rum, auf denen sie das Facebook-Foto postet, auf dem sie direkt neben
ihrer Tochter zu sehen ist. Wie verzweifelt kann man eigentlich sein?
Oder steckt da etwas anderes dahinter. Ich stehe nur daneben und muss
zusehen, wie das alles passiert. Mit mir und mit meiner Tochter. Die
Anwältin hilft auch nicht, da die Mühlen der Justiz so langsam mahlen,
dass da gar nichts zu machen ist. Das sind unhaltbare Zustände. Klar,
dass ich da manchmal einfach die Augen verschließen will und wie in
Trance durch den Wald laufen will, nur um die Wahrheit nicht zu sehen:
Dass ich nach Strich und Faden belogen, betrogen und verarscht werde.
Vielleicht schon seit Jahren. Ungestraft. Ohne Konsequenzen. Und was
kann ich Legales dagegen machen? Nichts! Und Illegales. Genau das will
ja Nadine. Dass bei mir der Geduldsfaden reißt. Darauf spekuliert sie
ja. Wie früher bei unseren zahlreichen Streits. Und wer ist/war immer
der Dumme? Ich! Sie nie. Das macht mich so wütend, aber was soll ich
denn machen? Außer mich mit meiner Ohnmacht, meiner Wut zu arrangieren?
Und totmüde wie Falschgeld durch den Wald zu laufen. Einsam und alleine.
Ohne große Unterstützung meiner Familie, meines Vaters (der genauso
einsilbig ist wie Nadine) und meiner Schwester, die nicht nur in Florida
wohnt, sondern auch meine E-Mails nur sporadisch beantwortet. Aber
trotzdem stelle ich mich dem schwersten Kampf meines Lebens. So ist das
eben. Ich stehe meinem Leben schon viel zu lange ohnmächig gegenüber.
Laufe durch den Wald meines Lebens und sehe ihn noch nicht mal richtig
vor lauter Bäumen. Ich weiß, dass man im Leben nicht alles und jeden
kontrollieren kann, aber das Leben kann auch nicht nur aus totaler
Ohnmacht bestehen.
Also
läufst du, um wenigstens die Kontrolle über deinen eigenen Körper
zurückzugewinnen. Das, was du kontrollieren kannst, musst du auch
kontrollieren. Außerdem ist es gar nicht so schlecht, sonntags immer
weiter geradeaus durch den Wald zu laufen. Immerhin scheint eine kalte
Sonne, die mich sogar blendet.
So
schließt er die Augen. Er will einfach nur weg, am besten in die Sonne,
die Sonne des Südens. Aber er kann nicht. María muss zuerst ihre Schule
fertig machen. Was denkt eigentlich Nadine, wie lange ich noch hier
wäre, wenn María nicht wär. Aber er ist eben ein guter Vater, versucht
das Beste aus einer Scheiß-Situation zu machen, ohne dass es ihm jemand
dankt. Ganz allein. Allein gegen die Mafia. Aber selbst diese Sonne ist
gut. Das erhöht das Glücksgefühl, setzt Glückshormone im Körper frei.
Angeblich. Und die kann er weiß Gott gebrauchen.
Einfach
nur laufen. Immer weiter. Vielleicht sogar ein bisschen joggen. Ein paar
Meter. An nichts denken. Und kaum denkt er das, ist sie wieder da, in
seinem Kopf, er wird sie einfach nicht los, seine Ex. Sie ist wie ein
Parasit, der sich auf Dauer in seinem Hirn eingerichtet hat. Aber
wenigstens ist er nicht zu Hause. Eingesperrt in seinen vier Wänden, die
sich noch immer nicht wie seine vier Wäde anfühlen und dies
wahrscheinlich auch nie tun werden. Einfach vergessen können, das wär's.
Aber dafür ist sein Kopf nicht gemacht, denn der rattert selbst hier
draußen pausenlos weiter, wie eine Maschine, die sich pausenlos im Kreis
dreht, obwohl er geradeaus geht. Immer weiter, solange dies eben nötig
ist. Nur um am Ende den gleichen Weg wieder zurückzugehen, ein bisschen
kaputter, aber nicht befreiter. Vielleicht kann er ja so seinem Kopf
wenigstens für ein paar Augenblicke entkommen.
Keine
Ahnung, wo dieser Weg hinführt. Keine Ahnung, wo diese Scheiße hinführt,
aber der Wald und die Bäume haben schon was Beruhigendes. All diese
Bäume, monoton und doch undruchdringbar. Wie es wohl wäre, einfach im
Wald zu verschwinden. Aber du hast ja Angst vor Zecken. Sogar ein Pferd
kommt dir rechts auf dem Pferdeweg entgegen. Mit einem Mädchen. Es sind
fast immer Mädchen. Wie deine Tochter, die du heute nicht sehen wirst.
Weil es nicht dein Tag ist. Dieser Spalier aus dunklen Tannen auf beiden
Seiten, der Himmel schon wieder grau, die Sonnenstrahlen fast ganz
verschwunden. Zwei weitere Pferde links, die schwer atmen und schon
schneller sind. Man hört genau das Tier in ihnen. Du spürst es auch, das
Tier in dir. Du gehst immer weiter, aber dein Gehirn hört nicht auf zu
rattern.
Für sie
muss es auch frustrierend sein. Genau: Das ist es!Auch für sie ist die
momentane Situation frustrierend. Unbefriedigend. Vielleicht sogar
sexuell undbefriedigend. Wenn sie sich bei all diesen Single-Börsen
anmelden. Aber vielleicht macht sie das auch um rumzuficken. Was weißt
du denn schon? Nichts. Du kannst nur Punkte sammeln, die für sie
frustrierend sind.Oder es zumindest sein müssten.So genau weißt du es
denn auch nicht. Wer weiß schon, was sie denkt?! Also, was ist für sie
frustrierend:
1) Sie sieht María nicht so oft, wie sie es gerne wollte.
2) Dadurch
verliert sie in gewisser Weise ihr Gesicht vor ihrer Familie. Aber da
sie gar nicht mit ihrer Familie zusammenwohnt - wie du gestern
rausgefunden hast (fragen Sie mich bitte nicht wie) - ist das doch nicht
so schlimm, wie du gedacht hast.
3) Sie weiß, dass du sie in gewisser Weise in der Hand hast. Weil sie schwarz arbeitet, was sie immer schon getan hat.
4) Sie weiß nicht, was du willst oder vorhast.
Eigentlich sind das doch schon ein paar Punkte, die für dich sprechen.
Und so läufst du ein bisschen leichter weiter.
Joggst sogar ein paar Meter.
Aber das Problem ist: Du liebst sie immer noch. Und das weiß sie und nutzt es gnadenlos aus.
Egal:
Heute laufe ich so lange, bis ich tot umfalle oder nicht mehr an sie
denken muss. Viel Spaß! Und auf einmal kommen mir diese komischen
Gedanken.