28.11.15
Wenn deine Mutter jetzt
einen Unfall hätte, dann wär ich alleinerziehend, sagst du zu María, kurz bevor
du sie in das Wochenende bei ihrer Mutter verabschiedest.
Oder denkst du es nur?
Sie verzieht keine Miene.
Also musst du es nur denken. Du würdest ihr doch nie sowas sagen. Und sie würde
nie so kühl, so gleichgültig reagieren.
Oder doch?
Du redest oder denkst
weiter: Wenn sie einen kleinen Unfall hätte. Mein Vater hat mir gezeigt, wie
man die Bremsleitungen an einem Auto durchtrennt (hat er gar nicht!). Das ist
ganz einfach (du würdest die im Leben nicht finden!). Also fahr in den nächsten
Tagen nicht mit deiner Mutter. Du guckst sie an. Natürlich denkst du das nur.
Oder? Das ist das Einzige, was funktioniert. Alles andere ist nämlich Quatsch.
Mit den Bananen im Auspuff und so. Das hat er mir gesagt.
Wenn deiner Mutter
irgendetwas passiert.
Oder durch einen
Terroranschlag, sagt deine Tochter. Sagt sie das gerade wirklich? Oder denkt
sie das nur?
Genau, ein Anschlag auf dem
Weihnachtsmarkt. Sie sitzt gerade mit ihrem neuen Stecher da und dann passiert
es. Mitten in die Glühweinatmosphäre platzt eine Bombe. Das denkst du jetzt
aber ganz sicher nur. Das dürftest du ja gar nicht sagen. Sowas sagt man nicht!
Sag das nicht, denk das denkt, geb einfach Ruh…
Dann wär ich
alleinerziehend.
Einen Herzinfarkt wird sie
ja wohl kaum bekommen. Bei dem Blutdruck einer Toten, den sie hat. Bei dem fast
nicht vorhandenen Puls. Und somit auch keinen Schlaganfall. Leider.
Aber wie wär’s…
…mit einem…
…ich trau mich das gar nicht
auszusprechen, María. Tu ich vielleicht ja auch gar nicht.
Wie ihre Schwester.
…wenn sie einen Gehirntumor…
Das wünscht man seinem
schlimmsten Feind nicht.
Aber im Moment ist sie nicht
nur deine schlimmste Feindin, sie ist sogar noch mehr.
Nämlich deine EX. Mit
großen X.
Ihre Schwester hat es ja
vorgemacht. Wurde für ihre Sünden bestraft.
Denkt er. Dieser schlimme,
schlimme Mann, dieser schlimme, schlimme Mensch, mit dem ich – der Erzähler
dieser Geschichte – mich in keinster Weise identifiziere. Dem ich mit
zunehmender Abneigung, ja Ekel zuhöre.
Wie er mit seiner Tochter
redet. Oder nur laut denkt. Oder nur denkt?
Und obwohl ich seine Gedanken lesen kann, distanziere ich mich aufs
Entschiedenste von ihnen. Von einer derartigen Form der Selbstjustiz…
…das wäre nur ausgleichende
Gerechtigkeit, denkt er.
Sowas darf man noch nicht
mal denken. Geschweige denn sagen.
Sowas tut man nicht, hat
deine Mutter früher immer gesagt.
Sowas tut man einfach nicht.
Was sollen denn die Nachbarn
denken…
Die Leute…
Alle…
Zum Glück wissen die nicht, was du denkst…!
***
Auf dem Weg zum Bus merkst
du, dass dieses Gefühl immer noch da ist. Dieses Gefühl, dass du sie immer noch
liebst, dass du immer noch mit ihr zusammen sein willst, dass du – wenn sie
heute zu dir zurückkommen würde – sie auch zurücknehmen würdest. Wie viele
Monate sind es mittlerweile? Das hört nie auf, glaub ich. Erst, wenn du in
Spanien bist. Wenn du weg bist. Du willst ja weg, aber du hast ja deine Tochter
noch hier. Was soll sie denn machen, allein mit ihrer notgeilen Mutter. Die mit
43 alle Single-Seiten, die auch nur im Entferntesten auf ihren typ zutreffen,
terrorisiert. Außerdem würde es di das Herz brechen, sie einfach so
zurückzulassen. Sie ist echt süß. Eine gute Tochter. Gut in der Schule, ruhig,
alles. Zu ruhig, haha. Nein, Quatsch.
Obwohl du weg willst und
woanders sicherlich glücklicher wärst.
Außerdem ist noch nichts
geregelt. Scheidung, alles. Alles ist noch offen. Zum Kotzen. Das ist echt zum
Kotzen. Aber sie kann den totalen Krieg nur hinauszögern, nicht verhindern. Das
wird sie auch irgendwann begreifen. Begreifen müssen, egal wie verbohrt sie
ist.
***
In der Bahn hörst du eine
bekannte Stimme. Einen bekannten Akzent. Scheiße! Du traust dich gar nicht in
die Richtung der kleinen Frau zu gucken, die
schräg gegenüber von dir ohne Pause Spanisch brabbelt, lacht und weiter
quasselt, lacht und
leck mich am Arsch
du würdest diesen Akzent selbst
in der Hölle wiedererkennen (da gibt‘s bestimmt auch genug von denen1). Du
schielst verstohlen zu ihr rüber. Wie sie lacht. Und redet.
Permanent. Wie ein
Wasserfall. Das können die gut. Mehr aber auch nicht. Lachen und labern. Leute
zulabern, bis sie fast vollständig eingelullt sind. Bis sie vergessen, wer sie
sind. Ehemänner.
blöde Kuh blöde **************
nicht, dass das nachher noch
eine Freundin von Nadine ist
leck mich am Arsch
eigentlich hast du diesen
Akzent ziemlich lang nicht mehr gehört. In Bus und Bahn.
Komisch. Früher
dauernd und seit du dich getrennt hast, nicht mehr so oft. Komisch.
Und dann fängt der Typ auch
noch an. Dass er bei der überhaupt zu Wort kommt, grenzt schon an ein Wunder.
Aber sein Akzent ist tatsächlich noch schlimmer: Genau wie der von Rafael, dem
Schwager von Nadine. Der ihr damals auf Schritt und Tritt gefolgt ist, wie ein
kleines Hündchen. Mit umso größeren Schwanz, wie er die bei jeder Gelegenheit
aufs Brot schmieren musste. Große Menschen haben einen Kleinen und kleine
Menschen einen Großen. Fick dich, du Arschloch. Du hättest ihn damals schon
ungespitzt in den Boden rammen sollen, aber du hast es aus Rücksicht auf Nadine
nicht gemacht. Und jetzt geht es nicht mehr. Aber wer weiß: Man sieht sich
immer zweimal im Leben.
Du denkst undenkbare Sachen,
denkst du Qualen für dieses „nette“ Pärchen aus, die du nicht zu Papier bringen
kannst, ohne von Google komplett gesperrt zu werden. Wie hieß das noch mal in
Argentinien. La parilla? Der Grill. Genau.
Das ham die die Frauen und Männer während der Pinochet-Diktatur an einen
Eisengrill angeschlossen. An bestimmten Stellen. Oh, wenn ich doch diese Macht
hätte.
Dann kommt sie dir ganz nah, die Kleine. Du siehst das sie keine Freundin von Nadine ist, zuminest keine der üblichen. Der üblichen Verdächtigen. Sie ist eigentlich noch richtig jung, hat eine kleine Stupsnase. Noch ganz jung. Fast so wie deine Tochter. Eure Tochter. Unschuldig.
Aber trotz allem bleibt dieses Gefühl. Dass du...
...dass sie dir besser nicht im Dunkeln begegnen...