Freitag, 6. November 2015

Common People

06.11.15


Es ist 00:12 an einem Freitagabend. Oder Samstagmorgen - ganz wie man es sehen will. Das Glas ist entweder halb leer oder halb leer. Ich bin 38. Im Fernsehen läuft die millionste Folge von Wallander. Auf dem PC läuft Disco 2000. Nicht, dass ich Schweden-Krimis einmal mochte, aber dieser Wallander wird selbst durch den Tod des Autors keinen Deut besser. Oder doch: Denn irgendwann gibt es keine neuen Wallander-Folgen mehr und dann muss ich mir das nicht mehr antun. Und was mache ich dann? Let's all meet up in the year 2000... Da war die Welt noch in Ordnung, im Jahr 2000. Zumindest halbwegs. Ich war noch jung, hatte eine Frau und vielleicht sogar noch eine Freundin (zuindest für die ersten fünf Monate!), hatte Action, war noch Student und noch kein Sklave der Service-Industrie.

Was hab ich nur falsch gemacht? Warum ist aus meinem Leben nichts geworden? Alles, möchte ich antworten, aber das stimmt nicht ganz. Ich habe eine hübsche Tochter, die gut in der Schule ist und die ich 3,5 Tage die Woche sehe. Wenn meine Ex mir nicht dazwischenfunkt. Ich habe eine gute Anwältin, die viel Geld kostet und auch nichts gegen die Machenschaften meiner EXE ausrichten kann. Ich habe kein Leben, keine Freunde, keine Freude, keinen Bock mehr auf Deutschland, keine gute Arbeit und ich bin noch nicht mal ein richtiger Mensch. Ich bin nur eine Fiktion, ein Konstrukt eines Autors, der noch nicht mal die Kreativität besitzt, mich in einen anderen Menschen zu verwandeln. Einen Menschen, der Samstagmorgen um 00:21 nicht Wallander oder noch schlimmer Magnum guckt, sondern etwas macht, etwas unternimmt, die Welt in den Arsch poppt. Aber ich bin nur ein unkreatives Produkt, eine fade literarische Figur eines Mannes, der genauso am Ende seines Lateins ist wie ich.

...you wanna sleep with common people like me.

Wann ist mir und meinem Erschaffer eigentlich das Leben entgleitet. Als ich diese Frau geheiratet hab? Als ich mich für diese Frau anstatt für die vermeintlich größere Liebe meines Lebens entschieden hab? Ach, ist ja auch egal. Es ist müßig, mir darüber Gedanken zu machen. Die restlichen 30 Jahre - mehr können es bei meinem derzeitigen Lebenswandel auch nicht mehr sein - krieg ich auch noch rum. Und danach ist eh alles zu Ende.

Vielleicht sollte ich noch mal rüber in die Küche schlüpfen und mir noch ein Eis aus dem Gefrierfach holen. Ersatzbefriedigungen. Das wäre dann mein viertes Eis an diesem Abend. Ob mein Schöpfer auch so viel Eis frisst. Aber vielleicht lebt er auch das Leben, das ich nicht lebe. Aber egal: 3 Eis und 500 Gramm Minifrikadellen. Sehen Sie, es werden ganz sicher keine 30 Jahre mehr und im Moment kann ich dazu nur eins sagen: zum Glück. Wo meine noch neben mir in diesem, unseren gemeinsamen Bett lag, war das okay, nachts vor dem Coputer zu liegen und diesen Schwedenscheiß zu gucken. Auch nur gerade so, aber es war okay. Jetzt ist es nur noch traurig. Scheiße, ich hatte die Flasche Cola vergessen. Aber bestimmt sind die Frikadellen schlimmer gewesen. Man weiß ja heutzutage gar nicht mehr, was krebserregender ist: verarbeitetes Fleisch oder Cola light. Oder das Leben selbst. Oder die vielen Kohlenhydrate in dem Eis, der ganze Zucker. Begehen wir nicht alle jeden Tag ein bisschen mehr Selbstmord, indem wir einfach nur leben? Plötzlich meldet sich mein Handy mit zwei kurz aufeinanderfolgenden Tönen zu Wort. Nein, es versucht keiner, mich zu so später Stunde noch zu erreichen. Nein, das ist es nicht. That's not it at all. Es ist nur der Scheiß-Akku, dieses Scheiß-Billighandy, das wir unserer Tochter vor vielen Jahren gekauft haben. Er ist leer, wie immer nach ein paar Stunden. Genau wie mein Akku. Der ist auch leer. Nur anders als den Handy-Akku bekomme ich ihn nicht aufgeladen. Vielleicht sollte ich mal meine Hand in die Steckdose stecken, vielleicht würde das helfen. Aber sicher bin ich mir da nicht. Vielleicht würde das auch meiner Frisur ein bisschen Leben einhauchen. In letzterZeit fühle mich nicht nur immer mehr wie Anton Chigurh, ich sehe auch so aus. Schön wär's. Wenn ich Anton Chigurh wär, hätte ich diese Probleme nicht. Dann würde ich meine EXE mit dem Bolzenschussgerät besuchen. Einmal. Aber ich glaube, dazu wär noch nicht mal Anton Chigurh fähig. Warum zeigen die den eigentlich nie mit einer Frau in dem Film.

Weil er dann nicht mehr als eiskalter Killer rüberkommen würde, deshalb. Wenn er eine Frau hätte...

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Scheiße, Mann. Jetzt ist es schon 00:58. Immer noch Samstagmorgen oder Freitagnacht. Egal, wie man es sieht ist das Glas auf jeden Fall halb leer. Auf dem Computer läuft Adele mit Hello und im Fernsehen ist sogar Wallander zu Ende. Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Jetzt kann ich mich entscheiden. Endlich! Ich kann Magnum gucken und langsam einschlafen (oder auch nicht). Oder ich kann das Nachtmagazin gucken und was auch immer danach auf dem Ersten läuft. Oder ich kann einen langweiligen Softporno auf YouTube gucken und versuchen, mich in den Schlaf zu wichsen. Für YouPorn oder PornHub habe ich schon lange nicht mehr die cojones. Boah, ist mein Leben aufregend.


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Weißt du, wie das ist? Weißt du das? Du kümmerst dich so lange um deine Tochter. Hilfst ihr mit den Schulsachen, mit allem. Nur um sie dann nur noch 3 ½ Tage in der Woche sehen zu dürfen. Ich frage mich echt, ob du weißt, wie das ist? Wie sich das anfühlt? Weißt du das? Oder besser gesagt: Weißt du es vielleicht doch, aber interessiert es dich auch? Ich würde dich gerne persönlich fragen, aber du beantwortest meine SMS und würdest eh nur wieder mit mir spielen. Mit meinen Gefühlen. Mit Menschen spielt man nicht. Das Leben ist kein Spiel, auch wenn du das denkst.

Oder weißt du ganz genau, wie das ist und machst es extra? Um mich von meiner Tochter zu entfremden? Um mir das einzige zu nehmen, was mir in Deutschland noch was bedeutet? Meine Tochter, die ich aufwachsen gesehen habe. Die ich liebe. Ist sie auch nur ein Spielball für dich, den du wegwirfst sobald du erreicht hast, was du willst?

Oder habe ich selbst meine Tochter verloren, durch meine aufbrausende Art, durch meine Art, mit der Trennung umzugehen? Ich weiß es nicht, aber ich wollte diese Trennung nicht. Ich wäre bis zum Ende geblieben. Weil für mich die Familie, meine kleine Familie eine Bedeutung hat. Oder weil ich zu feige war? Nein. Ich wollte das alles nicht.