In
der ersten Szene des Traumes sind wir im Schlafzimmer. Ich weiß nicht, ob es
unser Schlafzimmer ist, aber wir sind da. Auf jeden Fall. Im Schlafzimmer, mit
María, die kleiner ist als jetzt (okay, das ist ja kein Wunder, jetzt ist sie
ja schließlich schon erwachsen, wie sollte sie denn da nicht kleiner sein). Ich
schreie Nadine an, María sagt nichts, wie immer. Ich schreie
Sie
will gehen, zu diesem Haus, ich glaube in Ippendorf, am Ende der Ippendorfer
Allee. Dort, wo es zum Kreuzberg geht, und runter in die Stadt. Am Scheideweg sozusagen,
zwischen dem Leiden Christi und der seelenlosen, viel zu kleinen, deutschen
Großstadt. Ich weiß nicht, warum sie da hin will, wir hatten eigentlich früher
nie etwas mit Ippendorf zu tun, ich weiß nur noch, dass wir einmal den Berg
hoch gelaufen sind. Zusammen. Wie immer. Immer am Laufen. Am Davonlaufen? Vor
uns, vor unserer Vergangenheit, die mich uns sie hier einholte, in der
Bundesstadt, die wir beide nicht verlassen konnten, nie verlassen konnten, die
wir beide hassen und hassten. Sie tritt in den Eingang dieses Hauses. Mit
María, die wieder klein ist, sogar glaub ich noch im Kinderwagen sitzt. Und ich
reiße sie jäh rum, versuche es zumindest, ziehe fast an ihrer dicken, weichen Winterjacke,
sage:
Tú
eres una hija de mierda. Una mujer de mierda. Dejándonos. Una mujer de mierda.
UNA MUJER DE MIERDA, DE MIERDA, ESCUACHAS, DE MIERDA…
fast
ohnmächtig schreie ich es ihr hinterher, immer wieder, im Traum, aber sie lässt
sich nicht aufhalten, verlässt mich dann doch, im Traum, geht in dieses Haus,
dieses vermeintlich normale, ältere Einfamilienhaus in der Ippendorfer Allee.
Zum Glück ist es nur ein
Traum, denke ich, als ich aufwache. Ein Alptraum zwar, aber im Endeffekt nur
ein Traum. Doch dann denke ich: Du musst sie endlich raus lassen, diese Wut,
vielleicht hilft sie dir ja weiter. Diese falsche „Nettigkeit“ tut dies auf
keinen Fall, steht dir nur im Weg. Immer, wenn deine Tochter sagt: „Der ist
nett.“ Oder: „Die ist nett“, dann zweifelst du das direkt an. Das hat schon
seinen Grund. Lass ihn raus, den bösen Larson, der irgendwo in dir begraben
ist, aber nicht tot, noch lange nicht tot. Lebendig begraben sozusagen, im Sarg
deines Körpers, deiner Psyche. Der Teufel, der Böse, ohne den du hier nicht
überleben wirst, in diesem Höllenloch…
Und ich frage mich noch was:
Wurde es ihr zu heiß und hat sie mich deshalb verlassen? Weil ich die Maske
erkannt habe? Hinter der sich was verbirgt? Nichts? Ihr wahres Ich? Dein wahres
Ich? Dein böses Ich?
Andererseits: Wie weit bist du denn mit deiner
vordergründig „netten“, zuvorkommenden Art gekommen im Leben. Hierhin
Genau: Das meine ich ja
Aber wie ist man böse?
Komm schon, du kannst das
auch, wenn du willst. Lass ihn raus, den Deutschen, zeig ihnen, dass du es
kannst…
nicht umsonst habt ihr zwei
Weltkriege verloren. Nur mit Nettigkeit und „Mr. Nice Guy“ geht das nicht
vielleicht liest du Zafón ja
nicht umsonst im Moment das
erste spanische Buch seit langem
vielleicht will dir Gott ja was damit sagen: mit dem armen, guten
Schreiberling, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht, der sich am Ende als
Hirngespinst herausstellen könnte und der in Wirklichkeit nur die andere, vom
ihm abgespaltene, böse Seite seiner Persönlichkeit sein könnte
vielleicht hat das alles
einen Sinn, eine Bedeutung; und selbst wenn nicht: dann schadet ein bisschen
böse bestimmt nicht
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