Larson steht in der Spielhalle hinter der Theke und spült Tassen. Plötzlich kommt dieser Typ in die
Halle. Der Künstler... Das sagt eigentlich schon alles. Aber der ist wirklich ein
Künstler. Der hat ein Atelier gleich hier in der Nähe, in diesem Hinterhof. Er
hat ihn sogar mal dahin eingeladen, hat gesagt, er sei die ganze Nacht wach und
er könne kommen, wann er wolle; aber dann, am Ende, ist er doch nicht hingegangen.
Obwohl er am Anfang nicht abgeneigt war. Das war kurz nach der Trennung. Wo er
noch Redebedarf hatte. Akuten Redebedarf. Hat er den nicht immer noch?! Ja,
aber jetzt ist das anderer Redebedarf als damals, direkt nach der Trennung. Damals,
wo er sich von dir zwei Euro geliehen hat, die er erst vor kurzem, fast ein
Jahr später zurückgezahlt hat.
„Du schuldest mir noch zwei Euro! Ich vergesse nie. Ich bin
da wie ein Elefant...“, hast du zu ihm gesagt und er hat die zwei Euro tatsächlich
direkt beglichen. Hättest du nicht gedacht.
Und heute ist er wieder
hier. Eigentlich findest du ihn nett. Er ist so ein bisschen verplant (genau
wie du), er mag die Kunst (genau wie du) und er versucht anders zu leben (genau
wie du). In Deutschland versucht er anders zu leben! Das alleine ist schon...
Er setzt sich an die Theke und sagt: "Hallo".
Er setzt sich an die Theke und sagt: "Hallo".
„Hi. Willst du einen
Kaffee?“
Er guckt dich mit großen, ein
bisschen entgeisterten Augen an, sagt: „Ich hab kein Geld
„Ist egal. Ich geb dir so
einen. Kein Problem.“
„Ok.“
„Einen Kaffee oder einen
Cappuccino? Hab ich auch.“
„Einen Cappuccino dann.“
Er stellt die Tasse vor ihm
auf die Theke.
„…und was macht die Kunst?
Bist du schon berühmt? Bist du schon Millionär?“
„Nichts. Nein, ich bin eine
Wohnung am suchen. Ich muss aus meinem Atelier raus. Eigentlich weiß ich das
schon seit drei Jahren. Und dass ich raus muss schon seit letztem Jahr. Aber
jetzt Ende dieses Monats muss ich definitiv raus.“
„Scheiße! Du wohnst ja auch
da, ne?!“
„Ja, ich bin da gemeldet.
Die haben mir schon das Gas und den Strom abgestellt.“
Erst jetzt bemerkt er
seine zerzausten Haare. Die hat er eigentlich immer schon so gehabt, deswegen
sind die mir nie aufgefallen. Aber jetzt, wo er das sagt…
„Ich wasche mich im Moment
auch nur kalt, mit einem Gartenschlauch…“
Ach, du Scheiße.
„Ach, du Scheiße.“
„Ja, und man findet nichts.
Wenn man nicht viel verdient…“
„Wem sagst du das?!“ Er hat
auch gerade erst eine Wohnung gefunden. In Meckenheim! Auch außerhalb. „Das ist
die Hölle…im Moment...ich bin ja auch gerade erst umgezogen, nach Meckenheim...“
„Meckenheim?“
„Ja. Warum probierst du es
nicht mal außerhalb? Im Rhein-Sieg-Kreis.
In Bonn ist echt schlimm, im Moment...“
„Kann ich nicht. Das haben
die mir gesagt, dann krieg ich kein Hartz-IV mehr
„Scheiße. Weil in Bonn, da
ist alles sowas von teuer…“
„Ich weiß. Aber
wahrscheinlich wollen die, dass ich erst auf der Straße lande…dann müssen die
mir gar nichts mehr zahlen. Wenn ich auf der Straße bin, kriege ich kein Arbeitslosengeld
mehr
Scheiße, Mann.
„Was soll ich dazu sagen?!
Ich weiß, was du meinst. In Bonn ist das echt die Hölle…mit den Wohnungen.“
„…und jeder Medizintourist
kriegt einfach so eine Wohnung. Die schnappen uns die ganzen Wohnungen weg! Und
ich steh dann auf der Straße
Plötzlich regt er sich richtig auf,
wird richtig sauer.
„Ja, kannste nix machen“,
sagt Larson hinter der Theke, ein bisschen leiser. Denn direkt hinter ihm spielt James, der Ägypter
an dem Automaten (natürlich ist "James" nur ein Spitzname, nicht sein echter Name - aber wenn er so genannt werden will...). Und der lebt von besagten Medizintouristen aus dem arabischen
Raum. Er nimmt den Finger vor den Mund, um ihm anzudeuten, dass er ein bisschen leiser sein
soll. Denn die Halle ist gerade voll von Medizintouristen aus dem arabischen Raum!
Aus Dubai, Saudi Arabien, Katar, you name it…
Aber das macht ihn nur noch
wütender.
„Das ist so eine Scheiße
hier Jeder Flüchtling kriegt eine Wohnung, kriegt Geld, kriegt alles…“, sagt er
jetzt richtig laut. Schreit er fast, so verzweifelt ist er aufgrund des
Verlustes seines geliebten Ateliers. In dem er wahrscheinlich schon jahrelang lebt und arbeitet. Jahrzehntelang. Was ist schon ein Künstler ohne Atelier?! Ein
Künstler auf der Straße?! „Ich bin allein erziehender Vater...", fängt er plötzlich wieder an, "...meine Frau
verlässt mich 2009, weil sie einen Millionär heiratet und jetzt bin ich fast
auf der Straße. Ich hab zwar diesen Dozenten-Job an der Uni, aber das ist nur
einmal die Woche..."
Scheiße.
Er schüttelt den Kopf. „Wo
kommst du denn her? Ich meine ursprünglich?“ Erst scheint er ihn nicht zu
verstehen, dann kapiert er es doch. Denn obwohl er fast perfekt Deutsch
spricht, hat er immer noch diesen leichten Akzent. Wie so ein Tscheche oder so.
Oder ein Pole. Keine Ahnung. Er würde auf Osteuropa tippen.
„Ich? Ich komme aus
Finnland. Bin schon seit 1981 hier in
Bonn. Bin gut integriert, spreche die Sprache, alles! 36 Jahre bin ich jetzt
hier! Aber uns Europäer, die machen die platt. Die interessieren die nicht.
Aber die Flüchtlinge, schon, die reichen Araber. Das ist so Scheiße
Er schreit jetzt fast, brüllt es jetzt fast raus, viel zu laut, so dass Larson diskret
versucht ihn zu beruhigen. So dass keiner was mitbekommt... Wenn James das hört, wird er nachher noch
sauer. Und sein „reicher“, „arabischer“ Kumpel und „Medizintourist“ hat heute
hier schon so viel Geld verballert. Das würde locker reichen, um dem ein neues
Atelier anzumieten. Was hier am Tag umgesetzt wird… Das ist schon obszön
Larson nimmt den Finger vor
den Mund, deutet ihm mit einer Geste an, dass er leiser reden soll. „Pssst!“
Aber er denkt gar nicht
dran. Also sagt er: „Und nach Finnland kannst du nicht zurück? Das ist doch in
relativ gutes Land. Ein wohlhabendes Land. Hast du da keine Verwandten…?“
„Nein, leb du mal da, mit
acht Monaten Winter
Da wird man depressiv, das
stimmt… Das hat er schon öfter über die skandinavischen Länder gehört. Wenn es
da nicht richtig hell wird, im Winter
Er zeigt aufs Fenster nach
draußen, wo der Himmel mal wieder grau ist. „Hat man doch hier auch. Acht
Monate Winter!“ Er lacht, aber er bleibt ernst, sagt:
„Minus 42 Grad! Minus 42 Grad wird es
da
„Ok. Wo kommst du denn her?
Aus dem Norden? Aus dem hohen Norden? Oder aus dem Süden?“
„Ne, aus der Hauptstadt. Aus
Helsinki.“
„Ach so.“
„Ich war ja auf dem Amt, hab
das denen erklärt “, fängt er wieder
an, wieder viel zu laut. „Im Februar habe ich
den Antrag gestellt! Im Februar! Und jetzt teilen die mir mit, dass ich da noch
was brauche. Noch das und das und das
„Ich weiß..."
Ich weiß, wie das ist...
Ich weiß, wie das ist...
„Die sind wie die Maschinen.
Die interessiert das gar nicht
„Die verdienen ja genug! Die
haben ihre Rente ja sicher…“
„Wie die Roboter. Denen ist
das scheißegal“, sagt er jetzt ganz wütend, ganz laut.
Ist halt Deutschland, will Larson ihm
sagen, um ihn wenigstens ein bisschen zu beruhigen, aber er kommt gar nicht dazu, denn der Finne legt schon wieder los.
„Wie die Roboter, keine
Gefühle! Niemand hier hat mehr Gefühle! Wie die Maschinen! Ob man obdachlos
wird ist denen egal! Das wollen die auch! Dann müssen die gar nichts mehr
zahlen , motzt er rum.
…
„Und jeder Scheiß-Araber,
jeder Scheiß-Flüchtling, jeder Medizin-Tourist kommt hier hin und kriegt eine
Wohnung“, schreit er durch die ganze Halle.
Jetzt ist es James zu viel.
„Leise da!“, sagt er bestimmt über die Schulter, zischt er fast.
„Aber ist doch wahr...“, sagt der
Finne, dessen Namen er noch nicht mal kennt. Bis heute wusste er noch nicht
mal, dass der Finne ist.
„Wir Europäer sind nur noch
Dreck, wir sind Scheiße für die…die haben keine Gefühle, denen ist das
scheißegal. Müll. Die entsorgen uns
Er steht auf, versucht
hastig seine Jacke vom Barstuhl zu ziehen, was ihm am Anfang nicht gelingt.
Fast reißt er sogar den Hocker noch um. „Ich geh ja schon. Keine Gefühle! Wie
die Maschinen!“
Die Araber gucken schon. Gucken schon rüber zur Theke. Der Dünne kommt sogar schon aus dem hinteren Teil der Halle…
Die Araber gucken schon. Gucken schon rüber zur Theke. Der Dünne kommt sogar schon aus dem hinteren Teil der Halle…
Aber der Finne ist schon
weg. Geht an ihm vorbei und geht hinten aus der Halle raus. In Richtung des
Ateliers, das im bald nicht mehr gehören wird. In dem er eine Zeit lang sogar mit
seinem Sohn gewohnt hat. Der auch Künstler ist. Wie er.
„Was hat der?“, fragt James
kurz danach mit einem verdutzten Blick.
„Weiß nicht. Der muss aus
seinem Atelier raus. Weißt du doch, der wohnt da auch. Da hinten.“ Er zeigt
auf den Hinterausgang.
„Ja, weiß ich.“
Und dann sagt er: „Ah...“ Mit einem mitfühlenden Blick. So als würde er ihn wirklich bedauern.
„Da wohnt der ja schon seit
Jahren…“
„Der Arme…“
Und obwohl der Finne seiner
Meinung nach Recht hat, absolut Recht hat, mit dem, was er sagt, ist ihm sein
Auftritt peinlich.
Warum ist uns eigentlich das
Leid anderer, das so offensichtliche, so offensichtlich zur Schau gestellte
Leid anderer immer so peinlich? Warum können wir nicht einfach versuchen, ihnen
zu helfen, ihr Leben ein bisschen besser zu machen
"Der ist Finne!", sagst du zu James. "Musst du dir mal vorstellen! Ein Finne! Wenn die Finnen schon durchdrehen