Mittwoch, 22. Februar 2017

Eier












Ich gehe ins Bad, will eigentlich pissen, entscheide mich dann aber (unbewusst) anders. Gehe wieder zurück ins Schlafzimmer, stelle mich vor das Fenster und streife mir die rote Blümchenshorts samt Unterhose runter und kratze mich am Penis. An dieser Schnittstelle zwischen Eichel und Schaft. Wo das Kratzen doppelt so viel Spaß macht wie an allen anderen Stellen des Körpers. Mindestens. Einen Moment lang gucke ich mich schuldig um, so als könnte mich jemand sehen, dabei ist die untere Hälfte des Fensters abgeklebt. Wer soll dich schon sehen wollen…? Ich kratze immer weiter, kratze und rieche abwechselnd an meinem Finger. Da ist er wieder, mein alter Geruch! Den ich schon verloren geglaubt hatte, inmitten all dieser neuen Gerüche. Dieser Geruch nach drei Tage nicht geduscht. Wie geil ist das denn?! Kratze zwischen den Beinen, unter den Eiern. Da, wo die Haut immer ein bisschen feucht ist, zwischen Arsch und Eiern. Dann wieder am Penis. Der ist noch ein bisschen wund. Egal. Genau an der Stelle, wo ich kratze. Was das Gefühl noch intensiviert, dieses Gefühl zwischen Schmerz und Erregung, Kribbeln

Ich kratze mich vor dem Fenster an den Eiern und sage laut Nadine. Fast schon verzweifelt: 

„Nadine!“


„Nadine

Im Fernsehen läuft Fußball: Champions League. Unten ohne lege ich mich ins Bett und überlege, ob ich mir noch einen Porno reinziehen soll. Dann hab ich aber irgendwie keinen Bock mehr. Das würde den Moment zerstören. Das würde den Augenblick nur unnötig in den Schmutz ziehen

„Nadine



Am Ende muss ich doch noch pissen












Dienstag, 21. Februar 2017

Roma 2012 III











Ich wusste gar nicht, was ich hier suchte, hier draußen in der lauen römischen Nacht. Ein Hemd an. Auf alle Eventualitäten vorbereitet. Oder doch nicht? Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht hatte ich auch einfach nur meine Shorts an – vielleicht sogar meine Strandshorts. Die mit den roten Blümchen. Keine Ahnung, ob ich die damals schon hatte. Oder die weiße mit den roten Streifen. Die war zumindest aus Stoff. Nicht wie die Blümchenshorts, die mehr eine Badehose als eine richtige kurze Hose war. Ja, vielleicht hatte ich die ja damals noch, diese weiße Shorts mit den verschiedenen vertikalen Streifen. Die mich immer ein bisschen an ein Geschirrhandtuch aus der Küche erinnert hatte. Oder hatte ich mir gar vor meinem nächtlichen Gefängnisausbruch eine lange Hose angezogen? Wie hätte ich das vor Nadine rechtfertigen sollen. Wenn sie mich beim Wiederkommen erwischt hätte. Morgens um vier, am Ende meines Freigangs. Als es in Rom schon fast wieder hell wurde. Obwohl: Das lange Hemd hätte ich ihr genauso wenig erklären können. Denn das war eins der eleganteren Sorte. Die ich in Deutschland nicht zur Arbeit anzog. Aber in den Urlaub mitnahm. Keine Ahnung warum. Um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Wie in den 50ern und 60ern, wo die Leute noch elegant, in Anzug und Krawatte geflogen sind. Und nicht wie heute in Stranduniform und Sandalen mit Tennissocken. Keine Ahnung warum. Mein Urlaub war etwas Besonderes. Der Urlaub mit meiner Familie. Diese fast schon magisch anmutenden zwei Wochen im Jahr. Wenn es überhaupt zwei Wochen waren, die ich, die wir uns leisteten. Keine Ahnung. Das war das Hemd mit den verschlungenen Rosen auf schwarzem Stoff, das war richtig elegant. Das, wo man immer aufpassen musste, dass nicht auf einmal der Knopf in der Mitte, in der Mitte des Bauches aufging. Und man auf einmal unfreiwillig bauchfrei spazieren ging. Mit Guckloch. Aus dem bei genauerem Hinsehen schwarzbraune Brust und Bauchhaare quollen. Aber in Italien waren die vielleicht gar nicht so ungewöhnlich… Die platzenden Knöpfe wahrscheinlich aber schon, denn hier im Süden waren die Leute deutlich schlanker als in Mittel- oder Nordeuropa. Nicht so viel Frustessen, mehr Strandtage und eine mediterrane Diät trugen bestimmt zu dieser sprichwörtlichen bella figura der italienischen Männer und Frauen bei. So viel Schwabbel-Wabbel wie bei mir und bei meinen Landsleuten sah man hier auf jeden Fall nicht.

Ich könnte Sie jetzt belügen, lieber Leser. Ich könnte jetzt sagen, dass, kaum war ich aus der Tür getreten, mir eine leicht oder gar mittelschwer angeschwipste Italienerin (eine ragazza bella) in Feierlaune und mit nymphomanischen Neigungen in die Arme lief und sagte: „Wohin des Weges, dicker, aber durchaus gutaussehender Deutscher, ein tedesco bello, also. Und ich ganz verdutzt ihr entgegenstammelte: 

"No sé. Dunno."  

Sie mich mit ihren dünnen, aber energiegeladenen Armen ins Schlepptau nahm und in eine Bar im Zentrum (intra muris) entführte, wo sie mich dann einmal auf der Toilette und später noch zweimal bei sich zu Hause vergewaltigte. Wobei sie zu Hause so viel italienisches  temperamento zeigte, dass ihre beiden nicht minder geilen Freundinnen aufwachten und einfach mitmachten. Mich in Ketten legten und von vorne und von hinten, von unten und von oben und sogar von der Seite traktierten, bis sie Hunger bekamen und sich ein gefülltes Croissant und einen Espresso to go an der Ecke holten, nur um  dann gestärkt mich aufs Neue zu missbrauchen, während meine Frau schon auf der Wache die verschmitzt schmunzelnden carabinieri auf mich hetzte. Und ich dann nach fünf Tagen glücklich freigelassen werde. Mich gegen meine Freilassung mit Händen und Füßen wehre, mir die Handschellen selbst wieder anlege. Aber die mir überdrüssigen Italienerinnen setzten mich einfach so vor die Tür. In die Sonne. Ließen mich nicht mehr rein, egal wie sehr ich von außen gegen die Tür hämmerte. Beendeten jäh meine Fantasie...











Sonntag, 19. Februar 2017

Die Wahrheit, guapa
















Ich will jetzt die Wahrheit wissen, denkt er, als er das Buch von Nicholas Sparks liest. At First Sight. Ich muss sie einfach wissen, um weiterzumachen. Damit mein Leben weitergeht. Nicht das hier. Dieser Schwebe-Zustand. Ich muss endlich abschließen können. Mit allem. Mit all dem Scheiß. Mit Nadine, mit Bonn, mit Deutschland. Die ganze Scheiße hinter mich bringen.

Ich komme nach Hause, aber bleibe nicht lange. Das ist eh nicht mehr mein Zuhause. Nicht mehr so richtig. Zumindest fühlt es sich nicht mehr so an. Ich ziehe mir die Tarnjacke an, stecke die schwarze Wollmütze in die rechte Seitentasche. Wie gut, dass es Winter ist. Da fällt das nicht so auf, das mit der Mütze. Im Sommer ist das, was ich vorhabe wesentlich schwerer.

Es ist schon dunkel, als ich aus der Tür nach draußen trete. Leise das Tor hinter mir schließe. Draußen ist es am Pissen. Wie passend, denkt er, als er sich auf den Weg zur Bushaltestelle macht, die Mütze in der Jackentasche…

Er will jetzt endlich wissen, was los ist. Warum sie ihn wirklich verlassen hat. Nicht diesen Scheiß von wegen „wenn unsere Liebe einmal zerbrochen ist, wie ein Zweig, dann kann man die nicht mehr kitten“ hören. Fast mit einem Lächeln auf der Lippe. Genervt. Gleichgültig. Immer gleichgültig. Das ist niemals die ganze Geschichte. Aber es gibt nur einen Weg herauszufinden, was wirklich los ist. Los war.

Warum hat María auch ihren Schlüssel hier vergessen? Diesen Schlüssel, den er gefunden hat. Auf dem Glastisch. Auf ihrem alten Glastisch. Sie hat auch nicht mehr danach gefragt. Komisch... Von ihm war der Schlüssel auf jeden Fall nicht. Also muss er ja von ihr gewesen sein. Und warum will sie ihn dann nicht zurückhaben? Von wem denn sonst? Vielleicht passt er ja, der Schlüssel den er jetzt in der Hosentasche hat. Schon seit mehr als einer Woche mit sich rumträgt. Befingert, während er in der Dunkelheit auf den Bus wartet. Den Bus in die Stadt. Er will ja nur Klarheit, will endlich Klarheit.

Nicht diesen Scheiß von wegen „Kann dir doch egal sein“ (ob die einen Neuen hat). „Was macht das für einen Unterschied, jetzt noch?“

Für mich einen großen, denkt er, auf sein Handy schauend. An diesem kalten, dunklen Sonntagabend.

Ya no hay guapos, denkt er, kurz bevor der Bus endlich um die Ecke kommt. Ya no hay guapos…









Glühwürmchen












Ich weiß noch, damals, als wir noch in Bonn-Hardtberg gewohnt haben (nein, nicht auf dem Brüser Berg, sondern in Finkenhof!), da haben wir im Sommer abends immer zusammen unsere Runde gedreht (mit wem drehst du eigentlich jetzt „unsere“, äh, „deine“ Runde?!). Hoch zum Verteidigungsministerium, am Hardtberg-Bad vorbei, durch den Wald um das Ministerium herum, an der Tennis- und der Basketshalle vorbei und wieder zurück. Zu uns nach Hause. So drei-, viermal in der Woche bestimmt. Um den Tag sacken zu lassen und ein bisschen Sport zu treiben (das dauerte schon immer so ne Stunde oder so). sich zu unterhalten. Sie über ihre señoras, ihre „Frauen“, bei denen sie putzte und ich über meine Schüler, meine Bücher und manchmal auch meine Filme. Manchmal, mitten im Sommer, wenn sie eins ihrer kurzen Röckchen trug, schweiften wir auch ein bisschen vom Weg ab und befriedigten unsere niederen Bedürfnisse entweder hinter dem Edeka neben der Basketshalle oder auf den Holzbänken neben dem großen Fußballplatz am Verteidigungsministerium. Ich hatte da so meinen Fimmel, was Sex im Freien anging – da konnte ich stundenlang in der Gegend rumlaufen und nach einem geeigneten Ort für unsere kleine sexuelle „Notdurft“ suchen. Aber nicht an diesem Tag. Glaub ich zumindest. An diesem Tag waren wir ganz gesittet in den Sonnenuntergang gelaufen. Und als wir auf der anderen Seite des Waldes wieder rauskamen, war es schon dunkel. Links des Weges lag die breite Umgehungsstraße, die am Verteidigungsministerium vorbeiführte und rechts war der Wald. Und auf einmal, ich weiß gar nicht mehr, wer sie zuerst bemerkte, sagte Nadine oder ich: „Guck mal da! Was ist das?“ Und wir guckten in den dunklen Wald hinein. Und dann sahen wir es. Ich hatte so was noch nie gesehen. Am Anfang war es auch gar nicht so leicht, etwas zu erkennen. Sie zu sehen. Aber dann, wenn man anhielt, innehielt und sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah man diese kleinen Lichtchen, diese kleinen Lichtpunkte zwischen den Ästen, Zweigen und Blättern. Überall. Da waren überall Glühwürmchen.

„Guck mal, da! Und da!“

„¡Mira! ¡Allí!“

„¡Qué bonito!“

„Sí, ¿¡no?!“

Und wir blieben stehen und sahen in der Dunkelheit den Glühwürmchen zu, wie sie aus und angingen. Sich bewegten. Fasziniert. Selbst Nadine. Die damals schon schwer zu faszinieren war. (Die Zeit, wo sie mir mit ihren kurzen, dünnen, in hautengen Leggings gekleideten Beinchen entgegengesprungen kam, waren lang vorbei.) Selbst ich, der sich schon damals für fast nichts mehr faszinieren konnte (außer vielleicht den Fick hinter Edeka im Sommer). Die hatten irgendwas, diese kleinen Lichtchen im Wald. Am Wegesrand. Irgendwie magisch. So als gäbe es eine andere Welt… Etwas anderes…

Wir machten sogar glaub ich ein Foto, das aber nicht gelang – diese Momente lassen sich nicht so einfach einfangen, lassen sich nicht so einfach in Pixel bannen. Sind nach dem Sommer viel zu schnell vorbei. Waren glücklich. Vielleicht nahm ich sogar auf dem Rückweg ihre Hand, ihre kleine, dünne Hand, küsste sie auf die Wange, tätschelte ihr auf den Arsch, packte ihr zwischen die Beine von hinten.

„Larson!“

„¡Mira, las lucecitas, Ahí!

„¡Mira, tu culo! ¡Sexy! Es que tienes el culo sexy…“

“Yo soy flaca…”

„¿¡Bonito, eh, las lucecitas?!“


Glühwürmchen habe ich seitdem nicht mehr gesehen. Sternchen schon, an ganz vielen Tagen, aber keine Glühwürmchen. Seit diesem, wie ich glaube unserem letzten Sommer. Es war uns nicht vergönnt, die Glühwürmchen im nächsten Jahr wiederzusehen.

Keine Glühwürmchen mehr. Es wäre auch nicht mehr dasselbe.



Heute, wo ich bei Nicholas Sparks etwas über die fireflies, also den Glühwürmchen, die  es in den Südstaaten der USA in Hülle und Fülle geben soll, gelesen habe, habe ich mich an diesen Tag erinnert. Diesen einen besonderen Tag damals. In einer langen Reihe (vermeintlich) grauer Tage. Diesen einen Tag als wir noch eine Familie waren. Ein Ehepaar.

Diesen Tag, an dem ich das Gefühl hatte, ihr einmal was bieten zu können. Was Besonderes. Was anderes als unseren im Gleichtakt mit unseren Haaren immer grauer werdenden Alltag. Und wenn es nur Glühwürmchen sind