Donnerstag, 8. Februar 2018

Herzlichen Glückwunsch!













 
An meinem Geburtstag, einem kalten Tag im Februar, werde ich von meiner Tochter geweckt, die sich in der Küche Buttergemüse von Aldi für die Schule macht. Und einen Bagel, im Ofen. Meine Tochter, die irgendwas sagt, nuschelt, das ich nicht richtig verstehe.

Ich fahre den Laptop hoch, gehe direkt (vielleicht sogar noch bevor ich meinen Blog und Twitter-Account checke) im Internet auf die Seite mit den berühmten Leuten, die heute geboren sind und sage: „Heute hat Charles Dickens Geburtstag…“

…und…

…und Dieter Bohlen…

…und Ingo Nommsen…

…Ashton Kutcher…

…Remi Cruz (wer auch immer das ist…, aber der Name klingt gut…)

…LaToya Forever (noch so ein geiler Name!)…Isaiah Thomas, der Basketballspieler…

…und…



Einen Tag vor mir sind es Bob Marley, Babe Ruth und Ronald Reagan…

…nun ja, man kann nicht alles haben

Weiter unten auf der Seite, unter dem „February 7 Horoscope“, liest du:

As an Aquarius born on February 7th, your personality is characterized by openness, honesty and imagination. While you have noticed people that take to mind games, you are not one of them. In all your social and professional dealings, you display an honest and truthful demeanor. While your friends, family and coworkers appreciate your straightforward nature, you may be most admired for your imagination. Your active mind allows you to excel at creative expression, but it also makes you an engaging communicator. You would be surprised to know how many friends your mind has earned!

Als Wassermann, der am 7. Februar geboren ist, charakterisiert sich Ihre Persönlichkeit  durch Offenheit, Ehrlichkeit und Vorstellungskraft. Während es Menschen gibt, die Spielchen spielen (ja, sie in ihrem Leben, ihren Alltag fast nur von solchen Menschen umgeben zu sein scheinen, fast schon umzingelt, eingekreist), sind sie nicht so, sind Sie keiner von ihnen (ich bin auf keinen Fall einer von denen). In all Ihren sozialen und beruflichen Aktivitäten, zeichnen Sie  sich durch ihre Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe aus. Während Ihre Freunde, Ihre Familie (welche?) und Ihre Mitarbeiter Ihr aufrichtiges Naturell zu schätzen wissen, werden Sie am meisten für ihre Vorstellungskraft und Fantasie bewundert (und was hab ich davon, und was hab ich davon…?!). Ihr aktiver Geist (welcher Geist?) erlaubt es Ihnen, sich besonders in kreativen Ausdrucksbereichen hervorzutun (ich habe den falschen Job!),  aber er macht Sie auch zu einem fesselnden Gesprächspartner und Kommunikator (wenn ich dann mal ein williges Opfer finde…). Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wie viele Freunde ihr Geist gewonnen hat!

Yeah, I bet I would…, denke ich nur…You fucker! Hahaha… Wie viele Freunde mein Geist, meine Gedanken gewonnen haben…mein Arsch…

Friends, my arse

Fuck your friends

…wie viele Frauen Sie verloren haben… (obwohl: so viele waren es gar nicht…dafür wog ihr Verlust umso schwerer…)

Ich scrolle runter und finde sogar noch was zu der Kategorie Liebe.

Celebrity Relationships

Here are a few Aquarius celebrities born on February 7th and their past or present romantic connections:
Ahston Kutcher (Aquarius) and Demi Moore (Scorpio)
Victor Webster (Aquarius) and Krista Allen (Aries)

Ja, ich kannte auch mal einen Aries, einen Widder, eine Widder-Frau. In einem anderen Leben... Vielleicht sollte ich es echt mal mit einer Skorpion-Frau probieren. Skorpione sollen ja mörderisch (gut) sein…

Ganz unten steht: February 7th is associated with Tarot Card 6 of Swords

Die Tarot-Karte der Schwerter? Was ist das denn?

Ich klicke auf den Link. Da steht: 7 of Swords, which appears when trust and privacy are of the upmost concern. In your own matters, put extra effort into protecting yourself from those who may want to take advantage of you. Also, try to avoid any foul play on your own part, as these things always find a way of resurfacing. Outwardly, it is also important to resist your own urges to pry into the lives of others. In love and friendship, the 7 of Swords may indicate a need to hash out concerns with your partner, but do so carefully to avoid damaging to the relationship.

7 der Schwerter, welche erscheint, wenn Vertrauen und Intimsphäre von oberster Bedeutung sind. In Ihren eigenen Angelegenheiten sollten sie besonders große Anstrengungen darauf verwenden, sich vor denen zu schützen, die sie ausnutzen wollen. Außerdem sollten Sie es auch ihrerseits vermeiden, ein falsches Spiel zu spielen, da diese Dinge immer einen Weg finden, wieder ans Tageslicht zu kommen. Nach außen ist es zudem wichtig, dass sie der Versuchung widerstehen, ihre Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken. In Liebe und Freundschaft deutet die 7 der Schwerter möglicherweise darauf hin, Probleme mit ihrem Partner zur Sprache zu bringen, aber tun Sie dies behutsam, damit ihre Beziehung keinen Schaden nimmt.

Das stimmt…

…aber dafür ist es schon zu spät…dafür ist es schon lange zu spät…


Neben dem Bett liegt die Anthologie der amerikanischen Literatur Teil 1, die bis zum Ende des 19. Jahrhundert geht. Ich habe gestern Eleonora von Poe gelesen. Um in der Kurzgeschichte etwas zu finden, was ich vergessen hatte. Was ich aber auch in der Kurzgeschichte über eine große Liebe, eine ewige Liebe, die durch den Tod jäh getrennt wird, nicht finden konnte (wie sollte ich denn auch…?!). Ich lege das schwere, fast 3000 Seiten starke Buch beiseite und nehme mir stattdessen das leichtere von Lucía Etxebarria. Das zwar dünner ist, aber im Endeffekt genauso schwer oder noch schwerer auf meiner Seele lastet. Dort fährt eine der drei Protagonistinnen an ihrem 30. Geburtstag (ihrem 30.!) mit dem Auto 12 Stunden von Madrid nach Fuengirola ganz im Süden Spaniens, um sich dort in der einzigen Bar, die im Winter auf hat, volllaufen zu lassen. Geht abends, oder am Morgen danach an den Strand und denkt darüber nach wie es wäre, einfach ins Meer zu gehen. Wie Virginia Woolf. Sich einfach dem Liebhaber des Meeres hinzugeben, ein letztes Mal, das Meer zu ihrem letzten Liebhaber zu machen.

Ja, andere sind an ihrem Geburtstag glücklich, laden Leute ein und freuen sich des Lebens.

„Und, wie fühlt sich‘s an?“, sagt meine Tochter, die am Fenster steht, in voller Montur für die Schule.

„Das kannst du in zehn Jahren lesen.“

…wenn du es nicht jetzt schon heimlich tust…

„Wir feiern heute Abend. Wann kommst du?“

„Gar nicht.“

„Irgendwann musst du ja kommen.“

„Morgen früh…“


„Es sei denn, du hast mir Sahnetorte gekauft…“

„Siehst du nicht hier im Kühlschrank?! Magerquark.“

Bah.

Was ich wirklich will, kannst du mir eh nicht geben…

…oder hast du etwa deine Mutter eingeladen?!

Chance would be a good thing…

Und selbst wenn, dann wäre es auch nicht mehr das Gleiche.

Das wird es wahrscheinlich nie wieder sein. Das Gleiche, meine ich…


Im Morgenmagazin tritt eine schwedische Sängerin auf.

Ja, ich hatte auch mal Depressionen, sagt sie.

Ach so, denkst, sie hatte die mal. Aha…


Sie ist so gut zu mir, denke ich später, als sie schon lange gegangen ist und ich vom Klo komme. Wo ich gerade…meine Morgentoilette verrichtet habe. Das habe ich gar nicht verdient. Wir kriegen immer das, was wir nicht verdienen. Und nie das, was wir wirklich verdienen…


Gestern Abend hat es geschneit. Selbst hier im Westen, im Flachland. Oder fast flachen Land. Auf 200 Meter über dem Meer. Dem Meer…

Frischer, weißer Neuschnee. Schön. Und ich habe an "The Dead" von James Joyce gedacht, als ich mit ihr abends um halb neun zum Penny gegangen bin, um noch etwas einzukaufen. Uns war nach mehr. Mehr Essen, mehr Schokolade, mehr Genuss, mehr Leben…

„Das ist so schön, der Schnee“, hat sie gesagt, als wir rauskamen und der ganze Bürgersteig weiß war. Wie eingepudert.

„Ja, das stimmt, da hast du Recht…aber morgen ist der schon nicht mehr schön…aber so wie jetzt, ja…das stimmt…“

Und auf einmal, wie aus heiterem Himmel, fragte sie: „Wann willst du denn deine Bescherung haben, morgen…?“

„Wieso Bescherung? Was ist denn morgen?“

„Das weißt du ganz genau!“

„Nein. Was denn? Ein ganz normaler Tag.“ Den ich versuche zu vergessen.

„Morgen Abend!“, legt sie fest, ohne mich zu fragen. Sie ist eben eine Widder-Frau. Ganz die Mutter…

„Morgen Abend bin ich nicht da. Da besaufe ich mich. Da komme ich nicht nach Hause“, sagst du. Obwohl du weißt, obwohl du ganz genau weißt, dass du da sein wirst. Und wenn es nur für sie ist. Um ihr eine Freude zu machen. Damit sie sich gut fühlt

„Was gibt es denn, zur Bescherung, meine ich? Hast du mir das Buch gekauft? Von Lucía Etxebarria.“ ¿Por qué el amor nos duele tanto? Warum die Liebe uns so weh tut…

„Nein…“

„Nicht? Schade.“

„Aber was anderes…“

„Ok… Einen Lottoschein. Um 90 Millionen zu gewinnen…den kannst du ja jetzt selber machen, du bist ja 18!“

„Ja, aber dafür gebe ich doch mein Geld nicht aus, für so was…dafür habe ich gar kein Geld.“

„Nicht? Ich habe letzte Woche gespielt. 4 Kästchen!“, lüge ich, obwohl es in Wahrheit nur zwei waren. „Da kostet jedes Kästchen 2 Euro, das ist Wahnsinn! Das ist so teuer!“

Auf dem Rückweg sage ich: „An Weihnachten war das hier schön. Mit den ganzen Bäumen auf beiden Seiten.“ Ein Spalier von Weihnachtsbäumen, die kaum geschmückt waren, aber dafür alle hell beleuchtet… Auf beiden Seiten der Straße. Fast mystisch… Fast…

Am Ende kauft sie sich doch keine ganze Prinzenrolle, sondern nur einen kleinen Becher Nutella an der Kasse. Beschwert sich schon zu Hause, dass das nicht genug sei…

„Du hättest ja auch eine Prinzenrolle nehmen können…die hätten wir schon gegessen gekriegt… Einmal habe ich eine ganz allein gegessen.“

„Echt?! Eine ganze?! Das ist zu viel!“

„Ja, so eine gefälschte. Bei Lidl. Die habe ich ganz gegessen. An einem Tag eine ganze Prinzenrolle…!“

Heute kaufe ich mir nur eine Cola Light. Eine Pepsi Max. Für maximalen Geschmack. Maximaler Geschmack, das wärs jetzt!

Ich gehe auf Twitter und twittere…

…nichts zu meinem Geburtstag.

Ich will ja nicht, dass sie weiß, wer ich bin. Ich bin ja nicht lebensmüde! (Oder vielleicht nur ein bisschen) Dann solltest du es vielleicht auch lassen, diesen Post zu veröffentlich. Das hier zu posten. Im Internet! Wo es für jeden zugänglich ist. Andererseits… Was würde sie denken, wenn sie wüsste, was ich hier schreibe…?

Nichts Gutes

Vielleicht weiß sie es ja, liest heimlich mit… (vielleicht liest sogar deine Tochter heimlich mit!)

…und warum hat sie mich dann noch nicht verklagt (meine Ex-Frau, meine ich natürlich, nicht meine Tochter)? Mich gemeldet?! Angezeigt?!


„Hat es in Bonn eigentlich genauso viel geschneit wie hier?“, fragst du sie.

„Hooooooh, was weiß ich…“, kam prompt ihre Antwort, aus ihrem Zimmer. „Fahr doch da hin, wenn du das wissen willst… Fahr doch nach Bonn und guck nach…“

Jetzt ist sie wieder die Alte…
…die ich so liebe.

Aber trotzdem, auch auf die Gefahr hin, dass ich eine noch größere Abfuhr bekomme, eine noch patzigere Antwort kriege, sage ich in ähnlichem Ton: „Ich fahr bestimmt nicht nach Bonn! Jetzt noch, oder was?! Was soll ich denn da?! Nur um zu gucken, ob da genauso viel Schnee liegt wie hier… Klar…“


„Du warst doch heute in Bonn, oder nicht?! Das musst du doch wissen…“

Kratzt mich eh nicht. Ich fahr jetzt bestimmt nicht mehr in die Hölle… Aber beantwortet das nicht meine Frage: In der Hölle liegt bestimmt nicht so viel Schnee wie hier!


Ich nehme mir wieder das Buch von Lucía Etxebarria zur Hand und lese:

Aún me quedaban por delante años de hombres a los que no entendería, y todo un mundo desbaratado con el que tendría que lidiar a diario, un mundo en que las familias se desintegran y las relaciones humanas carecen de sentido. Un mundo en que sólo tienen cabida los trunfadores. Y para llegar a serlo, hay que sacrificar casi todo lo demás.

Ich hatte noch so viele Jahre vor mir, Jahre voller Männer, die ich nicht verstehen würde und eine ganze zügellose, aus den Fugen geratene Welt mit der ich täglich kämpfen würden müsste, eine Welt, in der sich die Familien auflösen und die menschlichen Beziehungen ihren Sinn verloren haben. Eine Welt, in der nur Platz für die Gewinner ist. Und um ein Gewinner zu werden, muss man fast alles andere opfern…


Melancholie liegt in den Songs von Sara Klang. Genannt das traurigste Mädchen von Schweden.


Zeichen, so viele Zeichen, die ich nicht verstehe . Diese Welt ist voller Zeichen, die ich nicht verstehe…


Am Ende, später, twittere ich es doch noch. Es! Das: Heute hat Charles #Dickens Geburtstag...und Dieter #Bohlen...und Ingo #Nommsen...und Ashton #Kutcher...und..

Suche mir aus dem Internet Fotos all dieser Menschen raus und füge sie dem Tweet hinzu. Und auf einmal, wie durch ein Wunder, steigen überall bunte Luftballons auf. Über den ganzen Bildschirm. Und ich denke: Was ist denn jetzt los?! Das kann doch nicht sein… Du hast doch nicht wirklich… Ich gehe mit der Maus nach links, dort, wo sich meine Profildaten befinden und sehe es: Anstelle meines Geburtsdatums steht da: Happy Birthday!

Und es macht mich tatsächlich glücklich. Für einen Moment lang. Twitter hat bemerkt, dass ich heute Geburtstag habe. Im Gegensatz zu allen anderen. Allen anderen aus meiner Tochter…

Dafür liebe ich sie auch mehr als alle anderen


Am Vormittag mache ich dann einen folgenschweren Fehler. Mein Kollege ruft mich an, weil er von mir einen Schlüssel haben will, weil er seinen gestern im Schnee verloren hat. So weit, so gut… Aber dann, kurz darauf, vibriert das Telefon schon wieder. Und diesmal steht da nicht mehr seine Nummer, sondern ein Name. Ein Name, bei dem es mir – wäre es nicht schon so kalt – eigentlich kalt den Rücken runterlaufen sollte…

Denn da steht „Bert“!

Scheiße!

Ich checke mein Protokoll, um zu sehen, ob das wirklich Bert ist oder ich mich da (mal wieder) irgendwie vertan habe, aber daran besteht kein Zweifel. Heute 11:10. Scheiße. Tatsache. Was willst du machen? Ist ja eigentlich auch logisch: Dein Vater, an deinem Geburtstag. Genau. Das hat schon eine gewisse Logik. Wären da nicht jahrelange Streitigkeiten, die sich mit umso längeren Schweigeperioden abwechseln…und im Moment mal wieder Letzteres. Seit deinem Geburtstag, genau, seit deinem Geburtstag, wo du wild aus seinem Haus gestürmt bist, nachdem du zu deiner Mutter gesagt hattest…

Aber das ist noch nicht der größte Fehler. Der größte Fehler kommt erst noch. Denn als du siehst, dass auch die Mailbox sich meldet, tippst du diese Nummer an, von der du denkst, dass es deine Mailbox ist.

Ist es aber nicht. Denn als Enrique Iglesias gerade angefangen hat “Súbeme la radio“ auf deinem Laptop zu singen, meldet sich plötzlich diese Stimme. Wie aus dem Nichts.

„Hallo?“

„Hallooo?“

Und dann wieder kürzer, genervter: „Hallo?“

Scheiße. Aber das willst du dir jetzt nicht antun, also drückst du so schnell wie möglich auf Anruf beenden. Scheiße. Das war er! Du hast statt der Mailbox ihn angerufen! Scheiße. du hattest ihn am Telefon! An deinem Geburtstag! Ach du Scheiße.

Und wenn er jetzt zurückruft…

…dann bist du gefickt. Gefickt. Richtig gefickt. Ohne Vaseline und so. In den Arsch. Selbst ohne Spucke. Einfach nur rein…einfach immer nur rein…

Das fängt ja gut an…jetzt höre ich auch schon Stimmen der Geister meiner vergangenen Geburtstage…

Dickens eben!