An meinem Geburtstag, einem
kalten Tag im Februar, werde ich von meiner Tochter geweckt, die sich in der
Küche Buttergemüse von Aldi für die Schule macht. Und einen Bagel, im Ofen. Meine
Tochter, die irgendwas sagt, nuschelt, das ich nicht richtig verstehe.
Ich fahre den Laptop hoch, gehe
direkt (vielleicht sogar noch bevor ich meinen Blog und Twitter-Account checke)
im Internet auf die Seite mit den berühmten Leuten, die heute geboren sind und
sage: „Heute hat Charles Dickens Geburtstag…“
…und…
…und Dieter Bohlen…
…und Ingo Nommsen…
…Ashton Kutcher…
…Remi Cruz (wer auch immer
das ist…, aber der Name klingt gut…)
…LaToya Forever (noch so ein
geiler Name!)…Isaiah Thomas, der Basketballspieler…
…und…
Einen Tag vor mir sind es
Bob Marley, Babe Ruth und Ronald Reagan…
…nun ja, man kann nicht
alles haben
Weiter unten auf der Seite,
unter dem „February 7 Horoscope“, liest du:
As an Aquarius born on February 7th,
your personality is characterized by openness, honesty and imagination. While
you have noticed people that take to mind games, you are not one of them. In
all your social and professional dealings, you display an honest and truthful
demeanor. While your friends, family and coworkers appreciate your
straightforward nature, you may be most admired for your imagination. Your
active mind allows you to excel at creative expression, but it also makes you
an engaging communicator. You would be surprised to know how many friends your
mind has earned!
Als Wassermann, der am 7. Februar
geboren ist, charakterisiert sich Ihre Persönlichkeit durch Offenheit, Ehrlichkeit und Vorstellungskraft.
Während es Menschen gibt, die Spielchen spielen (ja, sie in ihrem Leben, ihren
Alltag fast nur von solchen Menschen umgeben zu sein scheinen, fast schon
umzingelt, eingekreist), sind sie nicht so, sind Sie keiner von ihnen (ich bin
auf keinen Fall einer von denen). In all Ihren sozialen und beruflichen
Aktivitäten, zeichnen Sie sich durch ihre
Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe aus. Während Ihre Freunde, Ihre Familie
(welche?) und Ihre Mitarbeiter Ihr aufrichtiges Naturell zu schätzen wissen,
werden Sie am meisten für ihre Vorstellungskraft und Fantasie bewundert (und
was hab ich davon, und was hab ich davon…?!).
Ihr aktiver Geist (welcher Geist?) erlaubt es Ihnen, sich besonders in
kreativen Ausdrucksbereichen hervorzutun (ich habe den falschen Job!), aber er macht Sie auch zu einem fesselnden
Gesprächspartner und Kommunikator (wenn ich dann mal ein williges Opfer finde…).
Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wie viele Freunde ihr Geist gewonnen
hat!
Yeah,
I bet I would…, denke ich nur…You fucker! Hahaha… Wie viele Freunde mein Geist, meine Gedanken
gewonnen haben…mein Arsch…
Friends, my arse
Fuck your friends
…wie viele Frauen Sie
verloren haben… (obwohl: so viele waren es gar nicht…dafür wog ihr Verlust umso
schwerer…)
Ich scrolle runter und finde
sogar noch was zu der Kategorie Liebe.
Celebrity Relationships
Here are a few Aquarius celebrities born on February 7th and their past or present romantic connections:Ahston Kutcher (Aquarius) and Demi Moore (Scorpio)
Victor Webster (Aquarius) and Krista Allen (Aries)
Ja, ich kannte auch mal
einen Aries, einen Widder, eine Widder-Frau. In einem anderen Leben...
Vielleicht sollte ich es echt mal mit einer Skorpion-Frau probieren. Skorpione
sollen ja mörderisch (gut) sein…
Die Tarot-Karte der
Schwerter? Was ist das denn?
Ich klicke auf den Link. Da steht: 7 of Swords, which appears when trust and privacy are of the upmost concern. In
your own matters, put extra effort into protecting yourself from those who may
want to take advantage of you. Also, try to avoid any foul play on your own
part, as these things always find a way of resurfacing. Outwardly, it is also
important to resist your own urges to pry into the lives of others. In love and
friendship, the 7 of Swords may indicate a need to hash out concerns with your
partner, but do so carefully to avoid damaging to the relationship.
7 der Schwerter, welche erscheint,
wenn Vertrauen und Intimsphäre von oberster Bedeutung sind. In Ihren eigenen
Angelegenheiten sollten sie besonders große Anstrengungen darauf verwenden,
sich vor denen zu schützen, die sie ausnutzen wollen. Außerdem sollten Sie es
auch ihrerseits vermeiden, ein falsches Spiel zu spielen, da diese Dinge immer
einen Weg finden, wieder ans Tageslicht zu kommen. Nach außen ist es zudem
wichtig, dass sie der Versuchung widerstehen, ihre Nase in anderer Leute
Angelegenheiten zu stecken. In Liebe und Freundschaft deutet die 7 der
Schwerter möglicherweise darauf hin, Probleme mit ihrem Partner zur Sprache zu
bringen, aber tun Sie dies behutsam, damit ihre Beziehung keinen Schaden nimmt.
Das stimmt…
…aber dafür ist es schon zu
spät…dafür ist es schon lange zu spät…
Neben dem Bett liegt die
Anthologie der amerikanischen Literatur Teil 1, die bis zum Ende des 19.
Jahrhundert geht. Ich habe gestern Eleonora von Poe gelesen. Um in der
Kurzgeschichte etwas zu finden, was ich vergessen hatte. Was ich aber auch in
der Kurzgeschichte über eine große Liebe, eine ewige Liebe, die durch den Tod
jäh getrennt wird, nicht finden konnte (wie sollte ich denn auch…?!). Ich lege
das schwere, fast 3000 Seiten starke Buch beiseite und nehme mir stattdessen
das leichtere von Lucía Etxebarria. Das zwar dünner ist, aber im Endeffekt
genauso schwer oder noch schwerer auf meiner Seele lastet. Dort fährt eine der
drei Protagonistinnen an ihrem 30. Geburtstag (ihrem 30.!) mit dem Auto 12
Stunden von Madrid nach Fuengirola ganz im Süden Spaniens, um sich dort in der
einzigen Bar, die im Winter auf hat, volllaufen zu lassen. Geht abends, oder am
Morgen danach an den Strand und denkt darüber nach wie es wäre, einfach ins
Meer zu gehen. Wie Virginia Woolf. Sich einfach dem Liebhaber des Meeres hinzugeben,
ein letztes Mal, das Meer zu ihrem letzten Liebhaber zu machen.
Ja, andere sind an ihrem
Geburtstag glücklich, laden Leute ein und freuen sich des Lebens.
„Und, wie fühlt sich‘s an?“,
sagt meine Tochter, die am Fenster steht, in voller Montur für die Schule.
„Das kannst du in zehn
Jahren lesen.“
…wenn du es nicht jetzt
schon heimlich tust…
„Wir feiern heute Abend.
Wann kommst du?“
„Gar nicht.“
„Irgendwann musst du ja
kommen.“
„Morgen früh…“
…
„Es sei denn, du hast mir
Sahnetorte gekauft…“
„Siehst du nicht hier im
Kühlschrank?! Magerquark.“
Bah.
Was ich wirklich will,
kannst du mir eh nicht geben…
…oder hast du etwa deine
Mutter eingeladen?!
Chance would be a good thing…
Und selbst wenn, dann wäre
es auch nicht mehr das Gleiche.
Das wird es wahrscheinlich
nie wieder sein. Das Gleiche, meine ich…
Im Morgenmagazin tritt eine
schwedische Sängerin auf.
Ja, ich
hatte auch mal Depressionen, sagt sie.
Ach so, denkst, sie hatte
die mal. Aha…
Sie ist so gut zu mir, denke
ich später, als sie schon lange gegangen ist und ich vom Klo komme. Wo ich
gerade…meine Morgentoilette verrichtet habe. Das habe ich gar nicht verdient.
Wir kriegen immer das, was wir nicht verdienen. Und nie das, was wir wirklich
verdienen…
Gestern Abend hat es geschneit. Selbst hier im Westen, im Flachland. Oder fast flachen Land.
Auf 200 Meter über dem Meer. Dem Meer…
Frischer, weißer Neuschnee.
Schön. Und ich habe an "The Dead" von James Joyce gedacht, als ich mit ihr
abends um halb neun zum Penny gegangen bin, um noch etwas einzukaufen. Uns war
nach mehr. Mehr Essen, mehr Schokolade, mehr Genuss, mehr Leben…
„Das ist so schön, der
Schnee“, hat sie gesagt, als wir rauskamen und der ganze Bürgersteig weiß war.
Wie eingepudert.
„Ja, das stimmt, da hast du
Recht…aber morgen ist der schon nicht mehr schön…aber so wie jetzt, ja…das
stimmt…“
Und auf einmal, wie aus
heiterem Himmel, fragte sie: „Wann willst du denn deine Bescherung haben,
morgen…?“
„Wieso Bescherung? Was ist
denn morgen?“
„Das weißt du ganz genau!“
„Nein. Was denn? Ein ganz
normaler Tag.“ Den ich versuche zu vergessen.
„Morgen Abend!“, legt sie
fest, ohne mich zu fragen. Sie ist eben eine Widder-Frau. Ganz die Mutter…
„Morgen Abend bin ich nicht
da. Da besaufe ich mich. Da komme ich nicht nach Hause“, sagst du. Obwohl du
weißt, obwohl du ganz genau weißt, dass du da sein wirst. Und wenn es nur für
sie ist. Um ihr eine Freude zu machen. Damit sie sich gut fühlt
„Was gibt es denn, zur
Bescherung, meine ich? Hast du mir das Buch gekauft? Von Lucía Etxebarria.“ ¿Por qué el amor nos duele
tanto? Warum
die Liebe uns so weh tut…
„Nein…“
„Nicht? Schade.“
„Aber was anderes…“
„Ok… Einen Lottoschein. Um
90 Millionen zu gewinnen…den kannst du ja jetzt selber machen, du bist ja 18!“
„Ja, aber dafür gebe ich
doch mein Geld nicht aus, für so was…dafür habe ich gar kein Geld.“
„Nicht? Ich habe letzte
Woche gespielt. 4 Kästchen!“, lüge ich, obwohl es in Wahrheit nur zwei waren.
„Da kostet jedes Kästchen 2 Euro, das ist Wahnsinn! Das ist so teuer!“
Auf dem Rückweg sage ich: „An Weihnachten war das hier schön. Mit den ganzen Bäumen auf beiden Seiten.“
Ein Spalier von Weihnachtsbäumen, die kaum geschmückt waren, aber dafür alle
hell beleuchtet… Auf beiden Seiten der Straße. Fast mystisch… Fast…
Am Ende kauft sie sich doch
keine ganze Prinzenrolle, sondern nur einen kleinen Becher Nutella an der
Kasse. Beschwert sich schon zu Hause, dass das nicht genug sei…
„Du hättest ja auch eine
Prinzenrolle nehmen können…die hätten wir schon gegessen gekriegt… Einmal habe
ich eine ganz allein gegessen.“
„Echt?! Eine ganze?! Das ist
zu viel!“
„Ja, so eine gefälschte. Bei
Lidl. Die habe ich ganz gegessen. An einem Tag eine ganze Prinzenrolle…!“
Heute kaufe ich mir nur eine
Cola Light. Eine Pepsi Max. Für maximalen Geschmack. Maximaler Geschmack, das
wärs jetzt!
Ich gehe auf Twitter und
twittere…
…nichts zu meinem
Geburtstag.
Ich will ja nicht, dass sie
weiß, wer ich bin. Ich bin ja nicht lebensmüde! (Oder vielleicht nur ein
bisschen) Dann solltest du es vielleicht auch lassen, diesen Post zu
veröffentlich. Das hier zu posten. Im Internet! Wo es für jeden zugänglich ist.
Andererseits… Was würde sie denken, wenn sie wüsste, was ich hier schreibe…?
Nichts Gutes
Vielleicht weiß sie es ja,
liest heimlich mit… (vielleicht liest sogar deine Tochter heimlich mit!)
…und warum hat sie mich dann
noch nicht verklagt (meine Ex-Frau, meine ich natürlich, nicht meine Tochter)? Mich
gemeldet?! Angezeigt?!
„Hat es in Bonn eigentlich
genauso viel geschneit wie hier?“, fragst du sie.
„Hooooooh, was weiß ich…“,
kam prompt ihre Antwort, aus ihrem Zimmer. „Fahr doch da hin, wenn du das
wissen willst… Fahr doch nach Bonn und guck nach…“
Jetzt ist sie wieder die
Alte…
…die ich so liebe.
Aber trotzdem, auch auf die
Gefahr hin, dass ich eine noch größere Abfuhr bekomme, eine noch patzigere
Antwort kriege, sage ich in ähnlichem Ton: „Ich fahr bestimmt nicht nach Bonn!
Jetzt noch, oder was?! Was soll ich denn da?! Nur um zu gucken, ob da genauso
viel Schnee liegt wie hier… Klar…“
…
„Du warst doch heute in
Bonn, oder nicht?! Das musst du doch wissen…“
Kratzt mich eh nicht. Ich
fahr jetzt bestimmt nicht mehr in die Hölle… Aber beantwortet das nicht meine
Frage: In der Hölle liegt bestimmt nicht so viel Schnee wie hier!
Ich nehme mir wieder das
Buch von Lucía Etxebarria zur Hand und lese:
Aún me quedaban por delante años de hombres a los que
no entendería, y todo un mundo desbaratado con el que tendría que lidiar a
diario, un mundo en que las familias se desintegran y las relaciones humanas
carecen de sentido. Un mundo en que sólo tienen cabida los trunfadores. Y para
llegar a serlo, hay que sacrificar casi todo lo demás.
Ich hatte noch so viele
Jahre vor mir, Jahre voller Männer, die ich nicht verstehen würde und eine
ganze zügellose, aus den Fugen geratene Welt mit der ich täglich kämpfen würden
müsste, eine Welt, in der sich die Familien auflösen und die menschlichen
Beziehungen ihren Sinn verloren haben. Eine Welt, in der nur Platz für die
Gewinner ist. Und um ein Gewinner zu werden, muss man fast alles andere opfern…
Melancholie
liegt in den Songs von Sara Klang. Genannt das traurigste Mädchen von Schweden.
Zeichen, so viele Zeichen, die
ich nicht verstehe . Diese Welt ist voller Zeichen, die ich nicht verstehe…
Am Ende, später, twittere
ich es doch noch. Es! Das: Heute
hat Charles #Dickens
Geburtstag...und Dieter #Bohlen...und
Ingo #Nommsen...und
Ashton #Kutcher...und..
Suche mir aus dem Internet
Fotos all dieser Menschen raus und füge sie dem Tweet hinzu. Und auf einmal,
wie durch ein Wunder, steigen überall bunte Luftballons auf. Über den ganzen
Bildschirm. Und ich denke: Was ist denn jetzt los?! Das kann doch nicht sein…
Du hast doch nicht wirklich… Ich gehe mit der Maus nach links, dort, wo sich
meine Profildaten befinden und sehe es: Anstelle meines Geburtsdatums steht da:
Happy Birthday!
Und es macht mich
tatsächlich glücklich. Für einen Moment lang. Twitter hat bemerkt, dass ich
heute Geburtstag habe. Im Gegensatz zu allen anderen. Allen anderen aus meiner
Tochter…
Dafür liebe ich sie auch
mehr als alle anderen
Am Vormittag mache ich dann
einen folgenschweren Fehler. Mein Kollege ruft mich an, weil er von mir einen
Schlüssel haben will, weil er seinen gestern im Schnee verloren hat. So weit,
so gut… Aber dann, kurz darauf, vibriert das Telefon schon wieder. Und diesmal
steht da nicht mehr seine Nummer, sondern ein Name. Ein Name, bei dem es mir –
wäre es nicht schon so kalt – eigentlich kalt den Rücken runterlaufen sollte…
Denn da steht „Bert“!
Scheiße!
Ich checke mein Protokoll,
um zu sehen, ob das wirklich Bert ist oder ich mich da (mal wieder)
irgendwie vertan habe, aber daran besteht kein Zweifel. Heute 11:10. Scheiße.
Tatsache. Was willst du machen? Ist ja eigentlich auch logisch: Dein Vater, an
deinem Geburtstag. Genau. Das hat schon eine gewisse Logik. Wären da nicht
jahrelange Streitigkeiten, die sich mit umso längeren Schweigeperioden
abwechseln…und im Moment mal wieder Letzteres. Seit deinem Geburtstag, genau,
seit deinem Geburtstag, wo du wild aus seinem Haus gestürmt bist, nachdem du zu
deiner Mutter gesagt hattest…
Aber das ist noch nicht der
größte Fehler. Der größte Fehler kommt erst noch. Denn als du siehst, dass auch
die Mailbox sich meldet, tippst du diese Nummer an, von der du denkst, dass es
deine Mailbox ist.
Ist es aber nicht. Denn als
Enrique Iglesias gerade angefangen hat “Súbeme la radio“ auf deinem Laptop
zu singen, meldet sich plötzlich diese Stimme. Wie aus dem Nichts.
„Hallo?“
„Hallooo?“
Und dann wieder kürzer,
genervter: „Hallo?“
Scheiße. Aber das willst du
dir jetzt nicht antun, also drückst du so schnell wie möglich auf Anruf
beenden. Scheiße. Das war er! Du hast statt der Mailbox ihn angerufen! Scheiße. du hattest ihn am Telefon! An deinem Geburtstag! Ach du Scheiße.
Und wenn er jetzt
zurückruft…
…dann bist du gefickt.
Gefickt. Richtig gefickt. Ohne Vaseline und so. In den Arsch. Selbst ohne
Spucke. Einfach nur rein…einfach immer nur rein…
Das fängt ja gut an…jetzt
höre ich auch schon Stimmen der Geister meiner vergangenen Geburtstage…
Dickens eben!