Donnerstag, 1. Februar 2018

In guten wie in schlechten Zeiten





"Den späten Zustand der Zivilisation charakterisiere:
  • das Greisenhafte statt des Jugendlichen, Geschichtslosigkeit,
  • Künstlichkeit und Erstarrung aller Lebensbereiche,
  • Herrschaft der anorganischen Weltstadt anstelle des lebensvollen bäuerlich geprägten Landes,
  • kühler Tatsachensinn anstelle der Ehrfurcht vor dem Überlieferten,
  • Materialismus und Irreligiosität,
  • anarchische Sinnlichkeit, panem et circenses, Unterhaltungsindustrien,
  • Zusammenbruch der Moral und Tod der Kunst,
  • Zivilisationskriege und Vernichtungskämpfe,
  • Imperialismus und die Heraufkunft formloser Gewalten."
(Quelle: Der Untergang des Abendlandes – Wikipedia-Eintrag)








Im Morgenmagazin läuft ein Bericht über Pflegekräfte in Deutschland.

Den Alltag bewältigt seine 75-jährige Frau alleinI

„Wir haben das gemacht, mit guten und schlechten Zeiten und es bleibt dabei. Wenn ich mal nicht gar nicht mehr kann, dann ist das was anderes, dann muss man das sehen, aber solange ich noch kann…“, sagt die selbst fast blinde alten Dame, die ihren lungenkrebskranken Mann pflegt, der beide Beine verloren hat…
„Ich kann nicht mehr…“, hat sie am Ende gesagt, als du sie abgepasst hast, vor ihrer Arbeit in Friesdorf, mit einem Gesicht, das aber nicht so aussah, als wäre das die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe…

Ya no puedo…“ Ich kann nicht mehr

Ich auch nicht mehr, glaub mir das, tesoro.

So ist das heute. Wenn man nicht mehr kann, dann kann man eben nicht mehr. Dann geht es eben nicht mehr. Wenn es nicht mehr geht. Dann sucht man sich eben was Besseres. Bis man, im hohen Alter, dann endlich das Beste gefunden hat…und das Leben dann perfekt ist. Wir suchen alle heute nach dieser Perfektibilität. Nur sehe ich morgens im Bus, in der Bahn, in der Stadt, auf dem Weg zur Arbeit kaum jemand, der perfekt ist oder zumindest so aussieht…oder zumindest glücklich…oder auch nur so tut...

Aber vielleicht täuscht das ja auch. Und die sind alle glücklich und haben den perfekten Partner. Ich kann mich ja auch täuschen. Mich sebst täuschen (bestimmt liegt das an mir!). Es kann ja auch alles anders sein, als ich das denke, in diesem „einem der reichsten Länder der Erde…“, in dem wir doch alle so glücklich sind, in unserer schönen neuen Welt, unserem Brave New Germany.

Bestimmt sind die heutigen Partner, die in schlechten Zeiten einfach das Bäumchen wechseln am Ende glücklicher, leben länger…was weiß ich schon…

Das müsste man die Frau im Morgenmagazin fragen, die fast blinde alte Dame, die ihren Mann mit 75 noch pflegt und damit dem Staat eine Last abnimmt, obwohl sie ja eigentlich gar nicht müsste…obwohl sie sich ja einfach „was Besseres“ suchen könnte…und dann mit ihrem „Besserem“, ihrer neuen „besseren Hälfte“ glücklich werden könnte, ein perfektes oder zumindest perfekteres Leben führen könnte, bis dass nicht mehr der Tod, sondern ihr Unvermögen noch zu können sie scheidet…

Und ich, alleine, noch hier, noch immer hier, denke nur: Kein Wunder, dass wir uns abschaffen and good fucking riddance too