Montag, 5. Februar 2018

Du Pilzkopf, du!














Ich stehe nach dem Duschen vor dem Spiegel und denke: Deine Haare sind auch wieder ziemlich lang. Ist das wirklich schon so lange her, dass ich das letzte Mal beim Friseur war?! Aber egal: Das ist noch okay, das ist noch nicht zu lang. Wenn es zu lang wird, gehe ich schon wieder zum Friseur, keine Angst. Außerdem sieht es so gar nicht mal so schlecht aus, mit den kleinen Wellungen hinterm Ohr, fast schon jugendlich. Was bei einem mittelaltrigen Mann eben so als jugendlich durchgeht (scheiße, ich bin nicht mehr jung, als jung kann ich mich nicht mehr wirklich bezeichnen!). Friseure sind sowieso so eine Art rotes Tuch für mich. Ich bin noch nie gerne zum Friseur gegangen. Für mich grenzte das immer an Körperverletzung. Das fing schon damals an, in Kessenich, als ich zu diesem Salon auf der Ecke gegangen bin und eine Vanilla-Ice-Frisur haben wollte (ja, ich weiß…aber ich war Rap-Fan), die mir aber einen Skinhead verpasst haben. Wo mich dann, am nächsten Tag in der Schule, mein Französisch-Lehrer (der den Krieg bestimmt noch miterlebt hatte) fragte, warum ich denn so eine kurze, radikale Frisur hätte. Radikal sagte er nicht, denn seinem Ausdruck entnahm ich, dass er das durchaus positiv sah, mit meiner Frisur. Obwohl es mir tierisch peinlich war. Und auch die Rap-Tante (die sitzengeblieben war und jetzt unsere Klasse terrorisierte und die beste Freundin meiner Angebeteten aus Peru war – nochmal ja ich weiß…) fand meine (fehlenden) Haare „geil“. Wenn ich so darüber nachdenke, war das das einzige Mal, wo ich Ana (so hieß die Peruanerin, die voll in mein Beuteschema passte) näher als in diesen endlosen Augenblicken, die ich mit ihr austauschte (ich weiß gar nicht mehr, wie ich in der Mittelstufe überhaupt was mitbekam, bei all den Blicken in ihre Richtung, in ihre Augen und vielleicht auch in ihr junges Herz). Aber wo waren wir…
…richtig: der der gefühlten Körperverletzung beim Friseur! Ja, ich mochte das noch nie. Die zogen dir diesen ekelhaften, dünnen Mantel um, besprühten dich mit irgendeinem Sprüher (wie ihn deine Mutter in der Küche verwendete) oder noch schlimmer, wuschen dir die Haare (das war wirklich die ultimative Grenzüberschreitung). Und dann musstest du immer still und ganz gerade sitzen, dich selbst im Spiegel betrachten (ich habe zwar leicht narzisstische Züge – sehen sie ja – hatte mich aber auch schnell an meiner Visage sattgesehen) und die Hände unter dem Mantel so hin und herschieben, dass sie bloß nicht in die Nähe der ständig um dich herumwuselnden Friseuse, Friseurin kamen. Wer weiß, was die dann von dir gedacht hätte?! Dass du das extra machst?! Außerdem war das schwer bei jemand, der normalerweise nur von sich selbst, geschweige denn von irgendwelchen fremden Frauen, angefasst wurde. Der in seinem Leben bisher nur eine Frau geküsst hatte, Ani in Ungarn. Du hattest immer Angst, dass deine Hände ihr doch zu nahe kommen würden und sie das falsch auffassen würde – obwohl du alles versuchtest, damit dies nicht passierte. Selbst bei den älteren, reiferen Friseurinnen im Karstadt…

Eigentlich ist es schon ein Wunder, dass ich noch nie einen Pferdeschwanz hatte oder habe…

Hongo, so nannte sie mich damals immer, wenn meine Haare zu lang waren. Oder auf deutsch: „Pilzkopf“. Ich weiß nicht genau, ob sie das als Kompliment meinte, aber ich glaube eher nicht. Es sei denn, ihr gefiel mein „Pilzkopf“, mein hongo (wem willst du eigentlich was vormachen?! Dir selbst?!). Auf jeden Fall verwendete sie nie den Diminutiv, also hongito, wenn sie das sagte. Vielleicht ja, weil mein Kopf kein „Pilzköpfchen“ war, sondern ein ausgewachsener Riesenpilz, mit dem ich in den Sechzigern den Beatles hätte Konkurrenz machen können. Vielleicht aber auch, weil sie das nicht ganz so nett meinte und deswegen keine Verniedlichungsform benötigte. Ich weiß es nicht und werde wohl auch nie Klarheit darüber bekommen. Am Ende stehen wir alle im Dunkeln da und können nur vermuten, was in anderen vorgeht. Was sich hinter ihrer Fassade abspielt. Was sie denken, wenn sie „Pilzkopf“ sagen. Oder ob sie überhaupt was dabei denken… Nichts Genaues weiß man nicht, denke ich, als ich mir durch die Haare gehe, die vielleicht nicht der Mode entsprechen, aber die ich nun mal doch auch irgendwie so haben will – sonst wäre ich ja schon lange zum Friseur gegangen…

Aber eins ist sicher: Du musst langsam mal aufhören, dir alles schönzureden. Du musst langsam mal anfangen, die Statuen von den Sockeln zu holen, denen du selber bei der Errichtung geholfen hast: Ein Pilzkopf ist ein Pilzkopf, der ist nicht schön…

Oder doch? Immerhin hat Anton Chigurh auch einen…