Ich stehe nach dem
Duschen vor dem Spiegel und denke: Deine Haare sind auch wieder ziemlich lang. Ist
das wirklich schon so lange her, dass ich das letzte Mal beim Friseur war?! Aber
egal: Das ist noch okay, das ist noch nicht zu lang. Wenn es zu lang wird, gehe
ich schon wieder zum Friseur, keine Angst. Außerdem sieht es so gar nicht mal
so schlecht aus, mit den kleinen Wellungen hinterm Ohr, fast schon jugendlich. Was
bei einem mittelaltrigen Mann eben so als jugendlich durchgeht (scheiße, ich
bin nicht mehr jung, als jung kann ich mich nicht mehr wirklich bezeichnen!).
Friseure sind sowieso so eine Art rotes Tuch für mich. Ich bin noch nie gerne
zum Friseur gegangen. Für mich grenzte das immer an Körperverletzung. Das fing
schon damals an, in Kessenich, als ich zu diesem Salon auf der Ecke gegangen
bin und eine Vanilla-Ice-Frisur haben wollte (ja, ich weiß…aber ich war
Rap-Fan), die mir aber einen Skinhead verpasst haben. Wo mich dann, am nächsten
Tag in der Schule, mein Französisch-Lehrer (der den Krieg bestimmt noch
miterlebt hatte) fragte, warum ich denn so eine kurze, radikale Frisur hätte.
Radikal sagte er nicht, denn seinem Ausdruck entnahm ich, dass er das durchaus
positiv sah, mit meiner Frisur. Obwohl es mir tierisch peinlich war. Und auch
die Rap-Tante (die sitzengeblieben war und jetzt unsere Klasse terrorisierte
und die beste Freundin meiner Angebeteten aus Peru war – nochmal ja ich weiß…)
fand meine (fehlenden) Haare „geil“. Wenn ich so darüber nachdenke, war das das
einzige Mal, wo ich Ana (so hieß die Peruanerin, die voll in mein Beuteschema
passte) näher als in diesen endlosen Augenblicken, die ich mit ihr austauschte (ich
weiß gar nicht mehr, wie ich in der Mittelstufe überhaupt was mitbekam, bei all
den Blicken in ihre Richtung, in ihre Augen und vielleicht auch in ihr junges
Herz). Aber wo waren wir…
Eigentlich ist es
schon ein Wunder, dass ich noch nie einen Pferdeschwanz hatte oder habe…
Hongo, so nannte sie mich damals immer,
wenn meine Haare zu lang waren. Oder auf deutsch: „Pilzkopf“. Ich weiß nicht
genau, ob sie das als Kompliment meinte, aber ich glaube eher nicht. Es sei
denn, ihr gefiel mein „Pilzkopf“, mein hongo
(wem willst du eigentlich was vormachen?! Dir selbst?!). Auf jeden Fall
verwendete sie nie den Diminutiv, also hongito,
wenn sie das sagte. Vielleicht ja, weil mein Kopf kein „Pilzköpfchen“ war,
sondern ein ausgewachsener Riesenpilz, mit dem ich in den Sechzigern den
Beatles hätte Konkurrenz machen können. Vielleicht aber auch, weil sie das
nicht ganz so nett meinte und deswegen keine Verniedlichungsform benötigte. Ich
weiß es nicht und werde wohl auch nie Klarheit darüber bekommen. Am Ende stehen
wir alle im Dunkeln da und können nur vermuten, was in anderen vorgeht. Was
sich hinter ihrer Fassade abspielt. Was sie denken, wenn sie „Pilzkopf“ sagen.
Oder ob sie überhaupt was dabei denken… Nichts Genaues weiß man nicht, denke
ich, als ich mir durch die Haare gehe, die vielleicht nicht der Mode
entsprechen, aber die ich nun mal doch auch irgendwie so haben will – sonst
wäre ich ja schon lange zum Friseur gegangen…
Aber eins ist
sicher: Du musst langsam mal aufhören, dir alles schönzureden. Du musst langsam
mal anfangen, die Statuen von den Sockeln zu holen, denen du selber bei der
Errichtung geholfen hast: Ein Pilzkopf ist ein Pilzkopf, der ist nicht schön…
Oder doch?
Immerhin hat Anton Chigurh auch einen…