Diesmal aber wirklich! Selbst wenn ich
mir das das letzte Mal, das letzte Wiedersehen nur eingebildet habe, diesmal
ist sie es wirklich. Nadine!
Ich gehe – wie immer nichts ahnend – durch
die Unterführung am Bahnhof, um meinen Zug nach Rheinbach zu nehmen, den Blick
halb gesenkt…und trotzdem…sehe ich sie. Plötzlich kommt sie mir entgegen. Face-on, wie der Engländer sagen würde. Frontal
entgegen. Wie bei einem Frontalunfall. Kommt glaub ich gerade um die Ecke, die
Rolltreppe von den Gleisen runter. Aus einem Zug aus Bad Godesberg? Oder aus
Köln? Godesberg kann es ja nicht sein, die fahren ja von hier erst dahin. Also
aus der Richtung Köln. Was macht sie denn da?
Ich kann auch nicht mehr ausweichen. Mit
meinem Körper nicht und mit meinen Augen, meinem Blick noch weniger. Gucke ihr
trotzdem nicht in die Augen, sehe ihre Augen noch nicht einmal. Wie gerne würde
ich ihr in die Augen gucken. Mitten rein, in ihre Seele. Wenn sie eine hat.
Wenn wir eine haben.
Stattdessen sehe ich nur, wie sie eine
Handbewegung macht. In meine Richtung. Zu mir?
Eine komische Geste mit der Hand (meint
sie wirklich mich oder bilde ich mir das nur ein?). So eine Geste, wo man der
Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger gequetscht wird – ich weiß nicht, ob Sie
das kennen –, den Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger durchsteckt, so dass
er auf der anderen Seite rausguckt. Wie Mario das damals gemacht hat, um mir zu
zeigen…
Oder irgend so was macht sie mit der
Hand, irgend so eine Geste. So was wie: „Weiche von mir, Teufel, weiche von
mir!“
Oder will sie mir damit sagen, dass ich
gefickt bin? Dass sie mich kriegen wird, mich platt machen wird, mich ficken
wird (hoffentlich bald!)? Was weiß ich denn?
Bin ich aber nicht, gefickt, meine ich.
Gefickt schon (das sind wir alle [von Geburt an]), aber eben nicht in diesem
Sinne, so wie Mario das damals meinte. Leider nicht, Schatzi! Leider nicht, ¡tesoro! ¡Mi todo todo! ¡Mi ñequi ñequi! Nein,
gefickt worden bin ich schon lange nicht mehr…obwohl ich mich jeden Tag ein
bisschen gefickter fühle. Wie das sprichwörtliche Eichhörnchen. Nur ohne
Gleitcreme.
Sie macht diese Geste
Und was mache ich? Ich gehe einfach
weiter. Gehe einfach stur weiter. So als hätte ich sie nie gesehen. Sie nie geliebt.
Als wüsste ich nicht ganz genau, wie sehr ich sie immer noch liebe.
Und trotzdem gehe ich vorbei. So als
wäre sie Luft. Nie da gewesen. Als wäre ich nie 19 Jahre mit ihr verheiratet
gewesen. Hätte keine Tochter mit ihr. Gehe einfach weiter und denke: Das wär
doch jetzt der richtige Moment gewesen, um mit ihr zu reden. Vernünftig
Klar
Um mit ihr über María zu reden.
Natürlich nur über María. Klar. Nicht über uns.
UNS. Wo denken Sie denn hin?? Denke es, gehe aber weiter. Ohne
zurückzugucken. Fahre die Rolltreppe hoch, gehe den Zug entlang, bis ich ganz
vorne bin und setze mich hin. Und denke: Boah, bist du doof! Wie doof kann man
denn sein?! Seit Monaten willst du nichts mehr als mit ihr zu reden. Endlich,
nur einmal mit ihr zu reden. Natürlich nur über María. Natürlich.
Und dann lässt dir diese Gelegenheit
entgehen?! Bist du denn des Wahnsinns?!
Was soll ich denn machen…deiner Meinung
nach? Hinter ihr her sabbern? Ihr nachrennen? So wie früher, wie ein
Besessener, ein Stalker? In fünf Minuten – bis mein Zug fährt (nimm den
nächsten!) – ALLES besprechen, ALLES, all das, wofür zwei Jahre eisiges
Schweigen nicht gereicht haben? (ok, nimm den übernächsten Zug)
Aber vielleicht hättest du eine Chance
gehabt…eine Chance für die Liebe. Vielleicht hätte sie ja mit dir geredet–
Glaube, Hoffnung, Liebe, oder was?!
Glaube, Hoffnung, Liebe, mein Arsch! Glaube, Hoffnung, Liebe, my fucking arse!
Und wenn du sie jetzt nie wieder
siehst?! Nie wieder?! Nie mehr, in deinem ganzen Leben nicht?! Wenn das das
letzte Mal war…?!
Dann war es das eben.
Aber du liebst sie doch noch?
Mit jeder Faser meines geschundenen,
verbauten Körpers. Mit jeder einzelnen verfickten Fettzelle meines Körpers. Natürlich liebe ich sie noch
Also…warum lässt du sie dann gehen??
Einfach so
Darum, Mann. Und jetzt nerv nicht!
Du mich auch
sie sieht gut aus, besser als ich dachte
und sie ist wütend, das sieht man
das freut dich
genauso wütend wie du
sexy
Später, auf der Arbeit, fällt mir dieser
Witz ein, den ich gestern mit María gemacht habe, Keine Ahnung, wie der noch
mal ging. Keine Ahnung. Irgendwas mit: „Ich möchte auch einen Bauernhof. Mit
Esel. Kann man den Esel auch mieten?
Einen Esel, nicht zwei
Noch später, nicht mehr auf der Arbeit,
denke ich: Das kann doch kein Zufall sein. Das ist doch bestimmt kein Zufall.
Das ist doch bestimmt gewollt, dass wir gerade heute wieder aufeinander treffen.
Gottgewollt. Schicksal.
Das ist bestimmt mein Schicksal, das
mich mal wieder ficken will. Mein verficktes Schicksal, dass mir mal wieder
beweisen will, vor Augen führen will,
wie klein und unbedeutend ich doch bin, wie klein und unbedeutend mein
Leben doch ist
Nein, das kann wirklich kein Zufall sein