Donnerstag, 22. Dezember 2016

Sekunden vor dem Tod










IV. DEATH BY WATER

Phlebas the Phoenician, a fortnight dead,

Forgot the cry of gulls, and the deep seas swell

And the profit and loss.

                          A current under sea
 1
Picked his bones in whispers. As he rose and fell

He passed the stages of his age and youth

Entering the whirlpool.

                          Gentile or Jew

O you who turn the wheel and look to windward,

Consider Phlebas, who was once handsome and tall as you

(T.S. Eliot, The Waste Land)







...aber keine Angst: Eines Tages verstehen Sie es!(Lester Burnham American Beauty)






Als er ging, kurz bevor er ging, sah er sein Leben noch mal an sich vorbeifliegen.

Und er wusste, dass es das nicht wert gewesen war, dass er nicht gelebt hatte, dass man nicht leben konnte.

Selbst wenn man wollte.

Er sah, wie er bei José war, damals, in der Grundschule, im Zimmer seiner großen Schwester, wo er ihm sagte, dass Penis auf Spanisch "pito" heißt...

…er sah sich Basketball spielen, auf dem „Roten Platz“ in Kessenich und alles treffen, an diesem einen Tag, wo er gegen zwei spielte und alles traf, einfach alles, jeden Distanzwurf, alles…

…er sah Sara, der Peruanerin auf seiner Schule, ein letztes Mal in die Augen, ihre braunen, unendlichen, unendlich schönen Augen…

...sah, wie er Anikó in Ungarn küsste, wie er mit Patricia auf dieser Düne an der Playa del inglés auf Gran Canaria saß und sie fragte, ob er sie küssen dürfte...im Urlaub von seinem Leben in Deutschland, seinem hässlichen Leben in Deutschland...

…er sah sich in Calella mit dieser Engländerin tanzen, ohne was zu machen…

…er sah Nadine im Ysabeau, wie er ihr warmes Gesicht berührte, in dieser, ihrer ersten Nacht, an Silvester 1996…

…wie er mit ihr schlief, zum ersten Mal mit einer Frau schlief, wie er ihre dünnen Beine in ihrer engen Leggings…

…er sah sich, wie er in sie eindrang, in der Wohnung in Pützchen, ohne Kondom, da er wusste, dass sie von ihm schwanger war und er deswegen kein Kondom mehr brauchte…

…er sah die kleine María, wie er mit ihr in den Kindergarten…so schön, ein so schönes, so hübsches Kind…

...wie sie lächelte, auf diesen Fotos, die sie in Kindergarten und Schule jedes Jahr machten...

…sah sie in diesem komischen Kleid aus Ecuador, an dem Tag als sie mit ihrer Mutter zurückkam…

…wunderschön…

…sah seine Frau auf Marías erstem Geburtstag, in dieser kurzen Karo-Hose mit Strumpfhose, die er ihr später auszog…

…sah Concepción in Aberdeen, wie er ihr in diesem Computerraum unter den Pulli ging, unter diesem schwarzen Rollkragenpullover…

…sah Paulina mit ihm in Bonn auf dem Spielplatz sitzend, mit der kleinen María spielend, über Feinmotorik schwadronierend…

…sah das Babyfoto seiner Tochter mit dem roten Mützchen, dass er Concha voller Stolz zeigte…er war so stolz auf seine Tochter, seine hübsche Tochter…sogar als Baby schon…

…sah sich mit Nadine den Berg hochlaufen, ein letztes Mal…

…die Brüste seiner Frau, ihren Hintern in dieser Unterhose, seine Tochter wie sie lächelte als kleines Kind, wie sie als Baby dreckig lachte, wie er mit ihr Gameboy oder DS spielte, im Bus, irgendwo im Süden Spaniens…

Und dann, irgendwann, sah er nichts mehr. Diese letzten Momente können so lang und doch so kurz sein. Irgendwo zwischen einer Ewigkeit und einem Augenblick. Conchita ein letztes Mal, das letzte Mal, wo er sie gesehen hatte, seine Frau.

…der Junge, der er gewesen war

der Jugendliche

der stille, schüchterne Jugendliche

der sich im Urlaub unter der Dusche einen runterholte...

eigentlich bin ich ja schon lange tot







Und was sehen Sie?