Freitag, 28. Oktober 2016

Markus Lanz und die Wut auf das Establishment










  
Das Vertrauen ist weg, sagt der Typ im Fernsehen. In dieser Reportage über die aktuelle Lage im Amerika vor der Wahl.

Und das stimmt. Privat wie gesellschaftlich. Gesellschaftlich wie privat.



Fasziniert  hört er Lanz zu, wie er Amerika beschreibt. Lanz! Gibt es vielleicht doch noch eine Chance für die Ehrlichkeit? Eine neue Ehrlichkeit? Im Fernsehen, in der Gesellschaft. Er wartet sogar extra noch damit, die Automaten in der Spielhalle zu reinigen, um die Reportage sehen zu können.

Obama hat es geschafft…

…diese Wut unter Kontrolle zu halten…

…trotz aller Frustrationen…

…diese Wut über die herrschende Klasse...

…Zorn und Wut entladen sich auf der Straße…

…dieses Hippie-Leben und all das…

ist lange vorbei

…wenn Sie mit den Menschen sprechen…

…dann merkt man schnell wie viel Angst sie haben…

…sie fühlen sich so, als wäre das gesamte Wirtschaftssystem gegen sie…

…Überleben ist hier die Hauptbeschäftigung…

Viele Amerikaner fühlen sich im Stich gelassen von ihrer eigenen Regierung…


Irgendwann kippt das System, sagt die Börsenexpertin.

…die wissen, dass das gefährlich ist…

…was weg ist, ist das Vertrauen…

Das kannst du laut sagen…

…das Internet hat dazu beigetragen. Wir werden sehen, das Erwachen der Massen…

…sie sind besser informiert, die Masse realisiert diesen Abstand zwischen den
Schichten…

…nun brauchen wir wieder eine Reform…

…in den nächsten 8 bis 10 bis 12 Jahren müssen wir grundlegend etwas ändern…

…erschütterte die gesamt westliche Welt in ihrem Glauben und in ihren Werten…

Ist das noch ihr Amerika?

Ist das noch dein Deutschland?

Die Gründe für das Aufbegehren des Volkes bleiben bestehen…

Trump wächst mir ihrer Wut und ihren Ängsten...

Er denkt: Es ist einfacher, auch und besonders für Lanz, das an Amerika zu sehen als am eigenen Land. Diesen Unmut am Beispiel von Amerika aufzuzeigen als am eigenen Land…

…die machen sich nur die Taschen voll…

…unsere jetzigen Politiker sind nicht viel anders als…Diktatoren…

…aber wir haben zu viele Einwanderer hier in Amerika…

Und dann spielen sie dieses Lied. Das Johnny-Cash-Lied. Das Lied deiner Trennung. I hurt myself today....to see if I still feel…

Das Volk hat sich in Gewinner und Verlierer aufgeteilt…

…einen Hass auf die Profiteure des Systems haben…

…wenn wir die Spannungen ignorieren…

…es gibt Kräfte in der amerikanischen Politik, die sich gegen das Establishment stellen…

Sind sie enttäuscht? fragt Lanz das Rentnerpaar, das von einem Haus in eine Wohnung und von da in einen Wohnwagen ziehen musste…

Viele sind enttäuscht, sagt der Mann.

Ja, es ist hart…, stimmt die Frau ihm zu.


Und er denkt die ganze Zeit nur: Warum machen die das nicht in Deutschland? Warum gehen die nicht in den Osten, nach Dresden, nach Ost-Berlin? Und befragen da die Leute? Anstatt diesen Stellvertreterkrieg zu führen…

Die Amerikaner dürfen die Wahrheit sagen. Warum sie Trump wählen. Wir nicht…


…jegliche Unterstützung brach weg…

…zu nah vor der Haustür…

too close to the bone

…er ist ehrlich. Manchmal auch zu seinem Nachteil…

Kommt mir irgendwie bekannt vor… Woher kenne ich das bloß?!

Es ist alles nicht so abgesichert wie man mal dachte…








Mittwoch, 26. Oktober 2016

Online-Dating











Er stellt sich das Foto vor, das sie auf dieser Plattform hat. Diesem Dating-Portal. Dieser Partner-Börse. Oder was auch immer das war. Das war verschlüsselt. Ok, nicht verschlüsselt, aber "privat". Nicht öffentlich zugänglich. Erst, nachdem sie es freigibt, nachdem man ihr eine E-Mail-Anfrage geschickt hatte, die sie gutheißen musste, damit der betreffende…Mann (sagen wir es doch einfach so wie es ist)/Interessierte sich dann das Foto angucken konnte. Ihr privates Foto…

…was auch immer darauf zu sehen war…

Das war kurz vor ihrer Trennung. Am Freitag vor dem Sonntag, der den Tag Null markiert. Oder ist erst der Montag der Tag Null. Der erste Tag seines getrennten Lebens oder der Tag, an dem ihre Beziehung implodiert ist. Explodiert. Sich in Rauch aufgelöst hat. In Nebel. The day the shit finally hit the fan…

An dem Freitag – seinem einzigen freien Tag in der Woche –, wo er ihr E-Mail-Konto geknackt hat. Geknackt ist vielleicht zu viel gesagt. Er ist ja kein Hacker. Er hatte es ja damals auch für sie eingerichtet und da war seine Mailadresse eben noch als Absicherung vorhanden. Damit war es ein Leichtes, das Passwort zu ändern und sich Zugang zu verschaffen. Zwar würde sie das merken – also war das eher eine ziemlich unsubtile Holzhammermethode –, aber er konnte einfach nicht mehr. Nachdem er am Morgen bemerkt hatte, dass ihre Papiere nicht mehr da waren. Sie hatten schon die ganze Woche getrennt geschlafen und sie hatte ihn schon darauf hingewiesen, dass er sich eine Wohnung suchen solle, eine eigene Wohnung, da sie in zwei Monaten ausziehen würde…aber er – naiv wie Männer nun mal sind, sah die Schrift an der Wand immer noch nicht. Schließlich waren sie ja 19 Jahre zusammen gewesen. 17 Jahre verheiratet. Und das wirft man doch nicht einfach so weg. Oder?! Dachte er. Während sie wahrscheinlich schon lange innerlich Schluss gemacht hatte. Abgeschaltet hatte. Auf Durchzug. Wie das – wie er später schmerzhaft erfahren musste – Frauen häufiger machen als Männer (und jetzt kommt mir nicht mit Sexismus, immerhin sind es in 70% der Fälle die Frauen, die die Scheidung einreichen).

Da lag er also im Bett, nicht mehr ganz so seelenruhig (wozu hatte sie ihre Papiere sonst mitgenommen?!), und verschaffte sich Zugang zu ihrem Konto. Nicht die feine englische Art, ich weiß, aber ist es die feine englische Art einfach so abzuhauen, wenn man ein gemeinsames Kind hat. Einfach so von einem Tag auf den anderen, ohne jemals wieder ein Wort zu verlieren, sich aus dem Leben seines Ehemannes abzuseilen?! Die Tochter erst mal vorsorglich mitzunehmen (mach dir keine Sorgen, ich komme morgen)?! I don’t think so!

Und er wurde fündig. Und glauben Sie mir: Wie gerne wäre er es nicht geworden?! Aber da waren, neben verschiedenen anderen Mails mit Quatsch, auch ein paar von dieser Dating-Seite. Von Männern, Typen, was weiß ich. Arschlöchern. Einer von denen war sogar erst 28. So ein Alternativer. Wie dieser Tilo früher in der WG. Oder der Spastian (auch in der WG), der damals vor Nadine und vor ihm damit prahlte, dass er als Aktmodell in der Kunsthochschule, wo er studierte, sich ein bisschen Geld dazu verdiente. Was für Arschloch! Was für ein Hurensohn! So einer war da dabei. Es fehlten nur noch die Rastas – die hatte der Wichser sich wahrscheinlich erst vor zwei Wochen abgeschnitten.

Und ein 41-jähriger Physiotherapeut aus Köln. Mit Foto, das echt aussah (su seiner Schande muss er zugeben, dass der gar nicht so schlecht aussah). Natürlich guckte er direkt in ihrem „Gesendet“-Ordner, um zu sehen, ob sie irgendeinem von diesen Spastis schon zurückgeschrieben hatte, aber er fand nichts. Dann nahm er sich die Dating-Seite selbst vor. Und da fand er wieder was, was ihm nicht gefallen konnte. Seine Frau kam also aus Sankt Augustin (oder war es Troisdorf?) und war ledig. Aber ihr Alter war echt. Moment mal…sie war was?! Ja, Sie haben richtig gehört: Sie war ledig. Sie waren also schon geschieden oder nie verheiratet gewesen. Ein Wunder war geschehen. Er war nie nach Ecuador geflogen um sie zu heiraten, nachdem sie zum zweiten Mal aus Deutschland ausgewiesen worden war. Nein, er hatte nie existiert. Und wer war dann bitteschön der Vater ihrer gemeinsamen Tochter?! Und sie hatte sich nicht erst vor zwei Wochen da angemeldet, wie er erfuhr, als er auch ihr Passwort auf dem Dating-Portal änderte (was machte das jetzt schon noch für einen Unterschied). Er fand zwar keine Nachrichten an irgendwelche Typen, aber die Tatsache alleine, dass sie sich da angemeldet hatte, reichte ihm schon voll und ganz Ihr Foto war auch geheim, daran konnte er nichts machen

(Warum eigentlich nicht? Wenn er doch ihre Mail-Adresse hatte?! Oder wollte er nichts dran machen? Wollte er es vielleicht gar nicht sehen?! Weil er Angst davor hatte, was er entdecken würde…?)


Wie dem auch sei, heute erinnert er sich an das Foto. Das private Foto. Was wohl darauf zu sehen war? War sie da etwa nackt drauf abgebildet? Oder war das nur eins ihrer üblichen Facebook-Fotos? Lächelnd, aber nichts verratend? Oder zeigte es sie wirklich nackt? Vielleicht nur ihren Oberkörper , ihre kleinen, aber schönen Titten. Oder ihren ganze Körper. Nackt. In der Badewanne liegend. Sich den Schaum aus den Schamhaaren wischend, damit der Kunde auch besser sehen konnte, was er für sein Geld bekam. Nein,. ich meine natürlich den Typen aus dem Dating-Portal, das mit dem Kunden ist natürlich Quatsch, das nehme ich zurück. Die Typen aus dem Dating-Portal. Konnten die es ihr besser besorgen als er? Auch das nehme ich zurück. Warum machte sie überhaupt so was?

Oder war ihr Foto eins dieser vulgären Fotos. Die von unten direkt ihre Muschi zeigen. Wo sie praktisch, abgesehen von ihren Schamhaaren (denn voll rasieren tat sie sich nicht) direkt alles zeigten. Die fleischfressende Pflanze. Um Männer anzulocken.

Er kriegt fast einen Steifen, wenn er nur dran denken muss…

Wie gerne hätte er diese Muschi zurück. Aber was für eine Liebe wäre das, wenn es nur um Sex ginge?!


Trotzdem bleibt das Bild ihres Nacktfotos auf dieser Dating-Seite












Dienstag, 25. Oktober 2016

Tatort










Montag. Deine Tochter ist wieder da.

Lange nicht gesehen, sagst du. Direkt nachdem du „Und, alles klar?!“ gesagt hast. Eine Frage, auf die es natürlich keine ehrliche Antwort gibt.

Sie tippt ein bisschen auf dem Handy rum, spricht in es hinein, als wär es eine lebendige Person, hört sich ein paar Voice-Messages an, geht in ihr Zimmer, kommt wieder, guckt GZSZ, dann Wer wird Millionär, dann Hart aber fair und sagt dann „Ich bin müde“, putzt sich die Zähne und geht ins Bett. Oder nur in ihr Zimmer?

Du hast auch keinen Bock mehr, bist auch müde und schläfst irgendwann um kurz vor zehn ein. Dieses Leben, es ist dieses Leben






und dann wachst du wieder auf. Im Fernsehen läuft das Nachtmagazin. Endet gerade. Dann kommt der Tatort. Der München-Tatort. Geil. Würdest du normalerweise sagen, aber diesmal ist der wirklich geil. Mit diesen zwei alten Knackern, noch nicht mal mehr mit grauen, sondern schon mit schneeweißen Haaren. Wo du normalerweise gar nicht mehr denken würdest, dass das Polizisten sind, so alt, wie die aussehen (übrigens durchaus auch im übertragenen Sinn). Der eine kann noch nicht mal mehr schlafen, was ihn dir direkt sympathisch macht. Denn du kannst ja irgendwie auch nicht schlafen, sonst wärst du ja nicht hier, würdest nicht um halb eins den Tatort gucken, wie einer dieser Psychopathen, die die suchen. Die Shorts und Unterhose ausgezogen (die hat dich irgendwie eingeengt, deine dicken Eier, haha), von der Hüfte abwärts nackisch. Aber der Tatort, der hat was. Echt! Manchmal ham die was. Wie dieser Scharfschütze damals, aus der Schweiz, der Typen erschossen hat, weil seine Freundin/Frau vergewaltigt worden war. Dieser bärtige, urwüchsige, urige… 

Im aktuellen Fall wird ein junger, mittelaltriger Vater vor den Augen seiner japanischen Frau und seines Sohnes in München niedergestochen, als er versucht, einem Typen, der auf der Straße liegt zu helfen. Das hat man von Hilfsbereitschaft und Gutmenschentun. Deutschland, nimm dir ein Beispiel an diesem Tatort! Dafür wird man nur hinterrücks erstochen. Du hast es da eher mit dem „Last Don“, dessen Motto ist: „Let them all swim at the bottom of the ocean!“ Auf jeden Fall fangen die an, den Mörder zu suchen. Verdächtigen erst einen Obdachlosen, dann einen leicht oder schwer durchgeknallten Türken, der  sein Jura-Studium abgebrochen hat, sich aber trotzdem für oberschlau hält. Während die Frau des Opfers, die Japanerin, weiter leidet (eigentlich unrealistisch…ja, ich hör ja schon auf, ich halt ja schon die Klappe!!!). München nicht verlassen kann, bis der Täter gefunden ist. Was sich nicht so leicht gestaltet, da auch der durchgeknallte, türkische Ex-Jura-Student ermordet wird und am Ende sogar die Frau in ihrem Haus von einem Trittbrettfahrer (einem Trittbrettpsychopathen sozusagen) überfallen, mit der Original-Tatwaffe, die der Psycho an dem Tag des Mordes an ihrem Mann gefunden hat, als er den Täter beobachtet hat, wie er sie wegwarf. Aber auch der Psycho, der sich selbst ewigen Frieden verschafft, in dem er aus dem Fenster seines Hochhauses springt ist nicht der Täter, obwohl einer der Ermittler die Frau des Opfers, die die Messerattacke überlebt hat, belügt, damit wenigstens sie nach Japan zurückgehen und ihren Frieden finden kann.

Und dann ist der Fall zu Ende. Und du denkst: Scheiße. Dürfen die das? Einen Fall einfach ungeklärt enden lassen. Dann können die ganzen Omis und alten Knacker, die das gucken, doch bestimmt die ganze Nacht nicht schlafen…das geht doch gar nicht. Oder doch? Siehst du doch, dass es geht.

Du guckst dir das an, bei Twitter, twitterst ein bisschen und siehst, dass das sogar ein wahrer Fall ist. Deswegen ist er also ungelöst. Geil! Weil die Polizei in echt auch keinen Mörder gefunden hat. Krass!

Und dann hast du einen Flash. Diesen Flash, den du öfter hattest in letzter Zeit. Diesen Paranoia-Flash. Du denkst an Nuri von der Arbeit. Keinen Ahnung, wo das jetzt herkommt. Du denkst daran, dass da irgendwas nicht stimmen kann. Und genau in diesem Moment sagt eine Frauenstimme im Fernsehen: „Wenn du das Gefühl hast, dass etwas nicht stimmt, dann musst du dem auf den Grund gehen…“ Oder sagt die das vorher und du wirst deswegen leicht para? Keine Ahnung. Auf jeden Fall bist du jetzt leicht para und schiebst den Film, den du seit der Trennung immer wieder geschoben hast. Das mit Nuri und deiner Frau und Rudi und allem und jedem. Deinem Chef. Sie war da, hat den Schlüssel für dich zurückgebracht. Wenn der da…warum hört der Spanisch, südamerikanisches Spanisch, gesprochen von südamerikanischen Frauen auf seinem Handy?? Wenn der das doch nicht versteht?? Ich hör doch auch keine japanischen minutenlang, ohne die zu verstehen. Der hat doch eh Dreck am Stecken, der Typ. Mit seinen fünf Fünfhunderten, die er vor deinen Augen rausholt. Fünfhunderter in Umschlägen. Verdächtig. Aber jetzt echt: Du hast da ganz stark dieses Gefühl, dass da was nicht stimmt. Mit dem, mit deiner Frau, mit deiner Trennung, mit allem. Bist du jetzt para oder ist da was dran? Oder beides? Wie kann das denn sein?! Du hast da so deinen Verdacht. Er hat einen Verdacht. Das ist schon komisch, da gibt es schon so einige Verdachtsmomente. Auch dieser Araber, den du damals rausgeschmissen hast. Dreimal hintereinander. Der will dir nicht aus dem Kopf. Wo du alleine in Barcelona warst und deine Frau mit deiner Tochter nach einer Woche nachgekommen ist. Eine Woche noch alleine in Bonn war. Der dir gedroht hat, dich gefragt hat: Hast du Familie? Dessen Freund ist wieder aufgetaucht auf deiner Arbeit, hat jedes Mal, als du kamst, um nach dem Rechten zu sehen, irgendwie komisch gelacht, mit diesem Schmierer, der neben ihm saß. Der ihn geküsst hat, zur Begrüßung. Wie schwul ist das denn?! Der auch damals den Typen verteidigt hat, den du dreimal rausgeschmissen hast. Das ist schon irgendwie komisch alles.

Aber bestimmt bist du nur para…

Wie immer…

Du guckst aus dem Fenster nach draußen, als könntest du da was sehen. Aber es ist nur dunkel, draußen. Stockdunkel.









Sonntag, 23. Oktober 2016

Traumdeutung: Insekten, Spinnen und Hackfleisch










Nachts träumst du von Spinnen. Horror.

Du hattest schon vorher, als du nach Hause kamst und mit deinem Topf Nudeln mit Hackfleisch im Bett lagst, so ein komisches Gefühl. Vielleicht lag das ja daran, dass du später auch noch von Spinnen geträumt hast. Wer weiß. Du kamst wie gesagt nach Hause, legtest dich ins Bett, vor dir der Topf mit den restlichen Nudeln mit Hackfleisch, Zwiebeln, Knoblauch und Bolognese-Sauce, und auf einmal hattest du ein ganz komisches Gefühl. Einen Moment lang dachtest du, dass sich in den Nudeln etwas bewegte. Oder daneben, neben dem Topf im Bett. Keine Ahnung. Das sieht man ja auch nicht unbedingt, in einem Topf voller Nudeln und Hackfleisch, bei all den Krümmungen und Windungen, ob sich da nicht doch ein Insekt drunter befindet. Es ist ja nicht das erste Mal, dass er einen dieser grünen oder braunen Käfer in der Wohnung findet. Das bleibt ja nicht aus, wenn man in der Nähe des Waldes wohnt. Letztens spazierte so ein Käfer, mit all seinen Stacheln und Panzern und Fühlern seelenruhig über das schneeweiße Betttuch. Bis er ihn mit einem Hausschuh ins Jenseits beförderte – direkt nachdem er den ersten Schreck verdaut hatte. Und in der Küche hat er letztens auch einen runden, grünen Käfer erwischt, wie er über die Ablage neben der Spüle und unter dem Fenster spazierte. Der war ein bisschen schneller, aber auch nicht schnell genug. Und wer weiß schon, was sonst noch so alles durch die Wohnung marschiert. Er denkt manchmal was passieren würde, wenn man alle Insekten in seiner Umgebung sichtbar machen könnte, zum Beispiel wie bei einem Nachtsichtgerät in Rottönen. Wahrscheinlich würde man dann schreiend rauslaufen, doch wenn die draußen genauso sichtbar wären, wäre das sicherlich auch keine Lösung…

Aber das war komisch, das mit dem Essen. Da hatte er einen richtigen Horror. Denn er glaubt wirklich die ganze Zeit aus dem Augenwinkel etwas gesehen zu haben. Wie sich etwas bewegte. Entweder im Topf oder unmittelbar daneben. So sicher war er sich da nicht, aber das war schon komisch. Aber wahrscheinlich kann man auch nicht immer seinem Instinkt, seinem Bauchgefühl vertrauen. Obwohl die das immer sagen: Hör auf deinen Bauch. Vielleicht war das auch, weil es schon spät war (zwei Uhr nachts, um genau zu sein)… Und er müde war… Denn wenn da wirklich etwas drinnen gewesen wäre…dann wäre das Tier, das Insekt doch bestimmt vor seiner Gabel geflüchtet oder. Raus aus dem Topf. Und dann hätte er es bestimmt entdeckt, irgendwie. Und am Ende war auch der Hunger stärker, denn die Nudeln jetzt nicht zu essen oder gar wegzuschmeißen, das wäre dann auch zu viel des Guten. Nur, weil man das Gefühl hat, dass sich da drinnen was bewegt. Außerdem entdeckt man das ja so oder so, früher oder später, je leerer der Topf wird. Das heißt nur, wenn man es nicht vorher bei lebendigem Leib aus Versehen mitgegessen hat (man sieht ja die Fühler und den Kopf nicht, wie er verzweifelt versucht, sich aus dem Mund hinaus zu winden. Und er sah nichts, auch als der Topf immer leerer wurde nicht. Das sind doch Fluchttiere – wie deine Ex –, die bleiben doch nicht im Topf und stellen sich dem Kampf mit deinem hungrigen, dicklippigen Mund. Ne, da war nichts.

Aber vielleicht außerhalb des Topfes… Zur Sicherheit guckte er am Ende noch mal in den leeren Topf. Aber da war nichts. Kein Insekt, nichts. Nur rote Saucen und halbweiße Nudelreste. Kein Tier, geschweige denn eine…


Aber vielleicht wirkte das ja noch nach, wirkte noch in seinen Traum hinein. Vielleicht war es ja auch sein voller Magen vor dem Schlafengehen, der ihn schlecht träumen ließ (das soll ja auch nicht so ideal sein), mit oder ohne Fleischbeilage in Form von Insekten. Das war ja auch fast ein halber Topf Nudeln. Auf jeden Fall hatte er einen ganz komischen Traum. Er lag im Bett, das – glaub ich – auch seins war, war wach und rund um das Bett herum waren Spinnen. So richtig große. Manche mit langen, dünnen Beinen und Körpern und manche mit kräftigen, haarigen Beinen und Körpern. Groß wie Vogelspinnen – sowohl die dünnen als auch die dicken. Die saßen da ganz komisch, alle hintereinander in einer Reihe, in einer Linie, so als wären die Teil einer Armee, so als wären die irgendwie organisiert. Ganz viele, überall um das Bett herum. Lauernd. Darauf wartend, dass er den ersten Move macht, den ersten Schritt. Um dann blitzschnell zuzuschlagen. Sobald er sich auch nur einen Zentimeter bewegte. Aber im Moment verharrten die noch alle in ihrer Aufstellung. Fein säuberlich nach Spinnenarten getrennt. Scheiße. Es gab kein Entkommen. Die waren überall. Wenn er aufgestanden wäre, wäre er hundertpro auf mindestens eine draufgetreten. Und ob die dann so ruhig, so diszipliniert geblieben wären. In Reihe und Glied. Am Ende – aber das weiß er nicht mehr ganz so genau (Träume sind so schnell wieder weg, sobald man aufwacht) – hat er glaub ich doch versucht, eine von denen zu töten, nach ihr zu schlagen. Eine von den fetten, haarigen. Nicht von den dünnen, langbeinigen, unbehaarten. Er hat nach ihr geschlagen, ich glaube sogar mit irgendeinem Gegenstand (einem Messer?) und ist richtig tief eingedrungen in ihr fettes Fleisch. So dass das Blut förmlich spritzte. Das Spinnenblut. Das es dieser Plätschergeräusch machte oder wie auch immer man es nennen soll, wenn es spritzt. Und dann ist er aufgewacht, wahrscheinlich weil sein Körper, oder Kopf, den Traum nicht mehr länger aushalten konnte…

Er hat zwar nicht geschrien – wie letztens, als er nachts plötzlich das Gefühl hatte, dass irgendwas mit seinem Körper nicht stimmte, mit seiner Durchblutung, dass er vielleicht sogar einen Schlaganfall oder Herzinfarkt bekommen könnte, dass er sterben könnte. Aber er ist ins Bad gerannt, den Boden genau musternd – ob sich das was bewegte – und hat sich vor den Spiegel gestellt. Warum stellt man sich bei Alpträumen eigentlich immer im Bad vor den Spiegel? Um sich selber wieder bewusst zu werden. Dass man (selbst) noch da ist. Dass das prekäre „Ich“ noch existiert und nicht vom „Es“ aufgefressen wurde. Doch, er sah gut aus im Spiegel. Trotz seiner bald vierzig Jahre.

Das hielt ihn aber nicht davon ab, danach nicht mehr einschlafen zu können, das Licht anzulassen (beide Lampen!), das Bett nach Insekten abzusuchen, immer noch dieses komische Kribbeln in den Beinen zu verspüren. Unter der Decke… Immer wieder aufzustehen, den Fernseher einzuschalten. Auf N24, wo er direkt auch erfuhr, dass er erst 5:34 war (er war erst so um zwanzig nach zwei eingeschlafen), also noch viel zu früh, um wach zu bleiben. Also ging er wieder zurück ins Bett, zurück unter die Decke, zurück zum hoffentlich psychosomatischen Kribbeln in den Beinen, zurück zu den wie bei einem Nachtsichtgerät rot leuchtenden Insekten…

Im Fernsehen lief ein Bericht über die Entstehung und Verbreitung der Atombombe. Für die Leute, die um fünf Uhr morgens noch nicht genug Panik haben. Oder zum Frühstück, für die Frühaufsteher. Aber das war interessant. Wie oft bei N24. Dem Weltuntergangssender, der sich schon sehr ausgiebig mit den Krieg, Bomben, Naturkatastrophen, Außerirdischen, den Sieben Siegeln und dem All beschäftigt. Aber doch nicht so sehr, dass er am Ende nicht doch wieder eingeschlafen wäre…