Sonntag, 1. November 2015

Tag nach Halloween

01.11.15


Heute ist der Tag nach Halloween. Und so fühlt er sich auch an. Der Tag nach Halloween eben. Sollte an Halloween nicht alles enden? 
Nein, offensichtlich nicht. Denn er ist immer noch da, als er um 9:54 aufwacht, obwohl er erst um 5:54 ins Bett gekommen ist. Nachdem er wieder einmal gesündigt hat. Gott verzeihe es ihm. Aber darüber werde ich heute nicht reden. Das muss erst von meiner Anwältin genehmigt werden - und das kann dauern. Das hat sie selbst gesagt. So eine Scheidung dauert fast so lang wie eine Ehe. Und kostet doppelt so viel Kraft. Aber es ist ja auch nicht so viel Schlimmes passiert. Was soll schon passiert sein?! Er hat niemanden ermordet (zumindest noch nicht), es ist auch keiner vergewaltigt worden (leider?!) und noch nicht mal eine auch nur allzu kleine Körperverletzung hat sich zugetragen (er wollte zwar, aber das passende Opfer hat sich leider nicht ergeben). Aber trotzdem könnte das Geschehene den mittlerweile gefühlte zwei Jahrhundert dauernden Scheidungsprozess negativ beeinflussen und sie wissen ja: Anwälte sind da Spaßbremsen, wenn es dazu kommt, öffentlich über seine kleinen und vielleicht doch etwa größeren Verfehlungen zu reden. Und bis die das genehmigt, das kann dauern. Nach der Scheidung vielleicht. Nach der Scheidung wird alles besser! Das hat er sich fest vorgenommen. Wenn die Scheidung erst mal durch ist, werde ich ein ganz neuer Mensch! Ich werde mein verkkorkstes Leben komplett umdrehen. Ich werde meine Traumfrau finden - und sie natürlich nicht ehelichen (ich bin doch nicht blöd, zweimal den gleichen Fehler zu machen) -, ich werde in meinem Traumjob arbeiten (obwohl ich noch immer keine Ahnung habe, welcher das denn sein könnte) und ich werde endlich glücklich sein (you bet!). Kurzum: Nach der Scheidung wird alles schlagartig besser. Oder auch nicht. Da werde ich Ihnen von allen Schandtaten erzählen, die ich während der Trennungszeit begangen habe, von allen Gesetzen, die ich gebrochen habe. Dann bin ich frei. Vogelfrei. Aber im Moment eben noch nicht. Deswegen muss das warten und wir bewahren Stillschweigen. Offiziell ist nichts passiert. Ich kam um zwei Uhr nachts brav von der Arbeit nach Hause und bin dann nicht wieder bis fünf rausgegangen. Nein, das bin ich nicht. Pssst! Um um 5 Uhr, nachdem ich brav meine Mails gecheckt habe und natürlich nichts anderes Unanständiges oder moralisch Verwerfliches getan habe,bin ich natürlich auch nicht erst um 5:54 ins Bett gegangen. Schwamm drüber! Wir bauen alle Scheiße. Wir dürfen uns nur nicht dabei erwischen lassen. Und erst recht nicht, es der Welt in einem Blog mitteilen. Ich hoffe, man (oder besser gesagt: Ex-Frau) hat mich nicht dabei erwischt und anosnsten schweige ich wie ein Grab.

Was mich zu diesem komischen stillen Feiertag bringt, der heute ist. Nein, nicht Tag der Toten, obwohl ich mich so fühle als wär ich gestorben und nicht wieder aufgestanden. Kein Wunder, bei den paar Stunden schlaf, die ich nach gestern Nacht hatte. Meine Beine tun immer noch weh. Vom vielen Umherlaufen, nicht von irgendwas anderem - was denken Sie denn wieder? Aber dazu sage ich ohne meine Anwältin nichts - und die liegt hier glaub ich nicht neben mir im Bett.
Mal nachgucken...

Ne, keine Spur von Frau ******. Puh, da bin ich aber beruigt. Dann dürfte die mich nachher gar nicht mehr vertreten, wär befangen. Nach einer Nacht mit mir wär sie das bestimmt. Auch meine Finger tun weh und sind blutig. Nein, das ist kein Halloween-Kunstblut. Das ist echtes. Meins. Keine Ahnung von wem sonst noch. Nein, nur Spaß. Ich schwöre! Bei Gott! Und den sieben Geißlein. Das ist nur meins. Das ist so eine üble Angwohnheit von mir. Wenn ich nervös bin oder Scheiße gebaut habe, knabbere ich mir die Finger wund. die Nagelbetten, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Ja, meine Betten sind heute morgen weiß Gott (ich schwöre) nicht ganz in bester Ordnung. Aber das passt doch zum Tag nach Halloween. Mit dem Blut anderer an deinen Händen aufzuwachen (nein, immer noch nur Spaß!). Nicht zu wissen, was gestern passiert ist. Mit einem trockenen Kater. Nein: Es ist eigentlich ganz harmlos - und ganz anders. Das mache ich schon ewig lange. Immer nur solange bis Blut kommt. Dann höre ich natürlich direkt auf. Das können Sie mir glauben! Wirklich! Das ist so eine Art Ritzen für Arme. Für arme Depressive. Die reichen können sich natürlich saubere Rasierklingen leisten, während die Armen immer noch an ihren Fingern rumknabbern, bis das Blut nur so spritzt. Ich lecke kurz an dem am übelsten aussehenden Finger (der rechte Daumen) und mache dann den Fernseher an.

Wie immer gucke ich Fußball. Erst die Zusammenfassungen der Samstagsspiele bei Bundesliga Pur, dann den Doppelpass. Nicht, weil mich die Spiele oder der Fußball-Talk im Doppelpass oder gar die illustren Gäste so interessieren, sondern weil das eine der wenigen Routinen ist, die ich aus meiner gescheiterten Ehe in mein mindestens genauso gescheitertes Single-Dasein hinüberretten konnte. Wenn ich erst mal richtig geschieden bin, wird das alles natürlich besser. Heute laufen sogar direkt die Bayern. Bestimmt, weil die das Freitagsspiel hatten. Oder weil sie ausnahmsweise mal 0:0 gespielt haben. Aber das kann ich heute nicht. Das geht heute nicht. Ich muss raus. Sonst sterbe ich. Sonst geh ich kaputt. Sonst werd ich bekloppt. Hier vor dem Fernseher zu liegen und Fußball zu gucken, während überall um mich herum die Welt zusammenbricht und sich letzte Nacht für einen Moment lang, nur einen Moment lang, die Tür zur Hölle einen Spaltbreit geöffnet hat. Aber davon kann und darf ich ja nichts erzählen. Nur so viel: There's a fine line between legal and illegal, love and hate, life and death.Das geht gar nicht. Und obwohl ich mit viel Glück gute vier Stunden unruhig geschlafen habe und mir die Beine immer noch vom vielen nächtlichen Laufen wehtun, verschwende ich keine Zeit. Werfe mich in meine Sport-Kluft. Ziehe meine schwarze No-Name-Trainingshose an, ein altes England-Trikot, das noch keine oder nur wenige Stockflecken hat und zur Krönung meine Tarnjacke. Nein, kein hippes Flecktarn oder gar diese russischen Tarnjacken für das ewige Eis. Nein, nur schnödes Graubraun. Braun, das mal grau war odergrau, das mal braun war. Die Jacke natürlich nicht zugeknöfpt, damit das England-Trikot halb zu sehen ist - ich bin ja kein kompletter Assi. Es ist ja schließlich stiller Feiertag. Totensonntag oder irgendsowas. Wenigstens ist das Trikot gewaschen. Trotzdem schäme ich mich ein bisschen für meine "Sportkluft" und versuche, so schnell wie möglich in den Wald zu kommen. Dort bin ich sicher vor allem. Keine aufdringlichen Blicke, keine Gedankan an Nadine und María. Dort kann ich vergessen.

Vergessen, dass meine Finger, die ich noch tiefer in die Seitentaschen der Tarnjacke grabe, immer noch zu bluten scheinen. Wie bei Jesus. Ein Wunder. Oder diesen Marienstatuen, die leiden und leiden. Das ganze Leben unter der lange vollzogenen Trennung zu leiden scheinen. Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Wunder gibt es immer wieder... Zum Beispiel jetzt, hier neben diesem unscheinbaren Gartenzaun in Bonn-Ippendorf (das genau so ist, wie es klingt: Einfamilienhäuser, Luxus-Blocks mit Eisentor und mittendrin meine Bleibe). Nein, es ist nicht Nadine, die voller Reue splitterfasernackt aus den Büchen gesprungen kommt, um mich mit ihrem kleinen südamerikanischen, dichten, schwarzen Büschlein zu vergewaltigen. Schön wär's! Wovon träumst du nachts?!

Genau davon...

...eigentlich.

Ok.

Nein, sie ist weder gekommen, um mich zu vergewaltigen noch um mich zu ermorden. Sie ist gar nicht da. Aber da liegt trotzdem was auf dem Boden, das meine Aufmerksamkeit erregt. Ein Twix! Zuerst denke ich, es ist nur die Verpackung, aber als ich es dann mit dem Fuß anstupse, merke ich, dass die Packung noch intakt ist, dass da noch was drin ist. Zuerst bin ich skeptisch (nicht, dass das vergiftet ist...oder angeknabbert...oder beides), doch dann hebe ich die silbrig-goldene Packung auf
und sehe, dass sie noch intakt ist. Nicht, dass das kleine Löcher drin sind...durch die jemand etwas hineingespritzt hat um fetten, gierigen, liebeshungrigen Depressiven wie mir ins Jenseits zu helfen. Aber das ist nichts und auch das Verfallsdatum stimmt. 02.10.12, hier steht's ganz klar. Nein, nur ein Witz. 2016. Also stecke ich das Twix als kleine Wegzehrung ein, obwohl mir noch immer nicht ganz geheuer ist, dass es in der Tasche meinen blutenden Fingern gefährlich nahe kommt. Einmal gucke ich mich noch kurz um, aber mich hat keiner gesehen. Die haben alle Besseres zu tun, als Sonntagsmorgens hier rumzugammeln. Die haben Familie und Frauen, oder eben Besseres zu tun.
Vielleicht ist das ja auch ein Zeichen. Eine Aufmunterung von Gott, wenn ich schon durch die Hölle gehen muss. Oh, Gott, lassen Sie mich doch damit in Ruhe. Keine Zeichen mehr. Nicht noch eins dieser Zeichen, denke ich und esse die beiden Twix keine 20 Schritte weiter zur Sicherheit auf. Es schmeckt gut - hey, dann musst du heute wenigstens nicht verhungern, selbst wenn du verblutest. Du bist jetzt fast am Waldrand. Du bist fast am Ziel, dort, wo du alle Sorgen vergessen wirst, wenn du nur weit und lange genug läufst.

So weit kannst du gar nicht laufen...

Doch! Kannst du! Du machst das heute wie Eminem. Der hat das damals auch so gemacht, um sich von seiner Drogen- bzw. Frauenabhängigkeit zu befreien. Da ist der glaub ich ganze Marathone (heißt das so?) gelaufen, nur um zu vergessen.Seine Mutter und seine Frau zu vergessen. Hey, wie bei dir! Wenn das bei dem geklappt hat...geht das bei dir bestimmt auch 100% schief. Sieht man ja. Es ist ja nicht so, dass Eminem in jedem ernst gemeinten Lied immer noch unter einen Mutterkomplex leidet, den er nahtlos auf seine spätere Frau übertragen hat, während er seine Tochter vergöttert. Kommt dir das nicht irgendwoher bekannt vor? Es ist ja nicht so, dass Eminem in schöner Regelmäßigkeit von Mutter und Frau in Prozesse verwickelt wird, die er dann mit viel Geld aus der Welt schafft.

Aber du gibst nicht auf! Du hast noch eine Idee, die dich bestimmt wieder aus dem Loch ziehen wird, in dem sich dein Leben befindet. Das ist die Idee. Die Lösung all deiner Sorgen. Ich werde mich selber konditionieren! Wie der pawlowsche Hund. Das ist es! Jedes Mal, wenn ich heute an Nadine denken muss, werde ich zehn Liegestützen machen. Perfekt! Es gibt nur einen kleinen Haken: Entweder siehst du dann heute Abend aus wie Popeye oder du liegst spätestens nach einer halben Stunde halbtot unterm Tisch, deine Arme dein gebrochenes Herz umklammernd, dass nach der gestrigen Nacht der Toten endgültig den Geist aufgegeben hat. Aber der Trick bei diesen Ideen ist ja. Du fängst erst heute Abend damit an. Und bis dahin hast du sie eh entweder vergessen oder verdrängt. Aber vielleicht würde das wirklich funktionieren. Jedes Mal, wenn du an sie denken musst, 10 Liegestützen. Irgendwann bist du sie dann so satt, dass dein Gehirn automatisch die Gedanken an sie ausschaltet. Später. Erstmal ist der Waldlauf dran.
Du gehst unter den ersten auf beiden Seiten der Straße durch, schließt die Augen. Das ist wie Hypnose, wenn man nur lang genug läuft. Als wär man high. Ja, high von Nadine. Du machst die Augen wieder auf. Wir wollen ja nicht, dass zu der Hypnose irgendeine andere "-ose" dazukommt, so tollpatschig wie du bist.

Und wenn Sie jetzt denken: Das klingt doch alles ganz lustig. Dem sein Leben ist doch gar nicht so schlimm, wie er immer tut, der irrt ein bisschen durch den Wald mit blutigen Fingern, aber eigentlich geht es dem gar nicht so schlecht, dann lassen Sie sich das Folgende gesagt sein: Das sind alles nur psychische Abwehrmechanismen. Damit ich mir meiner Realität nicht bewusst werde. Damit mache ich Ihnen und mir etwas vor. Eigentlich fühlte ich mich kein bisschen belustigt, sondern trage schon seit Monaten dieses stumpfe, dumpfe Gefühl der Enttäuschung mit mir rum, das mich nicht zur Ruhe kommen lässt. Das ist doch nicht die ganze Wahrheit, was ich Ihnen hier erzähle. Die ganze Wahrheit würde meine Scheidungsanwältin doch nie erlauben. Und nie verstehen. Und nicht nur sie. Wer kann die Wahrheit schon vertragen?! Die Wahrheit über unser alltägliches Leben und Sterben. Wer kann die Scheiß-Wahrheit schon vertragen?! Wer will sie schon hören?!

Ich will sie ja selbst vergessen, die momentane Wahrheit meiner Existenz in diesem Land. Dass ich kaum noch Kontrolle über irgendwelche Erziehungsfragen habe, da meine Frau absichtlich jegliche Kommunikation mit mir blockiert. Vielleicht sogar aus ihrer Sicht berechtigterweise, aber ob das fair gegenüber meiner 16-jährigen Tochter ist, steht auf einem anderen Blatt. Dass ich nicht weiß, was sie bei ihr am Wochenende macht, was ihr von ihr erlaubt wird, weil es - wie schon erwähnt keinen Austausch zwischen uns gibt. Noch nicht mal über unsere Tochter. Dass alles nur gemacht wird, egal was die Konsequenzen sind. Alles wird von ihr verfügt. Sie treibt sich auf gleich mehreren dubiosen Single-Seiten rum, auf denen sie das Facebook-Foto postet, auf dem sie direkt neben ihrer Tochter zu sehen ist. Wie verzweifelt kann man eigentlich sein? Oder steckt da etwas anderes dahinter. Ich stehe nur daneben und muss zusehen, wie das alles passiert. Mit mir und mit meiner Tochter. Die Anwältin hilft auch nicht, da die Mühlen der Justiz so langsam mahlen, dass da gar nichts zu machen ist. Das sind unhaltbare Zustände. Klar, dass ich da manchmal einfach die Augen verschließen will und wie in Trance durch den Wald laufen will, nur um die Wahrheit nicht zu sehen: Dass ich nach Strich und Faden belogen, betrogen und verarscht werde. Vielleicht schon seit Jahren. Ungestraft. Ohne Konsequenzen. Und was kann ich Legales dagegen machen? Nichts! Und Illegales. Genau das will ja Nadine. Dass bei mir der Geduldsfaden reißt. Darauf spekuliert sie ja. Wie früher bei unseren zahlreichen Streits. Und wer ist/war immer der Dumme? Ich! Sie nie. Das macht mich so wütend, aber was soll ich denn machen? Außer mich mit meiner Ohnmacht, meiner Wut zu arrangieren? Und totmüde wie Falschgeld durch den Wald zu laufen. Einsam und alleine. Ohne große Unterstützung meiner Familie, meines Vaters (der genauso einsilbig ist wie Nadine) und meiner Schwester, die nicht nur in Florida wohnt, sondern auch meine E-Mails nur sporadisch beantwortet. Aber trotzdem stelle ich mich dem schwersten Kampf meines Lebens. So ist das eben. Ich stehe meinem Leben schon viel zu lange ohnmächig gegenüber. Laufe durch den Wald meines Lebens und sehe ihn noch nicht mal richtig vor lauter Bäumen. Ich weiß, dass man im Leben nicht alles und jeden kontrollieren kann, aber das Leben kann auch nicht nur aus totaler Ohnmacht bestehen.
Also läufst du, um wenigstens die Kontrolle über deinen eigenen Körper zurückzugewinnen. Das, was du kontrollieren kannst, musst du auch kontrollieren. Außerdem ist es gar nicht so schlecht, sonntags immer weiter geradeaus durch den Wald zu laufen. Immerhin scheint eine kalte Sonne, die mich sogar blendet.

So schließt er die Augen. Er will einfach nur weg, am besten in die Sonne, die Sonne des Südens. Aber er kann nicht. María muss zuerst ihre Schule fertig machen. Was denkt eigentlich Nadine, wie lange ich noch hier wäre, wenn María nicht wär. Aber er ist eben ein guter Vater, versucht das Beste aus einer Scheiß-Situation zu machen, ohne dass es ihm jemand dankt. Ganz allein. Allein gegen die Mafia. Aber selbst diese Sonne ist gut. Das erhöht das Glücksgefühl, setzt Glückshormone im Körper frei. Angeblich. Und die kann er weiß Gott gebrauchen.

Einfach nur laufen. Immer weiter. Vielleicht sogar ein bisschen joggen. Ein paar Meter. An nichts denken. Und kaum denkt er das, ist sie wieder da, in seinem Kopf, er wird sie einfach nicht los, seine Ex. Sie ist wie ein Parasit, der sich auf Dauer in seinem Hirn eingerichtet hat. Aber wenigstens ist er nicht zu Hause. Eingesperrt in seinen vier Wänden, die sich noch immer nicht wie seine vier Wäde anfühlen und dies wahrscheinlich auch nie tun werden. Einfach vergessen können, das wär's. Aber dafür ist sein Kopf nicht gemacht, denn der rattert selbst hier draußen pausenlos weiter, wie eine Maschine, die sich pausenlos im Kreis dreht, obwohl er geradeaus geht. Immer weiter, solange dies eben nötig ist. Nur um am Ende den gleichen Weg wieder zurückzugehen, ein bisschen kaputter, aber nicht befreiter. Vielleicht kann er ja so seinem Kopf wenigstens für ein paar Augenblicke entkommen.

Keine Ahnung, wo dieser Weg hinführt. Keine Ahnung, wo diese Scheiße hinführt, aber der Wald und die Bäume haben schon was Beruhigendes. All diese Bäume, monoton und doch undruchdringbar. Wie es wohl wäre, einfach im Wald zu verschwinden. Aber du hast ja Angst vor Zecken. Sogar ein Pferd kommt dir rechts auf dem Pferdeweg entgegen. Mit einem Mädchen. Es sind fast immer Mädchen. Wie deine Tochter, die du heute nicht sehen wirst. Weil es nicht dein Tag ist. Dieser Spalier aus dunklen Tannen auf beiden Seiten, der Himmel schon wieder grau, die Sonnenstrahlen fast ganz verschwunden. Zwei weitere Pferde links, die schwer atmen und schon schneller sind. Man hört genau das Tier in ihnen. Du spürst es auch, das Tier in dir. Du gehst immer weiter, aber dein Gehirn hört nicht auf zu rattern.

Für sie muss es auch frustrierend sein. Genau: Das ist es!Auch für sie ist die momentane Situation frustrierend. Unbefriedigend. Vielleicht sogar sexuell undbefriedigend. Wenn sie sich bei all diesen Single-Börsen anmelden. Aber vielleicht macht sie das auch um rumzuficken. Was weißt du denn schon? Nichts. Du kannst nur Punkte sammeln, die für sie frustrierend sind.Oder es zumindest sein müssten.So genau weißt du es denn auch nicht. Wer weiß schon, was sie denkt?! Also, was ist für sie frustrierend:

1) Sie sieht María nicht so oft, wie sie es gerne wollte.

2) Dadurch verliert sie in gewisser Weise ihr Gesicht vor ihrer Familie. Aber da sie gar nicht mit ihrer Familie zusammenwohnt - wie du gestern rausgefunden hast (fragen Sie mich bitte nicht wie) - ist das doch nicht so schlimm, wie du gedacht hast.

3) Sie weiß, dass du sie in gewisser Weise in der Hand hast. Weil sie schwarz arbeitet, was sie immer schon getan hat.

4) Sie weiß nicht, was du willst oder vorhast.

Eigentlich sind das doch schon ein paar Punkte, die für dich sprechen.

Und so läufst du ein bisschen leichter weiter.

Joggst sogar ein paar Meter.

Aber das Problem ist: Du liebst sie immer noch. Und das weiß sie und nutzt es gnadenlos aus.
Egal: Heute laufe ich so lange, bis ich tot umfalle oder nicht mehr an sie denken muss. Viel Spaß! Und auf einmal kommen mir diese komischen Gedanken.

Donnerstag, 29. Oktober 2015

Abkacken, aber wenigstens glücklich

 
29.10.15





Es ist Donnerstag-Morgen 10:24 und er, unser natürlich rein fiktiver Mensch, der natürlich überhaupt nichts mit unserer alltäglichen Realität zu tun hat (der sowieso nicht!), der natürlich nicht auf einer wahren Begebenheit basiert, sitzt auf dem Klo und kackt. Er hat kein Klopapier (sehen Sie, die Realität ist ihm viel zu profan), aber was soll’s. Er hätte es ohnehin nicht mehr bis zum Rossmann ausgehalten. Und was soll er auch, die Arschbacken zusammenkneifend, sich bis zum Rossmann vorkämpfen, nur um dann so vor der Kassiererin zu stehen, die Beine verdreht, den Körper windend, mit einem 8ter-Pack Klopapier in der Hand (Was hat das schon mit der Realität zu tun?). 
Also bleibt er einfach sitzen. Das dickste Ergebnis ist es eh nicht, denkt er, das war wohl eher sowas wie die Nachhut seines großen Geschäfts von vorhin, wo er den letzten Rest Klopapier, den ihm seine Tochter übriggelassen hat (seit wann verbraucht sie so viel?), den Klo runtergespült hat. Da hilft nichts. Aber plötzlich denkt er: Was soll’s?! Scheiß doch drauf! Es ist doch egal. Kack in die Disko.

Und er wird ganz ruhig. Sein Blutdruck geht von üblichen 160/1000 auf null runter und er denkt: Ich bin glücklich. Keine Ahnung, warum. Gleich muss ich mir eine Arschdusche verpassen, aber im Moment, hier auf der Schüssel sitzend, bin ich tatsächlich glücklich. Können Sie sich das vorstellen?! Wahrscheinlich nicht, aber das wäre ihm im Moment auch egal. Er muss noch soviel machen, aber was soll’s. Scheiß doch drauf. Dünne, rötlich-braune Kacke.

Er muss noch bügeln, er muss zur Arbeit gehen, er muss dummen Schülern dumme Sachen beibringen, er muss noch gucken, ob seine Exe angerufen hat, er muss mit ihr noch über ihre gemeinsame Tochter reden, er muss noch spülen (seine/ihre Tochter war nämlich zu faul dafür), er muss noch seinen Unterricht vorbereiten, er muss noch einkaufen er muss bügeln er muss spülen er muss sich anziehen er muss sich nicht mehr die Zähne putzen er muss sich um so viel kümmern, aber…

…im Moment muss er gar nichts.

Er muss nur sein Glück genießen.

Monday morning a job that you despise a boss that you despise a life that you despise…

Und trotzdem ist er glücklich. Nicht zufrieden, aber glücklich. Ausgeglichen. Mit sich und der Welt im Reinen.

Ach, sterben muss er auch noch, aber selbst das kann warten. Auf der mobilen Box läuft Pulp…

…und er muss absolut gar nichts.

Ach, leckt mich doch alle am Arsch!

Er hat die Ruhe weg.

Dabei müsste er so viel Scheiße...

(in 50 Jahren interessiert das eh keinen mehr, was er heute machen musste)


Donnerstag, 22. Oktober 2015

Ein bisschen Hoffnung und unendlich viel Wut


22.10.15





 



An der Haltestelle packt er in seine Hosentasche und spürt den Rosenkranz, den Nadine ihm aus Ecuador mitgebracht hat. Heute Morgen hat er ihn wieder eingesteckt. Wie früher, als er noch dauernd gesagt hat: "Wenn es dich gibt, Gott, dann mach, dass wir wieder zusammenkommen." Heute tut er das nicht mehr, obwohl er die Hoffnung immer noch nicht ganz aufgegeben hat.

...früher, als er noch Kerzen angezündet hat und in der Kathedrale von Barcelona dafür gebetet hat, dass sie wieder zusammenkommen. Bei der Schutzheiligen aller Eheleute in der Krise, aller Getrennten, aller Idioten, die immer noch an den Weihnachtsmann und das Christkind glauben (ja, die gibt's wirklich, nicht den Weihnachtsmann und das Christkind, sondern die Schutzheilige, aber er hat ihren Namen vergessen). Ihren Namen hat er natürlich noch nicht vergessen, Gott und die Schutzheilige bewahre! Wie sollte er denn auch?! Denn es fehlt immer was. Wenn er vor dem Computer sitzt und María neben ihm (auf Nadines Seite des Bettes) ans Kopfende gelehnt Fernsehen guckt. Sie fehlt. Marías kleines Gesichtchen, wie sie friedlich schläft. Du willst sie nicht wecken, willst sie nicht so abrupt wecken, rausschmeißen, in ihr neues Zimmer schicken. Sie ist immer noch sein kleines, süßes Kindchen. Das wird sie auch immer bleiben. Sein goldenes Kind. Aber der Platz an ihrer Seite ist leer. Es ist niemand da, der sie abends wärmt und die beschissene Heizung in seiner neuen Wohnung, in ihrem neuen alten Zimmer fällt auch immer wieder aus. Er beobachtet seine friedlich schlafende Tochter einen Augenblick lang und denkt daran, wie unfair das ist, dass ihre Mutter fehlt. "Du machst das Beste in deiner momentanen Situation", hörst du deine Schwester sagen, aber trotzdem bleibt da dieses Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt, dass das alles nicht gerecht ist. Das ist die Welt auch nicht und du bist ja kein Kind mehr, aber trotzdem.
   Warum vermisst sie Ihre Tochter nicht, wenn sie die ganze Woche über bei mir ist? Jede Woche. Eigentlich ist sie bei uns beiden der Wochenend-Daddy.


***

Er verliert sich im langsam dunkel werdenden Wald und in der fast vollkommenen Dunkelheit seiner Seele. Seine Gedanken kreisen immer wieder um das Gleiche. Er muss sich jetzt erst einmal abreagieren. Das ist jetzt genau das Richtige. Wenn er jetzt nach Hause geht, dann gibt es Tote.
   "Das ist gut, wenn wir uns abends treffen. Wenn ich davor schon gelaufen bin. Dann bin ich auch ruhiger."
   "Ok?"
   Es sind immer wieder die gleichen Fragen.
   Wie konnte sie nur zum Anwalt gehen, wenn sie es ist, die die ganzen Jahre schwarz gearbeitet hat und er derjenige, der sie all die Jahre gedeckt hat - finanziell und sexuell.
   Zählt das denn gar nicht?!
   Wie konnte sie nur zu denen gehen? Ausgerechnet zu ihrer Schwester und diesem Wichser. Kaum ist der wieder hier, ist sie weg. Siehst du. Dann war meine Angst all die Jahre also doch berechtigt? Aber die kriegen es. Die denken er macht nichts, er hat nur ein großes Maul, nur weil er bisher noch nicht zugeschlagen hat, weil er noch auf den richtigen Moment wartet, immer auf die Wut in seinem Bauch hörend. Der Rafael, dem gibt er es irgendwann. Dem und seiner Familie. Der hat seine Familie und seine eigenen kleine Familie ist zerstört. Das hast du deiner Schwester gar nicht gesagt. Wie wütend du darauf bist, dass dem seine Familie gar nichts davon mitbekommen hat, damals, dass der noch eine vernünftige Beziehung zu seiner Frau und seinen Kindern hat, obwohl deine Tochter all die Jahre den ganzen Ärger, den ganzen Streit mitbekommen musste. Nur weil die blöde Kuh von seiner Frau in ständig belogen oder angeschwiegen hat. Und er musste das alles mit anhören. Dem seine Familie hat nie darunter gelitten.

Ich will seinen Kopf, denkst du, als du am Ende des Feldes um die Kurve biegst. Auf einem Silbertablett. Der Himmel ist jetzt ganz genau und das leichte Tröpfeln ist zu einem ausgewachsenen Regenschauer geworden. Es ist fast so, als würde die Natur sein Inneres spiegeln. Es ist kaum noch jemand unterwegs. Nur du und deine Wut. Du ballst die Fäuste. Du bist so wütend; wenn der jetzt um die Ecke biegen würde, der würde das Tageslich nie wieder sehen. Es würde eh nicht funktionieren, weil sie genau weiß, dass du Rache willst, dass du Köpfe rollen sehen willst. Du siehst sie noch vor dir, in Ecuador. Du bist extra aus Deutschland gekommen, um sie zu heiraten und sie lächelt breit Rafaels Bruder an, diesen Ettore, diesen hässlichen Wichser. Bei dem baile, der Dorfdisko im Stadion. Tanzt ausgelassen mit ihm. Vor deiner Nase. Bestimmt wusste der da schon, dass sie heimlich was mit seinem Bruder hatte. Dieses Arschloch. Dein Knie tut mittlerweile weh, aber du musst sowieso nach Hause. Du kannst ja nicht hier im Wald einfach stehenbleiben und darauf warten, dass dich die Dunkelheit vollends verschlingt. Schön wär's. Du hast so die Schnauze voll.
   Du hast...
   Du hasst...
   Es ist auch so schon dunkel genug. Du guckst dich um. Du meinst noch etwas anderes zu hören, etwas anderes als die Tropfen, die der Wind von den Ästen haut. Aber du siehst nichts. Nur die ständig wachsende Dunkelheit hinter dir, fast schon wie ein Tunnel, der sich langsam aber stetig auf dich zubewegt. Die dunklen Tannen wie ein Schrein. Das ist nichts und vielleicht ist ja genau das, das was dich so zusammenzucken lässt.
   Und selbst wenn. Du würdest es eh nicht sehen, selbst wenn da jemand, etwas wär. Mit deinen schlechten Augen. Du meinst immer noch etwas zu hören,Geräusche, die nicht der üppigen , feucht-kühlen Natur entspringen, sondern menschlicher Natur sind. Schritte in deinem Rücken. Aber das würdest du doch sehen, wenn da jemand wär. Oder nicht? Bei deinen Augen. Und dem Dämmerlicht. Du wirfst einen Blick in den dichten Wald links des Weges. Die Baumreihen wirken undurchdringlich. Direkt jenseits des Weges fängt die Dunkelheit an.
   Wieder guckst du dich um. Nicht, dass Nadine jemand auf dich angesetzt hat. Oder das ist Raúl oder einer seiner Brüder persönlich. Oder noch schlimmer: Sie selbst. Würde sie selbst in der Dämmerung mitten im Wald hinter dir herlaufen? Hätte sie keine Angst, dass ihr selber etwas zustößt, bevor sie...
...dass sie vergewaltigt wird, zwischen den Bäumen, von einem Perversen, den ihre Schwester nicht kommt. Kaum wahrscheinlich.
   Du traust dich noch nicht mal stehenzubleiben. Die Dunkelheit oder was auch immer dach sonst nochso hinter dir herkreucht und fleucht könnte dich ja einholen. Insgeheim willst du auch gar nicht wissen, ob danoch was ist, irgendwo versteckt an der Seite des Weges, die immer stärker vor deinen Augen verschwimmt. Dein Knie tut weh. So weit kann die Weggabelung doch gar nicht sein. So lang kann das Feld doch gar nicht sein. Du bist doch jetzt hier schon eine gefühlte Ewigkeit unterwegs. Aber du siehst nichts. Kein Ende in Sicht. Du bist jetzt auch gar nicht mehr wütend, du willst nur noch nach Hause. Raus aus diesem nasskalten unheimlichen, deutschen Dschungel, diesem steinigen Weg, dieser vermeintlichen Menschenleere. Und am Ende kommst du tatsächlich wohlbehalten an der Kreuzung an, siehst zwei Lichter im Wald. Ein Auto. Scheiße. Wer fährt den hier mit dem Auto entlang. Um diese Uhrzeit. Ein Killer! Nadine in ihrem roten Polo, die es auf dich abgesehen hat! Mit Schaum vor dem Mund am Steuer sitzt.

Samstag, 17. Oktober 2015

Stuck in a moment that you can't get out of

 
17.10.15





Aber warum an Karneval denken? Das kann sie doch jetzt auch schon machen. Das macht sie doch jetzt auch schon.

Ok, ich weiß: Ich kann zocken, wichsen, essen so viel ich will. Aber es fehlt immer was. Es fehlt immer diese eigentümliche menschliche Wärme, diese Präsenz eines geliebten Menschen, die María nicht 100% ersetzen kann. Wie sollte sie auch?!

Aber was will man machen. Man kann die Liebe nicht erzwingen.
Ich stelle mir vor, wie sie zu mir auf die Arbeit kommt und was ich dann sagen würde („Was machst du denn hier?“

„Waren wir nicht getrennt?!“ (und sie geht wieder, ohne etwas zu sagen, gesagt zu haben)

„Ich komm ja auch nicht zu dir auf die Arbeit!“ (man muss doch nett sein, wenn man sich wieder trifft, wenn man wieder zusammenkommen will, wenn man das wirklich will“) aber im Grunde meines Herzens weiß ich, dass das nicht passieren wird, dass das nur Wunschdenken ist.

Und das bringt mich nicht weiter.

Nichts bringt mich im Moment weiter. Außer vielleicht mein oder ihr Tod. Am nächsten Tag wäre ich mit María in Spanien. Am nächsten Tag wäre ich weg, ob sie will oder nicht.
Aber das bringt mich auch nicht weiter.

Weil mich nichts weiterbringt.

Und schon wieder läuft Supergirl im Radio.

She’s a Supergirl.

She’s a Supergirl.

She’s a Supergirl.

…and Supergirls don’t cry.

And you know why.

Because their (not so super men are crying
All the time)

Because they’re not quite such 
Supermen

And Supermen always cry

Cause they know they have to die.

Die Trauer dauert eben so lang wie die Trauer nun mal dauert.

Und wenn sie ein ganzes Leben lang dauert, dann dauert sie eben so lang.

Years are not minutes.

***




„Nadi, ich liebe dich“, sage ich zu mir selbst, als ich durch die Kälte zurück zur Spielhalle laufe, nur mit einem Hemd bekleidet.

Es ist kalt und der Himmel ist herbstlich trüb, so als wäre die ganze Welt in einen Nebelschleier gehüllt. Und ich gehe durch diese fast schon dunkle Gasse zur Spielhalle zurück, blicke auf die Mauer aus roten Backsteinen und bin traurig.

Wie war das heute in dem mexikanischen Buch? Pedro Páramo befindet sich in einer Welt zwischen Leben und Tod, an der Schwelle zum Totenreich.

Ich komme mit leeren Händen zurück, der eigentlich verbotene Ausflug von der Spielhalle zum Rewe war umsonst. Die Seife war einfach zu teuer, trotz der 10 Euro Trinkgeld. Die hatten nur die von CD und von Nivea und nicht die billige für 29 Cent. Das Shampoo war mit 1.99 sogar schon weit jenseits von Gut und Böse, sozusagen im Niemandsland zwischen Tod und Leben. Im Lidl bezahle ich niemals  1.99 dafür. Für 2 Packungen vielleicht, aber doch nicht für eine.

In der Passage kurz vor dem Park denke ich, dass ich María einfach liebe und dass es auch im Ausland nicht besser würde, da ich sie vermissen würde wie bekloppt. Außerdem kann ich sie wohl kaum ganz Nadine und ihrer verkorksten Familie überlassen. Also bringt das nichts. Also muss ich hier bleiben, im Niemandsland zwischen…Sie wissen schon.

„Ich liebe dich“, sage ich zu niemandem, in die kalte Abendluft hinein.

Als ich wieder sicher verstaut in der warmen Spielhalle sitze, kommt plötzlich eine kleine Ausländerin rein und sagt irgendetwas, dass ich nicht verstehe.

„Gut?“

„Häh…“

„Gut? Twenty-two.“

„Äh.“

Die sieht gut aus und lächelt und hat lockige Haare und will was sagen, das ich nicht verstehe.

Am Ende gibt sie auf:

„Forget it.“

Ok.

Sieht nicht schlecht aus. Ist aber eine Ausländerin. Die dich bestimmt nur ausnutzen würde wie 

Nadine.

Vielleicht ist es ja sogar gut, dass ich nichts verstanden habe.

Das kannst du sowieso vergessen, das mit der Liebe.

Dann kommt der Trinkgeldgeber wieder, will wieder spielen, obwohl er schon eben genug gewonnen hat. Diese Spieler sind genauso einsam wie du. Aber die ham wenigstens Spaß. Oder auch nicht? Wer weiß. Auf jeden Fall läuft im Radio Supergirl.

…cause she’s a Supergirl…

…and Supergirls don’t cry

…they just let their husbands…

…die.



***

Um elf Uhr, kurz vor meiner Putzphase, überkommt es mich dann doch wieder, dieses Gefühl der Traurigkeit, des Verlustes. Keine Ahnung warum.

…weil ich an Karneval denke. Und daran, was Nadine an Karneval so alles ohne mich anstellen wird. Alleine. Wenn sie alles bumsen wird, während ich – immer noch trauernd – alleine Zuhause sitze.
Muss diese Trennung wirklich sein? Ich liebe sie doch immer noch. Beim Schreiben dieser Zeilen zucke ich fast zusammen, fange fast an zu heulen. Das ist so eine Scheiße. Wir passten so gut zusammen

Haha

wenn wir wirklich gut zusammengepasst hätten, wären wir dies noch.

…nämlich zusammen.

Sind wir aber nicht.

…ist es aber nicht.

Nein: Wir sind für immer getrennt, entzweit.

…und das macht mich bekloppt.


Samstag, 11. Juli 2015

Barcelona-Logbuch Tag 6



11.07.15







(Barcelona-Logbuch, Tag 6; Tag 6 (erst?????????) der neuen, endgültigen Kontaktsperre (KS) und Tag 1 meines neuen, Lebens ohne dich!!!!!!)

Und da ist es schon wieder. Beim Wäscheaufhängen. Das gemurmelte „Ich liebe Nadine“. Das von ganz unten in deiner Seele zu kommen scheint.

Weiche von mir, Teufel!

Weiche von mir Teufel!
Zehn Strafkerzen in der Kathedrale von Barcelona. (Oh, das wird teuer!)

Ich bin noch da, keine Angst. Hatte nur keinen Bock/keine Zeit zu schreiben, weil ich gerade in der viertschönsten Stadt der Welt nicht anderes tue, als an meine EXE zu denken. Das können Sie mir ruhig glauben. Die Russin von gestern Abend war ein Ausrutscher. Die ist vor meiner Tür ausgerutscht und in mein Bett gefallen. Da musst ich ihr doch unter die Matratze helfen. Unter die Decke meine ich natürlich. Sie hätte sich ja bei dem Sturz ihre Weichteile (partes blandas auf Spanisch!) verziehen können. Das kann übel ausgehen. Deshalb mussten wir das erstmal wieder gerade biegen. Und wenn du zuhörst, Andenteufel (weiche von mir, weiche von mir!), das ist alles Lüge. Das ist nur Entertainment, um den Blog interessant zu halten. Ich leide wie ein Tier, so wie ich bei 35 Grad am Strand schwitze. Bei den ganzen Bikinis. 

Oder im Gegenteil: Ich denke gar nicht mehr an dich. Bin schon lange über dich weg. Habe schon zehn Neue (nichts Festes dabei, aber das wollte ich nach dir eh nicht mehr!).

Und wenn meine Schwester mitliest: Die harten Sachen spare ich mir für Deutschland auf! Ich weiß, da bist du schon ganz heiß drauf, aber ich bin doch nicht blöd. Mir meinen ersten Single-Urlaub seit gefühlten 1000 Jahren zu versauen. Versaut ist er eh schon durch die ständigen Gedanken an meinen geliebten Andentiger.

Die Saga geht weiter!








Samstag, 13. Juni 2015

Lieder zu denen ich beerdigt werden will



Samstag, 13. Juni 2015




Im Radio läuft Everybody hurts von REM. Das ist – wie du Nadine so oft gesagt hast – eins der vier Lieder, die du auf deiner Beerdigung hören willst. Das heißt, du willst sie nicht hören, weil du sie ja dann wahrscheinlich nicht mehr hören kannst, sondern du willst, dass sie gespielt werden. Aber von wem, jetzt, wo Nadine weg ist. Scheiße, daran hatte ich noch gar nicht gedacht! Wer spielt denn jetzt auf deiner Beerdigung die vier Lieder deines Lebens. Das ist wahrhaft eines deiner brennendsten Probleme, besonders im Moment.

Aber damit sie nicht aufhören zu lesen, weil sie so depressiv sind, dass sie jetzt erstmal nichts mehr von Trennung, Tod und Trauer hören wollen und deshalb zum Modelleisenbahnen- oder Barbiepuppenblog wechseln, hier erstmal die vier Lieder:

1)      November Rain von Guns’n’Roses (das Beziehungslied schlechthin, also reden wir lieber nicht drüber…)

2)      Perfect Day von Lou Reed (Das traurig-schönste aller Zeiten. Das mit dem perfekten Tag ist durchaus ironisch-ernst gemeint: drink sangria in the park, feed animal s in the zoo and later, when it gets dark, we go home – was gibt es Traurog-Schöneres!)
Und dann, wenn die paar Leutchen, die Sargträger und der Pfarrer noch immer nicht heulen oder schreiend die Flucht ergriffen haben, kommt es:

3)      Everybody hurts REM. Das ist glaub ich selbstredend! Hören Sie es sich an und sie wissen, was ich meine.

Das vierte und letzte Lied hab ich vergessen, aber ich bin ja schließlich auch noch nicht tot. Nur halbtot, wie alle anderen auch. Vielleicht ein bisschen mehr als alle anderen, aber eben noch nicht zu 100%. Das fällt mir bestimmt noch, ich hab ja noch hoffentlich ein bisschen Zeit. Und wenn nicht, ist auch egal.

Andererseits: Jetzt heißt es schnell sterben! Sonst hast du keinen, der auf deiner Beerdigung die Lieder für dich spielt. Ach, Scheiße, den hast du ja auch so nicht mehr, jetzt, wo sie für immer weg ist.

Wer früher stirbt ist länger tot.

Hoooold on…

…cause everybody hurts…

…don’t let yourself go…

Da kommen auch Latinos vor, in dem Video. Die sitzen in einem der Autos in dem Stau. Du hasst alle Latinos. Früher hast du sie geliebt…

Bis sie wieder da ist?

Hoooooold on…

Solange kann ich mit dem Sterben weiß Gott nicht warten.