01.11.15
Heute ist
der Tag nach Halloween. Und so fühlt er sich auch an. Der Tag nach
Halloween eben. Sollte an Halloween nicht alles enden?
Nein, offensichtlich
nicht. Denn er ist immer noch da, als er um 9:54 aufwacht, obwohl er
erst um 5:54 ins Bett gekommen ist. Nachdem er wieder einmal gesündigt
hat. Gott verzeihe es ihm. Aber darüber werde ich heute nicht reden. Das
muss erst von meiner Anwältin genehmigt werden - und das kann dauern.
Das hat sie selbst gesagt. So eine Scheidung dauert fast so lang wie
eine Ehe. Und kostet doppelt so viel Kraft. Aber es ist ja auch nicht so
viel Schlimmes passiert. Was soll schon passiert sein?! Er hat
niemanden ermordet (zumindest noch nicht), es ist auch keiner
vergewaltigt worden (leider?!) und noch nicht mal eine auch nur allzu
kleine Körperverletzung hat sich zugetragen (er wollte zwar, aber das
passende Opfer hat sich leider nicht ergeben). Aber trotzdem könnte das
Geschehene den mittlerweile gefühlte zwei Jahrhundert dauernden
Scheidungsprozess negativ beeinflussen und sie wissen ja: Anwälte sind
da Spaßbremsen, wenn es dazu kommt, öffentlich über seine kleinen und
vielleicht doch etwa größeren Verfehlungen zu reden. Und bis die das
genehmigt, das kann dauern. Nach der Scheidung vielleicht. Nach der
Scheidung wird alles besser! Das hat er sich fest vorgenommen. Wenn die
Scheidung erst mal durch ist, werde ich ein ganz neuer Mensch! Ich werde
mein verkkorkstes Leben komplett umdrehen. Ich werde meine Traumfrau
finden - und sie natürlich nicht ehelichen (ich bin doch nicht blöd,
zweimal den gleichen Fehler zu machen) -, ich werde in meinem Traumjob
arbeiten (obwohl ich noch immer keine Ahnung habe, welcher das denn sein
könnte) und ich werde endlich glücklich sein (you bet!). Kurzum: Nach
der Scheidung wird alles schlagartig besser. Oder auch nicht. Da werde
ich Ihnen von allen Schandtaten erzählen, die ich während der
Trennungszeit begangen habe, von allen Gesetzen, die ich gebrochen habe.
Dann bin ich frei. Vogelfrei. Aber im Moment eben noch nicht. Deswegen
muss das warten und wir bewahren Stillschweigen. Offiziell ist nichts
passiert. Ich kam um zwei Uhr nachts brav von der Arbeit nach Hause und
bin dann nicht wieder bis fünf rausgegangen. Nein, das bin ich nicht.
Pssst! Um um 5 Uhr, nachdem ich brav meine Mails gecheckt habe und
natürlich nichts anderes Unanständiges oder moralisch Verwerfliches
getan habe,bin ich natürlich auch nicht erst um 5:54 ins Bett gegangen.
Schwamm drüber! Wir bauen alle Scheiße. Wir dürfen uns nur nicht dabei
erwischen lassen. Und erst recht nicht, es der Welt in einem Blog
mitteilen. Ich hoffe, man (oder besser gesagt: Ex-Frau) hat mich nicht
dabei erwischt und anosnsten schweige ich wie ein Grab.
Was mich
zu diesem komischen stillen Feiertag bringt, der heute ist. Nein, nicht
Tag der Toten, obwohl ich mich so fühle als wär ich gestorben und nicht
wieder aufgestanden. Kein Wunder, bei den paar Stunden schlaf, die ich
nach gestern Nacht hatte. Meine Beine tun immer noch weh. Vom vielen
Umherlaufen, nicht von irgendwas anderem - was denken Sie denn wieder?
Aber dazu sage ich ohne meine Anwältin nichts - und die liegt hier glaub
ich nicht neben mir im Bett.
Mal nachgucken...
Ne, keine
Spur von Frau ******. Puh, da bin ich aber beruigt. Dann dürfte die mich
nachher gar nicht mehr vertreten, wär befangen. Nach einer Nacht mit
mir wär sie das bestimmt. Auch meine Finger tun weh und sind blutig.
Nein, das ist kein Halloween-Kunstblut. Das ist echtes. Meins. Keine
Ahnung von wem sonst noch. Nein, nur Spaß. Ich schwöre! Bei Gott! Und
den sieben Geißlein. Das ist nur meins. Das ist so eine üble Angwohnheit
von mir. Wenn ich nervös bin oder Scheiße gebaut habe, knabbere ich mir
die Finger wund. die Nagelbetten, wie meine Mutter zu sagen pflegte.
Ja, meine Betten sind heute morgen weiß Gott (ich schwöre) nicht ganz in
bester Ordnung. Aber das passt doch zum Tag nach Halloween. Mit dem
Blut anderer an deinen Händen aufzuwachen (nein, immer noch nur Spaß!).
Nicht zu wissen, was gestern passiert ist. Mit einem trockenen Kater.
Nein: Es ist eigentlich ganz harmlos - und ganz anders. Das mache ich
schon ewig lange. Immer nur solange bis Blut kommt. Dann höre ich
natürlich direkt auf. Das können Sie mir glauben! Wirklich! Das ist so
eine Art Ritzen für Arme. Für arme Depressive. Die reichen können sich
natürlich saubere Rasierklingen leisten, während die Armen immer noch an
ihren Fingern rumknabbern, bis das Blut nur so spritzt. Ich lecke kurz
an dem am übelsten aussehenden Finger (der rechte Daumen) und mache dann
den Fernseher an.
Wie immer
gucke ich Fußball. Erst die Zusammenfassungen der Samstagsspiele bei
Bundesliga Pur, dann den Doppelpass. Nicht, weil mich die Spiele oder
der Fußball-Talk im Doppelpass oder gar die illustren Gäste so
interessieren, sondern weil das eine der wenigen Routinen ist, die ich
aus meiner gescheiterten Ehe in mein mindestens genauso gescheitertes
Single-Dasein hinüberretten konnte. Wenn ich erst mal richtig geschieden
bin, wird das alles natürlich besser. Heute laufen sogar direkt die
Bayern. Bestimmt, weil die das Freitagsspiel hatten. Oder weil sie
ausnahmsweise mal 0:0 gespielt haben. Aber das kann ich heute nicht. Das
geht heute nicht. Ich muss raus. Sonst sterbe ich. Sonst geh ich
kaputt. Sonst werd ich bekloppt. Hier vor dem Fernseher zu liegen und
Fußball zu gucken, während überall um mich herum die Welt zusammenbricht
und sich letzte Nacht für einen Moment lang, nur einen Moment lang, die
Tür zur Hölle einen Spaltbreit geöffnet hat. Aber davon kann und darf
ich ja nichts erzählen. Nur so viel: There's a fine line between legal and illegal, love and hate, life and death.Das
geht gar nicht. Und obwohl ich mit viel Glück gute vier Stunden unruhig
geschlafen habe und mir die Beine immer noch vom vielen nächtlichen
Laufen wehtun, verschwende ich keine Zeit. Werfe mich in meine
Sport-Kluft. Ziehe meine schwarze No-Name-Trainingshose an, ein altes
England-Trikot, das noch keine oder nur wenige Stockflecken hat und zur
Krönung meine Tarnjacke. Nein, kein hippes Flecktarn oder gar diese
russischen Tarnjacken für das ewige Eis. Nein, nur schnödes Graubraun.
Braun, das mal grau war odergrau, das mal braun war. Die Jacke natürlich
nicht zugeknöfpt, damit das England-Trikot halb zu sehen ist - ich bin
ja kein kompletter Assi. Es ist ja schließlich stiller Feiertag.
Totensonntag oder irgendsowas. Wenigstens ist das Trikot gewaschen.
Trotzdem schäme ich mich ein bisschen für meine "Sportkluft" und
versuche, so schnell wie möglich in den Wald zu kommen. Dort bin ich
sicher vor allem. Keine aufdringlichen Blicke, keine Gedankan an Nadine
und María. Dort kann ich vergessen.
Vergessen,
dass meine Finger, die ich noch tiefer in die Seitentaschen der
Tarnjacke grabe, immer noch zu bluten scheinen. Wie bei Jesus. Ein
Wunder. Oder diesen Marienstatuen, die leiden und leiden. Das ganze
Leben unter der lange vollzogenen Trennung zu leiden scheinen. Es
geschehen noch Zeichen und Wunder. Wunder gibt es immer wieder... Zum
Beispiel jetzt, hier neben diesem unscheinbaren Gartenzaun in
Bonn-Ippendorf (das genau so ist, wie es klingt: Einfamilienhäuser,
Luxus-Blocks mit Eisentor und mittendrin meine Bleibe). Nein, es ist
nicht Nadine, die voller Reue splitterfasernackt aus den Büchen
gesprungen kommt, um mich mit ihrem kleinen südamerikanischen, dichten,
schwarzen Büschlein zu vergewaltigen. Schön wär's! Wovon träumst du
nachts?!
Genau davon...
...eigentlich.
Ok.
Nein, sie
ist weder gekommen, um mich zu vergewaltigen noch um mich zu ermorden.
Sie ist gar nicht da. Aber da liegt trotzdem was auf dem Boden, das
meine Aufmerksamkeit erregt. Ein Twix! Zuerst denke ich, es ist nur die
Verpackung, aber als ich es dann mit dem Fuß anstupse, merke ich, dass
die Packung noch intakt ist, dass da noch was drin ist. Zuerst bin ich
skeptisch (nicht, dass das vergiftet ist...oder angeknabbert...oder
beides), doch dann hebe ich die silbrig-goldene Packung auf
und
sehe, dass sie noch intakt ist. Nicht, dass das kleine Löcher drin
sind...durch die jemand etwas hineingespritzt hat um fetten, gierigen,
liebeshungrigen Depressiven wie mir ins Jenseits zu helfen. Aber das ist
nichts und auch das Verfallsdatum stimmt. 02.10.12, hier steht's ganz
klar. Nein, nur ein Witz. 2016. Also stecke ich das Twix als kleine
Wegzehrung ein, obwohl mir noch immer nicht ganz geheuer ist, dass es in
der Tasche meinen blutenden Fingern gefährlich nahe kommt. Einmal gucke
ich mich noch kurz um, aber mich hat keiner gesehen. Die haben alle
Besseres zu tun, als Sonntagsmorgens hier rumzugammeln. Die haben
Familie und Frauen, oder eben Besseres zu tun.
Vielleicht
ist das ja auch ein Zeichen. Eine Aufmunterung von Gott, wenn ich schon
durch die Hölle gehen muss. Oh, Gott, lassen Sie mich doch damit in
Ruhe. Keine Zeichen mehr. Nicht noch eins dieser Zeichen, denke ich und
esse die beiden Twix keine 20 Schritte weiter zur Sicherheit auf. Es
schmeckt gut - hey, dann musst du heute wenigstens nicht verhungern,
selbst wenn du verblutest. Du bist jetzt fast am Waldrand. Du bist fast
am Ziel, dort, wo du alle Sorgen vergessen wirst, wenn du nur weit und
lange genug läufst.
So weit kannst du gar nicht laufen...
Doch!
Kannst du! Du machst das heute wie Eminem. Der hat das damals auch so
gemacht, um sich von seiner Drogen- bzw. Frauenabhängigkeit zu befreien.
Da ist der glaub ich ganze Marathone (heißt das so?) gelaufen, nur um
zu vergessen.Seine Mutter und seine Frau zu vergessen. Hey, wie bei dir!
Wenn das bei dem geklappt hat...geht das bei dir bestimmt auch 100%
schief. Sieht man ja. Es ist ja nicht so, dass Eminem in jedem ernst
gemeinten Lied immer noch unter einen Mutterkomplex leidet, den er
nahtlos auf seine spätere Frau übertragen hat, während er seine Tochter
vergöttert. Kommt dir das nicht irgendwoher bekannt vor? Es ist ja nicht
so, dass Eminem in schöner Regelmäßigkeit von Mutter und Frau in
Prozesse verwickelt wird, die er dann mit viel Geld aus der Welt
schafft.
Aber du
gibst nicht auf! Du hast noch eine Idee, die dich bestimmt wieder aus
dem Loch ziehen wird, in dem sich dein Leben befindet. Das ist die Idee.
Die Lösung all deiner Sorgen. Ich werde mich selber konditionieren! Wie
der pawlowsche Hund. Das ist es! Jedes Mal, wenn ich heute an Nadine
denken muss, werde ich zehn Liegestützen machen. Perfekt! Es gibt nur
einen kleinen Haken: Entweder siehst du dann heute Abend aus wie Popeye
oder du liegst spätestens nach einer halben Stunde halbtot unterm Tisch,
deine Arme dein gebrochenes Herz umklammernd, dass nach der gestrigen
Nacht der Toten endgültig den Geist aufgegeben hat. Aber der Trick bei
diesen Ideen ist ja. Du fängst erst heute Abend damit an. Und bis dahin
hast du sie eh entweder vergessen oder verdrängt. Aber vielleicht würde
das wirklich funktionieren. Jedes Mal, wenn du an sie denken musst, 10
Liegestützen. Irgendwann bist du sie dann so satt, dass dein Gehirn
automatisch die Gedanken an sie ausschaltet. Später. Erstmal ist der
Waldlauf dran.
Du
gehst unter den ersten auf beiden Seiten der Straße durch, schließt die
Augen. Das ist wie Hypnose, wenn man nur lang genug läuft. Als wär man
high. Ja, high von Nadine. Du machst die Augen wieder auf. Wir wollen ja
nicht, dass zu der Hypnose irgendeine andere "-ose" dazukommt, so
tollpatschig wie du bist.
Und wenn
Sie jetzt denken: Das klingt doch alles ganz lustig. Dem sein Leben ist
doch gar nicht so schlimm, wie er immer tut, der irrt ein bisschen durch
den Wald mit blutigen Fingern, aber eigentlich geht es dem gar nicht so
schlecht, dann lassen Sie sich das Folgende gesagt sein: Das sind alles
nur psychische Abwehrmechanismen. Damit ich mir meiner Realität nicht
bewusst werde. Damit mache ich Ihnen und mir etwas vor. Eigentlich
fühlte ich mich kein bisschen belustigt, sondern trage schon seit
Monaten dieses stumpfe, dumpfe Gefühl der Enttäuschung mit mir rum, das
mich nicht zur Ruhe kommen lässt. Das ist doch nicht die ganze Wahrheit,
was ich Ihnen hier erzähle. Die ganze Wahrheit würde meine
Scheidungsanwältin doch nie erlauben. Und nie verstehen. Und nicht nur
sie. Wer kann die Wahrheit schon vertragen?! Die Wahrheit über unser
alltägliches Leben und Sterben. Wer kann die Scheiß-Wahrheit schon
vertragen?! Wer will sie schon hören?!
Ich will
sie ja selbst vergessen, die momentane Wahrheit meiner Existenz in
diesem Land. Dass ich kaum noch Kontrolle über irgendwelche
Erziehungsfragen habe, da meine Frau absichtlich jegliche Kommunikation
mit mir blockiert. Vielleicht sogar aus ihrer Sicht berechtigterweise,
aber ob das fair gegenüber meiner 16-jährigen Tochter ist, steht auf
einem anderen Blatt. Dass ich nicht weiß, was sie bei ihr am Wochenende
macht, was ihr von ihr erlaubt wird, weil es - wie schon erwähnt keinen
Austausch zwischen uns gibt. Noch nicht mal über unsere Tochter. Dass
alles nur gemacht wird, egal was die Konsequenzen sind. Alles wird von
ihr verfügt. Sie treibt sich auf gleich mehreren dubiosen Single-Seiten
rum, auf denen sie das Facebook-Foto postet, auf dem sie direkt neben
ihrer Tochter zu sehen ist. Wie verzweifelt kann man eigentlich sein?
Oder steckt da etwas anderes dahinter. Ich stehe nur daneben und muss
zusehen, wie das alles passiert. Mit mir und mit meiner Tochter. Die
Anwältin hilft auch nicht, da die Mühlen der Justiz so langsam mahlen,
dass da gar nichts zu machen ist. Das sind unhaltbare Zustände. Klar,
dass ich da manchmal einfach die Augen verschließen will und wie in
Trance durch den Wald laufen will, nur um die Wahrheit nicht zu sehen:
Dass ich nach Strich und Faden belogen, betrogen und verarscht werde.
Vielleicht schon seit Jahren. Ungestraft. Ohne Konsequenzen. Und was
kann ich Legales dagegen machen? Nichts! Und Illegales. Genau das will
ja Nadine. Dass bei mir der Geduldsfaden reißt. Darauf spekuliert sie
ja. Wie früher bei unseren zahlreichen Streits. Und wer ist/war immer
der Dumme? Ich! Sie nie. Das macht mich so wütend, aber was soll ich
denn machen? Außer mich mit meiner Ohnmacht, meiner Wut zu arrangieren?
Und totmüde wie Falschgeld durch den Wald zu laufen. Einsam und alleine.
Ohne große Unterstützung meiner Familie, meines Vaters (der genauso
einsilbig ist wie Nadine) und meiner Schwester, die nicht nur in Florida
wohnt, sondern auch meine E-Mails nur sporadisch beantwortet. Aber
trotzdem stelle ich mich dem schwersten Kampf meines Lebens. So ist das
eben. Ich stehe meinem Leben schon viel zu lange ohnmächig gegenüber.
Laufe durch den Wald meines Lebens und sehe ihn noch nicht mal richtig
vor lauter Bäumen. Ich weiß, dass man im Leben nicht alles und jeden
kontrollieren kann, aber das Leben kann auch nicht nur aus totaler
Ohnmacht bestehen.
Also
läufst du, um wenigstens die Kontrolle über deinen eigenen Körper
zurückzugewinnen. Das, was du kontrollieren kannst, musst du auch
kontrollieren. Außerdem ist es gar nicht so schlecht, sonntags immer
weiter geradeaus durch den Wald zu laufen. Immerhin scheint eine kalte
Sonne, die mich sogar blendet.
So
schließt er die Augen. Er will einfach nur weg, am besten in die Sonne,
die Sonne des Südens. Aber er kann nicht. María muss zuerst ihre Schule
fertig machen. Was denkt eigentlich Nadine, wie lange ich noch hier
wäre, wenn María nicht wär. Aber er ist eben ein guter Vater, versucht
das Beste aus einer Scheiß-Situation zu machen, ohne dass es ihm jemand
dankt. Ganz allein. Allein gegen die Mafia. Aber selbst diese Sonne ist
gut. Das erhöht das Glücksgefühl, setzt Glückshormone im Körper frei.
Angeblich. Und die kann er weiß Gott gebrauchen.
Einfach
nur laufen. Immer weiter. Vielleicht sogar ein bisschen joggen. Ein paar
Meter. An nichts denken. Und kaum denkt er das, ist sie wieder da, in
seinem Kopf, er wird sie einfach nicht los, seine Ex. Sie ist wie ein
Parasit, der sich auf Dauer in seinem Hirn eingerichtet hat. Aber
wenigstens ist er nicht zu Hause. Eingesperrt in seinen vier Wänden, die
sich noch immer nicht wie seine vier Wäde anfühlen und dies
wahrscheinlich auch nie tun werden. Einfach vergessen können, das wär's.
Aber dafür ist sein Kopf nicht gemacht, denn der rattert selbst hier
draußen pausenlos weiter, wie eine Maschine, die sich pausenlos im Kreis
dreht, obwohl er geradeaus geht. Immer weiter, solange dies eben nötig
ist. Nur um am Ende den gleichen Weg wieder zurückzugehen, ein bisschen
kaputter, aber nicht befreiter. Vielleicht kann er ja so seinem Kopf
wenigstens für ein paar Augenblicke entkommen.
Keine
Ahnung, wo dieser Weg hinführt. Keine Ahnung, wo diese Scheiße hinführt,
aber der Wald und die Bäume haben schon was Beruhigendes. All diese
Bäume, monoton und doch undruchdringbar. Wie es wohl wäre, einfach im
Wald zu verschwinden. Aber du hast ja Angst vor Zecken. Sogar ein Pferd
kommt dir rechts auf dem Pferdeweg entgegen. Mit einem Mädchen. Es sind
fast immer Mädchen. Wie deine Tochter, die du heute nicht sehen wirst.
Weil es nicht dein Tag ist. Dieser Spalier aus dunklen Tannen auf beiden
Seiten, der Himmel schon wieder grau, die Sonnenstrahlen fast ganz
verschwunden. Zwei weitere Pferde links, die schwer atmen und schon
schneller sind. Man hört genau das Tier in ihnen. Du spürst es auch, das
Tier in dir. Du gehst immer weiter, aber dein Gehirn hört nicht auf zu
rattern.
Für sie
muss es auch frustrierend sein. Genau: Das ist es!Auch für sie ist die
momentane Situation frustrierend. Unbefriedigend. Vielleicht sogar
sexuell undbefriedigend. Wenn sie sich bei all diesen Single-Börsen
anmelden. Aber vielleicht macht sie das auch um rumzuficken. Was weißt
du denn schon? Nichts. Du kannst nur Punkte sammeln, die für sie
frustrierend sind.Oder es zumindest sein müssten.So genau weißt du es
denn auch nicht. Wer weiß schon, was sie denkt?! Also, was ist für sie
frustrierend:
1) Sie sieht María nicht so oft, wie sie es gerne wollte.
2) Dadurch
verliert sie in gewisser Weise ihr Gesicht vor ihrer Familie. Aber da
sie gar nicht mit ihrer Familie zusammenwohnt - wie du gestern
rausgefunden hast (fragen Sie mich bitte nicht wie) - ist das doch nicht
so schlimm, wie du gedacht hast.
3) Sie weiß, dass du sie in gewisser Weise in der Hand hast. Weil sie schwarz arbeitet, was sie immer schon getan hat.
4) Sie weiß nicht, was du willst oder vorhast.
Eigentlich sind das doch schon ein paar Punkte, die für dich sprechen.
Und so läufst du ein bisschen leichter weiter.
Joggst sogar ein paar Meter.
Aber das Problem ist: Du liebst sie immer noch. Und das weiß sie und nutzt es gnadenlos aus.
Egal:
Heute laufe ich so lange, bis ich tot umfalle oder nicht mehr an sie
denken muss. Viel Spaß! Und auf einmal kommen mir diese komischen
Gedanken.
Ein Blog über das Leben, die Liebe, Beziehungen, Verlust, Angst, Spaß, die Lust, die Lust am Schreiben,Südamerika, Musik, südamerikanische Frauen, die Liebe, Spanisch, Englisch, Schottland, Spanien, Deutschland, dat Rheinland, Kinder, Literatur, Vergänglichkeit, Arbeit, Politik, die Mafia, Urlaub, Gewalt, Verbrechen, Sex, große und kleine Gefühle und vieles, vieles, vieles mehr ...
Sonntag, 1. November 2015
Donnerstag, 29. Oktober 2015
Abkacken, aber wenigstens glücklich
29.10.15
Es ist Donnerstag-Morgen 10:24 und er, unser natürlich rein fiktiver
Mensch, der natürlich überhaupt nichts mit unserer alltäglichen Realität zu tun
hat (der sowieso nicht!), der natürlich nicht auf einer wahren Begebenheit basiert,
sitzt auf dem Klo und kackt. Er hat kein Klopapier (sehen Sie, die Realität ist
ihm viel zu profan), aber was soll’s. Er hätte es ohnehin nicht mehr bis zum Rossmann
ausgehalten. Und was soll er auch, die Arschbacken zusammenkneifend, sich bis zum
Rossmann vorkämpfen, nur um dann so vor der Kassiererin zu stehen, die Beine verdreht,
den Körper windend, mit einem 8ter-Pack Klopapier in der Hand (Was hat das schon
mit der Realität zu tun?).
Also bleibt er einfach sitzen. Das dickste Ergebnis ist es eh nicht, denkt er, das war wohl eher sowas wie die Nachhut seines großen Geschäfts von vorhin, wo er den letzten Rest Klopapier, den ihm seine Tochter übriggelassen hat (seit wann verbraucht sie so viel?), den Klo runtergespült hat. Da hilft nichts. Aber plötzlich denkt er: Was soll’s?! Scheiß doch drauf! Es ist doch egal. Kack in die Disko.
Also bleibt er einfach sitzen. Das dickste Ergebnis ist es eh nicht, denkt er, das war wohl eher sowas wie die Nachhut seines großen Geschäfts von vorhin, wo er den letzten Rest Klopapier, den ihm seine Tochter übriggelassen hat (seit wann verbraucht sie so viel?), den Klo runtergespült hat. Da hilft nichts. Aber plötzlich denkt er: Was soll’s?! Scheiß doch drauf! Es ist doch egal. Kack in die Disko.
Und er wird ganz ruhig. Sein Blutdruck geht von üblichen 160/1000
auf null runter und er denkt: Ich bin glücklich. Keine Ahnung, warum. Gleich muss
ich mir eine Arschdusche verpassen, aber im Moment, hier auf der Schüssel sitzend,
bin ich tatsächlich glücklich. Können Sie sich das vorstellen?! Wahrscheinlich nicht,
aber das wäre ihm im Moment auch egal. Er muss noch soviel machen, aber was soll’s.
Scheiß doch drauf. Dünne, rötlich-braune Kacke.
Er muss noch bügeln, er muss zur Arbeit gehen, er muss dummen
Schülern dumme Sachen beibringen, er muss noch gucken, ob seine Exe angerufen hat,
er muss mit ihr noch über ihre gemeinsame Tochter reden, er muss noch spülen (seine/ihre
Tochter war nämlich zu faul dafür), er muss noch seinen Unterricht vorbereiten,
er muss noch einkaufen er muss bügeln er muss spülen er muss sich anziehen er muss
sich nicht mehr die Zähne putzen er muss sich um so viel kümmern, aber…
…im Moment muss er gar nichts.
Er muss nur sein Glück genießen.
Monday morning a job that
you despise a boss that you despise a life that you despise…
Und trotzdem ist er glücklich. Nicht zufrieden, aber glücklich.
Ausgeglichen. Mit sich und der Welt im Reinen.
Ach, sterben muss er auch noch, aber selbst das kann warten.
Auf der mobilen Box läuft Pulp…
…und er muss absolut gar nichts.
Ach, leckt mich doch alle am Arsch!
Er hat die Ruhe weg.
Dabei müsste er so viel Scheiße...
(in 50 Jahren interessiert das eh keinen mehr, was er heute machen
musste)
Donnerstag, 22. Oktober 2015
Ein bisschen Hoffnung und unendlich viel Wut
22.10.15
An der Haltestelle packt er in seine Hosentasche und spürt den Rosenkranz, den Nadine ihm aus Ecuador mitgebracht hat. Heute Morgen hat er ihn wieder eingesteckt. Wie früher, als er noch dauernd gesagt hat: "Wenn es dich gibt, Gott, dann mach, dass wir wieder zusammenkommen." Heute tut er das nicht mehr, obwohl er die Hoffnung immer noch nicht ganz aufgegeben hat.
...früher, als er noch Kerzen angezündet hat und in der Kathedrale von Barcelona dafür gebetet hat, dass sie wieder zusammenkommen. Bei der Schutzheiligen aller Eheleute in der Krise, aller Getrennten, aller Idioten, die immer noch an den Weihnachtsmann und das Christkind glauben (ja, die gibt's wirklich, nicht den Weihnachtsmann und das Christkind, sondern die Schutzheilige, aber er hat ihren Namen vergessen). Ihren Namen hat er natürlich noch nicht vergessen, Gott und die Schutzheilige bewahre! Wie sollte er denn auch?! Denn es fehlt immer was. Wenn er vor dem Computer sitzt und María neben ihm (auf Nadines Seite des Bettes) ans Kopfende gelehnt Fernsehen guckt. Sie fehlt. Marías kleines Gesichtchen, wie sie friedlich schläft. Du willst sie nicht wecken, willst sie nicht so abrupt wecken, rausschmeißen, in ihr neues Zimmer schicken. Sie ist immer noch sein kleines, süßes Kindchen. Das wird sie auch immer bleiben. Sein goldenes Kind. Aber der Platz an ihrer Seite ist leer. Es ist niemand da, der sie abends wärmt und die beschissene Heizung in seiner neuen Wohnung, in ihrem neuen alten Zimmer fällt auch immer wieder aus. Er beobachtet seine friedlich schlafende Tochter einen Augenblick lang und denkt daran, wie unfair das ist, dass ihre Mutter fehlt. "Du machst das Beste in deiner momentanen Situation", hörst du deine Schwester sagen, aber trotzdem bleibt da dieses Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt, dass das alles nicht gerecht ist. Das ist die Welt auch nicht und du bist ja kein Kind mehr, aber trotzdem.
Warum vermisst sie Ihre Tochter nicht, wenn sie die ganze Woche über bei mir ist? Jede Woche. Eigentlich ist sie bei uns beiden der Wochenend-Daddy.
***
Er verliert sich im langsam dunkel werdenden Wald und in der fast vollkommenen Dunkelheit seiner Seele. Seine Gedanken kreisen immer wieder um das Gleiche. Er muss sich jetzt erst einmal abreagieren. Das ist jetzt genau das Richtige. Wenn er jetzt nach Hause geht, dann gibt es Tote.
"Das ist gut, wenn wir uns abends treffen. Wenn ich davor schon gelaufen bin. Dann bin ich auch ruhiger."
"Ok?"
Es sind immer wieder die gleichen Fragen.
Wie konnte sie nur zum Anwalt gehen, wenn sie es ist, die die ganzen Jahre schwarz gearbeitet hat und er derjenige, der sie all die Jahre gedeckt hat - finanziell und sexuell.
Zählt das denn gar nicht?!
Wie konnte sie nur zu denen gehen? Ausgerechnet zu ihrer Schwester und diesem Wichser. Kaum ist der wieder hier, ist sie weg. Siehst du. Dann war meine Angst all die Jahre also doch berechtigt? Aber die kriegen es. Die denken er macht nichts, er hat nur ein großes Maul, nur weil er bisher noch nicht zugeschlagen hat, weil er noch auf den richtigen Moment wartet, immer auf die Wut in seinem Bauch hörend. Der Rafael, dem gibt er es irgendwann. Dem und seiner Familie. Der hat seine Familie und seine eigenen kleine Familie ist zerstört. Das hast du deiner Schwester gar nicht gesagt. Wie wütend du darauf bist, dass dem seine Familie gar nichts davon mitbekommen hat, damals, dass der noch eine vernünftige Beziehung zu seiner Frau und seinen Kindern hat, obwohl deine Tochter all die Jahre den ganzen Ärger, den ganzen Streit mitbekommen musste. Nur weil die blöde Kuh von seiner Frau in ständig belogen oder angeschwiegen hat. Und er musste das alles mit anhören. Dem seine Familie hat nie darunter gelitten.
Ich will seinen Kopf, denkst du, als du am Ende des Feldes um die Kurve biegst. Auf einem Silbertablett. Der Himmel ist jetzt ganz genau und das leichte Tröpfeln ist zu einem ausgewachsenen Regenschauer geworden. Es ist fast so, als würde die Natur sein Inneres spiegeln. Es ist kaum noch jemand unterwegs. Nur du und deine Wut. Du ballst die Fäuste. Du bist so wütend; wenn der jetzt um die Ecke biegen würde, der würde das Tageslich nie wieder sehen. Es würde eh nicht funktionieren, weil sie genau weiß, dass du Rache willst, dass du Köpfe rollen sehen willst. Du siehst sie noch vor dir, in Ecuador. Du bist extra aus Deutschland gekommen, um sie zu heiraten und sie lächelt breit Rafaels Bruder an, diesen Ettore, diesen hässlichen Wichser. Bei dem baile, der Dorfdisko im Stadion. Tanzt ausgelassen mit ihm. Vor deiner Nase. Bestimmt wusste der da schon, dass sie heimlich was mit seinem Bruder hatte. Dieses Arschloch. Dein Knie tut mittlerweile weh, aber du musst sowieso nach Hause. Du kannst ja nicht hier im Wald einfach stehenbleiben und darauf warten, dass dich die Dunkelheit vollends verschlingt. Schön wär's. Du hast so die Schnauze voll.
Du hast...
Du hasst...
Es ist auch so schon dunkel genug. Du guckst dich um. Du meinst noch etwas anderes zu hören, etwas anderes als die Tropfen, die der Wind von den Ästen haut. Aber du siehst nichts. Nur die ständig wachsende Dunkelheit hinter dir, fast schon wie ein Tunnel, der sich langsam aber stetig auf dich zubewegt. Die dunklen Tannen wie ein Schrein. Das ist nichts und vielleicht ist ja genau das, das was dich so zusammenzucken lässt.
Und selbst wenn. Du würdest es eh nicht sehen, selbst wenn da jemand, etwas wär. Mit deinen schlechten Augen. Du meinst immer noch etwas zu hören,Geräusche, die nicht der üppigen , feucht-kühlen Natur entspringen, sondern menschlicher Natur sind. Schritte in deinem Rücken. Aber das würdest du doch sehen, wenn da jemand wär. Oder nicht? Bei deinen Augen. Und dem Dämmerlicht. Du wirfst einen Blick in den dichten Wald links des Weges. Die Baumreihen wirken undurchdringlich. Direkt jenseits des Weges fängt die Dunkelheit an.
Wieder guckst du dich um. Nicht, dass Nadine jemand auf dich angesetzt hat. Oder das ist Raúl oder einer seiner Brüder persönlich. Oder noch schlimmer: Sie selbst. Würde sie selbst in der Dämmerung mitten im Wald hinter dir herlaufen? Hätte sie keine Angst, dass ihr selber etwas zustößt, bevor sie...
...dass sie vergewaltigt wird, zwischen den Bäumen, von einem Perversen, den ihre Schwester nicht kommt. Kaum wahrscheinlich.
Du traust dich noch nicht mal stehenzubleiben. Die Dunkelheit oder was auch immer dach sonst nochso hinter dir herkreucht und fleucht könnte dich ja einholen. Insgeheim willst du auch gar nicht wissen, ob danoch was ist, irgendwo versteckt an der Seite des Weges, die immer stärker vor deinen Augen verschwimmt. Dein Knie tut weh. So weit kann die Weggabelung doch gar nicht sein. So lang kann das Feld doch gar nicht sein. Du bist doch jetzt hier schon eine gefühlte Ewigkeit unterwegs. Aber du siehst nichts. Kein Ende in Sicht. Du bist jetzt auch gar nicht mehr wütend, du willst nur noch nach Hause. Raus aus diesem nasskalten unheimlichen, deutschen Dschungel, diesem steinigen Weg, dieser vermeintlichen Menschenleere. Und am Ende kommst du tatsächlich wohlbehalten an der Kreuzung an, siehst zwei Lichter im Wald. Ein Auto. Scheiße. Wer fährt den hier mit dem Auto entlang. Um diese Uhrzeit. Ein Killer! Nadine in ihrem roten Polo, die es auf dich abgesehen hat! Mit Schaum vor dem Mund am Steuer sitzt.
Samstag, 17. Oktober 2015
Stuck in a moment that you can't get out of
Aber warum an Karneval denken? Das kann sie doch jetzt auch schon machen. Das macht sie doch jetzt auch schon.
Ok, ich weiß: Ich kann zocken, wichsen, essen so viel ich
will. Aber es fehlt immer was. Es fehlt immer diese eigentümliche menschliche
Wärme, diese Präsenz eines geliebten Menschen, die María nicht 100% ersetzen
kann. Wie sollte sie auch?!
Aber was will man machen. Man kann die Liebe nicht
erzwingen.
Ich stelle mir vor, wie sie zu mir auf die Arbeit kommt und
was ich dann sagen würde („Was machst du denn hier?“
„Waren wir nicht getrennt?!“ (und sie geht wieder, ohne
etwas zu sagen, gesagt zu haben)
„Ich komm ja auch nicht zu dir auf die Arbeit!“ (man muss
doch nett sein, wenn man sich wieder trifft, wenn man wieder zusammenkommen will,
wenn man das wirklich will“) aber im Grunde meines Herzens weiß ich, dass das
nicht passieren wird, dass das nur Wunschdenken ist.
Und das bringt mich nicht weiter.
Nichts bringt mich im Moment weiter. Außer vielleicht mein
oder ihr Tod. Am nächsten Tag wäre ich mit María in Spanien. Am nächsten Tag
wäre ich weg, ob sie will oder nicht.
Aber das bringt mich auch nicht weiter.
Weil mich nichts weiterbringt.
Und schon wieder läuft Supergirl
im Radio.
She’s a Supergirl.
She’s a Supergirl.
She’s a Supergirl.
…and Supergirls don’t cry.
And you know why.
Because their (not so super men are crying
All the time)
Because they’re not quite such
Supermen
And Supermen always cry
Cause they know they have to die.
Die Trauer dauert eben so lang wie die Trauer nun mal
dauert.
Und wenn sie ein ganzes Leben lang dauert, dann dauert sie
eben so lang.
Years are not minutes.
***
„Nadi, ich liebe dich“, sage ich zu mir selbst, als ich
durch die Kälte zurück zur Spielhalle laufe, nur mit einem Hemd bekleidet.
Es ist kalt und der Himmel ist herbstlich trüb, so als wäre
die ganze Welt in einen Nebelschleier gehüllt. Und ich gehe durch diese fast
schon dunkle Gasse zur Spielhalle zurück, blicke auf die Mauer aus roten
Backsteinen und bin traurig.
Wie war das heute in dem mexikanischen Buch? Pedro Páramo
befindet sich in einer Welt zwischen Leben und Tod, an der Schwelle zum
Totenreich.
Ich komme mit leeren Händen zurück, der eigentlich verbotene
Ausflug von der Spielhalle zum Rewe war umsonst. Die Seife war einfach zu
teuer, trotz der 10 Euro Trinkgeld. Die hatten nur die von CD und von Nivea und
nicht die billige für 29 Cent. Das Shampoo war mit 1.99 sogar schon weit
jenseits von Gut und Böse, sozusagen im Niemandsland zwischen Tod und Leben. Im
Lidl bezahle ich niemals 1.99 dafür. Für
2 Packungen vielleicht, aber doch nicht für eine.
In der Passage kurz vor dem Park denke ich, dass ich María
einfach liebe und dass es auch im Ausland nicht besser würde, da ich sie
vermissen würde wie bekloppt. Außerdem kann ich sie wohl kaum ganz Nadine und
ihrer verkorksten Familie überlassen. Also bringt das nichts. Also muss ich
hier bleiben, im Niemandsland zwischen…Sie wissen schon.
„Ich liebe dich“,
sage ich zu niemandem, in die kalte Abendluft hinein.
Als ich wieder sicher verstaut in der warmen Spielhalle
sitze, kommt plötzlich eine kleine Ausländerin rein und sagt irgendetwas, dass
ich nicht verstehe.
„Gut?“
„Häh…“
„Gut?
Twenty-two.“
„Äh.“
Die sieht gut aus und lächelt und hat lockige Haare und will
was sagen, das ich nicht verstehe.
Am Ende gibt sie auf:
„Forget it.“
Ok.
Sieht nicht schlecht aus. Ist aber eine Ausländerin. Die
dich bestimmt nur ausnutzen würde wie
Nadine.
Vielleicht ist es ja sogar gut, dass ich nichts verstanden
habe.
Das kannst du sowieso vergessen, das mit der Liebe.
Dann kommt der Trinkgeldgeber wieder, will wieder spielen,
obwohl er schon eben genug gewonnen hat. Diese Spieler sind genauso einsam wie
du. Aber die ham wenigstens Spaß. Oder auch nicht? Wer weiß. Auf jeden Fall
läuft im Radio Supergirl.
…cause she’s a Supergirl…
…and Supergirls don’t cry
…they just let their husbands…
…die.
***
Um elf Uhr, kurz vor meiner Putzphase, überkommt es mich
dann doch wieder, dieses Gefühl der Traurigkeit, des Verlustes. Keine Ahnung
warum.
…weil ich an Karneval denke. Und daran, was Nadine an
Karneval so alles ohne mich anstellen wird. Alleine. Wenn sie alles bumsen
wird, während ich – immer noch trauernd – alleine Zuhause sitze.
Muss diese Trennung wirklich sein? Ich liebe sie doch immer
noch. Beim Schreiben dieser Zeilen zucke ich fast zusammen, fange fast an zu
heulen. Das ist so eine Scheiße. Wir passten so gut zusammen
Haha
wenn wir wirklich gut zusammengepasst hätten, wären wir dies
noch.
…nämlich zusammen.
Sind wir aber nicht.
…ist es aber nicht.
Nein: Wir sind für immer getrennt, entzweit.
…und das macht mich bekloppt.
Samstag, 11. Juli 2015
Barcelona-Logbuch Tag 6
11.07.15
(Barcelona-Logbuch,
Tag 6; Tag 6 (erst?????????) der neuen, endgültigen Kontaktsperre (KS) und Tag
1 meines neuen, Lebens ohne dich!!!!!!)
Und da ist
es schon wieder. Beim Wäscheaufhängen. Das gemurmelte „Ich liebe Nadine“. Das
von ganz unten in deiner Seele zu kommen scheint.
Weiche von
mir, Teufel!
Weiche von
mir Teufel!
Zehn
Strafkerzen in der Kathedrale von Barcelona. (Oh, das wird teuer!)
Ich bin noch
da, keine Angst. Hatte nur keinen Bock/keine Zeit zu schreiben, weil ich gerade
in der viertschönsten Stadt der Welt nicht anderes tue, als an meine EXE zu
denken. Das können Sie mir ruhig glauben. Die Russin von gestern Abend war ein
Ausrutscher. Die ist vor meiner Tür ausgerutscht und in mein Bett gefallen. Da
musst ich ihr doch unter die Matratze helfen. Unter die Decke meine ich
natürlich. Sie hätte sich ja bei dem Sturz ihre Weichteile (partes blandas auf Spanisch!) verziehen
können. Das kann übel ausgehen. Deshalb mussten wir das erstmal wieder gerade
biegen. Und wenn du zuhörst, Andenteufel (weiche von mir, weiche von mir!), das
ist alles Lüge. Das ist nur Entertainment, um den Blog interessant zu halten.
Ich leide wie ein Tier, so wie ich bei 35 Grad am Strand schwitze. Bei den
ganzen Bikinis.
Oder im
Gegenteil: Ich denke gar nicht mehr an dich. Bin schon lange über dich weg.
Habe schon zehn Neue (nichts Festes dabei, aber das wollte ich nach dir eh
nicht mehr!).
Und wenn
meine Schwester mitliest: Die harten Sachen spare ich mir für Deutschland auf!
Ich weiß, da bist du schon ganz heiß drauf, aber ich bin doch nicht blöd. Mir
meinen ersten Single-Urlaub seit gefühlten 1000 Jahren zu versauen. Versaut ist
er eh schon durch die ständigen Gedanken an meinen geliebten Andentiger.
Die Saga
geht weiter!
Samstag, 13. Juni 2015
Lieder zu denen ich beerdigt werden will
Samstag, 13. Juni 2015
Im Radio
läuft Everybody hurts von REM. Das
ist – wie du Nadine so oft gesagt hast – eins der vier Lieder, die du auf
deiner Beerdigung hören willst. Das heißt, du willst sie nicht hören, weil du
sie ja dann wahrscheinlich nicht mehr hören kannst, sondern du willst, dass sie
gespielt werden. Aber von wem, jetzt, wo Nadine weg ist. Scheiße, daran hatte
ich noch gar nicht gedacht! Wer spielt denn jetzt auf deiner Beerdigung die
vier Lieder deines Lebens. Das ist wahrhaft eines deiner brennendsten Probleme,
besonders im Moment.
Aber damit
sie nicht aufhören zu lesen, weil sie so depressiv sind, dass sie jetzt erstmal
nichts mehr von Trennung, Tod und Trauer hören wollen und deshalb zum
Modelleisenbahnen- oder Barbiepuppenblog wechseln, hier erstmal die vier
Lieder:
1) November Rain von
Guns’n’Roses (das Beziehungslied schlechthin, also reden wir lieber nicht
drüber…)
2) Perfect Day von Lou Reed
(Das traurig-schönste aller Zeiten. Das mit dem perfekten Tag ist durchaus
ironisch-ernst gemeint: drink sangria in
the park, feed animal s in the zoo and later, when it gets dark, we go home –
was gibt es Traurog-Schöneres!)
Und dann,
wenn die paar Leutchen, die Sargträger und der Pfarrer noch immer nicht heulen
oder schreiend die Flucht ergriffen haben, kommt es:
3) Everybody hurts REM. Das ist
glaub ich selbstredend! Hören Sie es sich an und sie wissen, was ich meine.
Das vierte und letzte Lied hab ich vergessen, aber ich bin ja schließlich auch noch nicht tot. Nur halbtot, wie alle anderen auch. Vielleicht ein bisschen mehr als alle anderen, aber eben noch nicht zu 100%. Das fällt mir bestimmt noch, ich hab ja noch hoffentlich ein bisschen Zeit. Und wenn nicht, ist auch egal.
Andererseits:
Jetzt heißt es schnell sterben! Sonst hast du keinen, der auf deiner Beerdigung
die Lieder für dich spielt. Ach, Scheiße, den hast du ja auch so nicht mehr,
jetzt, wo sie für immer weg ist.
Wer früher stirbt ist länger tot.
Hoooold on…
…cause
everybody hurts…
…don’t let yourself go…
Da kommen
auch Latinos vor, in dem Video. Die sitzen in einem der Autos in dem Stau. Du
hasst alle Latinos. Früher hast du sie geliebt…
Bis sie
wieder da ist?
Hoooooold on…
Solange kann
ich mit dem Sterben weiß Gott nicht warten.
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