Aber warum an Karneval denken? Das kann sie doch jetzt auch schon machen. Das macht sie doch jetzt auch schon.
Ok, ich weiß: Ich kann zocken, wichsen, essen so viel ich
will. Aber es fehlt immer was. Es fehlt immer diese eigentümliche menschliche
Wärme, diese Präsenz eines geliebten Menschen, die María nicht 100% ersetzen
kann. Wie sollte sie auch?!
Aber was will man machen. Man kann die Liebe nicht
erzwingen.
Ich stelle mir vor, wie sie zu mir auf die Arbeit kommt und
was ich dann sagen würde („Was machst du denn hier?“
„Waren wir nicht getrennt?!“ (und sie geht wieder, ohne
etwas zu sagen, gesagt zu haben)
„Ich komm ja auch nicht zu dir auf die Arbeit!“ (man muss
doch nett sein, wenn man sich wieder trifft, wenn man wieder zusammenkommen will,
wenn man das wirklich will“) aber im Grunde meines Herzens weiß ich, dass das
nicht passieren wird, dass das nur Wunschdenken ist.
Und das bringt mich nicht weiter.
Nichts bringt mich im Moment weiter. Außer vielleicht mein
oder ihr Tod. Am nächsten Tag wäre ich mit María in Spanien. Am nächsten Tag
wäre ich weg, ob sie will oder nicht.
Aber das bringt mich auch nicht weiter.
Weil mich nichts weiterbringt.
Und schon wieder läuft Supergirl
im Radio.
She’s a Supergirl.
She’s a Supergirl.
She’s a Supergirl.
…and Supergirls don’t cry.
And you know why.
Because their (not so super men are crying
All the time)
Because they’re not quite such
Supermen
And Supermen always cry
Cause they know they have to die.
Die Trauer dauert eben so lang wie die Trauer nun mal
dauert.
Und wenn sie ein ganzes Leben lang dauert, dann dauert sie
eben so lang.
Years are not minutes.
***
„Nadi, ich liebe dich“, sage ich zu mir selbst, als ich
durch die Kälte zurück zur Spielhalle laufe, nur mit einem Hemd bekleidet.
Es ist kalt und der Himmel ist herbstlich trüb, so als wäre
die ganze Welt in einen Nebelschleier gehüllt. Und ich gehe durch diese fast
schon dunkle Gasse zur Spielhalle zurück, blicke auf die Mauer aus roten
Backsteinen und bin traurig.
Wie war das heute in dem mexikanischen Buch? Pedro Páramo
befindet sich in einer Welt zwischen Leben und Tod, an der Schwelle zum
Totenreich.
Ich komme mit leeren Händen zurück, der eigentlich verbotene
Ausflug von der Spielhalle zum Rewe war umsonst. Die Seife war einfach zu
teuer, trotz der 10 Euro Trinkgeld. Die hatten nur die von CD und von Nivea und
nicht die billige für 29 Cent. Das Shampoo war mit 1.99 sogar schon weit
jenseits von Gut und Böse, sozusagen im Niemandsland zwischen Tod und Leben. Im
Lidl bezahle ich niemals 1.99 dafür. Für
2 Packungen vielleicht, aber doch nicht für eine.
In der Passage kurz vor dem Park denke ich, dass ich María
einfach liebe und dass es auch im Ausland nicht besser würde, da ich sie
vermissen würde wie bekloppt. Außerdem kann ich sie wohl kaum ganz Nadine und
ihrer verkorksten Familie überlassen. Also bringt das nichts. Also muss ich
hier bleiben, im Niemandsland zwischen…Sie wissen schon.
„Ich liebe dich“,
sage ich zu niemandem, in die kalte Abendluft hinein.
Als ich wieder sicher verstaut in der warmen Spielhalle
sitze, kommt plötzlich eine kleine Ausländerin rein und sagt irgendetwas, dass
ich nicht verstehe.
„Gut?“
„Häh…“
„Gut?
Twenty-two.“
„Äh.“
Die sieht gut aus und lächelt und hat lockige Haare und will
was sagen, das ich nicht verstehe.
Am Ende gibt sie auf:
„Forget it.“
Ok.
Sieht nicht schlecht aus. Ist aber eine Ausländerin. Die
dich bestimmt nur ausnutzen würde wie
Nadine.
Vielleicht ist es ja sogar gut, dass ich nichts verstanden
habe.
Das kannst du sowieso vergessen, das mit der Liebe.
Dann kommt der Trinkgeldgeber wieder, will wieder spielen,
obwohl er schon eben genug gewonnen hat. Diese Spieler sind genauso einsam wie
du. Aber die ham wenigstens Spaß. Oder auch nicht? Wer weiß. Auf jeden Fall
läuft im Radio Supergirl.
…cause she’s a Supergirl…
…and Supergirls don’t cry
…they just let their husbands…
…die.
***
Um elf Uhr, kurz vor meiner Putzphase, überkommt es mich
dann doch wieder, dieses Gefühl der Traurigkeit, des Verlustes. Keine Ahnung
warum.
…weil ich an Karneval denke. Und daran, was Nadine an
Karneval so alles ohne mich anstellen wird. Alleine. Wenn sie alles bumsen
wird, während ich – immer noch trauernd – alleine Zuhause sitze.
Muss diese Trennung wirklich sein? Ich liebe sie doch immer
noch. Beim Schreiben dieser Zeilen zucke ich fast zusammen, fange fast an zu
heulen. Das ist so eine Scheiße. Wir passten so gut zusammen
Haha
wenn wir wirklich gut zusammengepasst hätten, wären wir dies
noch.
…nämlich zusammen.
Sind wir aber nicht.
…ist es aber nicht.
Nein: Wir sind für immer getrennt, entzweit.
…und das macht mich bekloppt.