Sonntag, 2. Oktober 2016

Weltverbesserer, Wutbürger und das arme Deutschland










Es ist kurz vor neun. An einem Sonntag-Morgen. Draußen scheint die immer noch erstaunlich starke September-Sonne, obwohl die Unberechenbarkeit des Herbsts und die Kälte des Winters schon deutlich zu spüren sind. Besonders nachts. Wenn es dunkel wird…

Im Radio reden sie über Syrien. Wieder einmal. Die Medien sind förmlich besessen von Syrien und dem Nahen Osten (woran das wohl liegt?).

Irgendeinen Scheiß reden die. Wie immer. Ist ja auch egal, was die sagen, es ist ja eh immer das Gleiche. Und er denkt, wie er so in seinem 8,50€-Job sitzt (der streng genommen noch nicht mal begonnen hat – denn es ist ja noch nicht neun!); das heißt, er denkt es nicht nur, er sagt es sogar zu sich selbst (nicht laut, das darf man ja nicht), aber deutlich: Diese ganze Kacke von diesen Weltverbesserer-Arschfickern. Die Gutmenschen. Diesen verfickten Gutmenschen. Immer die gleiche Scheiße. Diese Wichser! Du kannst es nicht mehr hören. Das. Das kannst du nicht mehr hören, echt nicht mehr. Wahrscheinlich glauben die echt noch daran, dass man die Welt verbessern kann, während sie ihren Kaffee trinken, der von kolumbianischen Drogen-Rebellen gefördert wird, ihre Autos fahren, deren Benzin den Krieg in Syrien befeuert, ihren Fisch (wir essen fast nur noch Fisch, kein Fleisch!), wegen dem die Weltmeere überfischt sind… Diese ganze Scheiße, die die labern. Diese Leute. Die Gabriel García Marquez kurz vor dem Original lesen (100 Jahre Einsamkeit natürlich nur bis zum Ende des ersten Kapitels), die im Che Guevara am Samstagabend gepflegt ihren Mojito oder irgendeinen anderen viel zu teuren Cocktail schlürfen, die in ihrem WG-Zimmer ein Poster mit einem fallenden Soldaten und der ebenso simplen und effektiven wie naiven Aufschrift Why? hängen haben (Why? Because we fucking die, that’s why?) und in ihrer Freizeit Haschisch rauchen, das natürlich ganz ohne Ausbeutung, Gewalt und Terror in Pakistan von Biobauern nach europäischen Standards angebaut wurde. Wie dieser Tilo von damals, der bei ihm in der WG in der Altstadt (dem SZENEviertel in Bonn, leckt mich am Arsch!) gewohnt hat. Was für ein Arschloch! Der wollte auch die Welt verbessern, mit seinen langen, filzigen Haaren und seinen Drogen und seinem Scheiß.

Obwohl, angesichts der Leute, die hier rumlaufen, die man tagtäglich in Bus und Bahn sieht, muss man sich natürlich fragen: Gibt es solche Leute überhaupt noch, in Deutschland, oder sind sie eine Erfindung der Medien, der Lügenpresse und existieren gar nicht mehr??

Doch, es gibt sie noch! Spontan fällt ihm Herr Baden ein, von damals. Der war auch einer von denen, obwohl er es noch nicht wusste: „Dir geht es zu gut. Das ist das Problem.“ Sagt der Mann, der ein komplett neues, riesiges Smartphone auf dem Tisch dieser langweiligen, schwulen Weinbar in der teuren, noblen Bonner Südstadt liegen hat, in der er mit mir sitzt, um sich meine Probleme anzuhören. Der finanziell abgesichert ist. Der ein Haus in Oberdollendorf, einen Porsche, eine nette (treue) Ehefrau und nette Töchter hat, die allesamt gute Jobs haben… Der das hier nur als Hobby macht – nicht weil er muss.

Fangt doch erst mal an, die Probleme vor eurer Haustür zu lösen, ihr Arschlöcher! Oder ist das zu nah an euch?! Too close to the bone?! Zu real?! Nicht exotisch genug?!

Hier gibt es Leute, die nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen, jeden Monat wieder aufs Neue. Leute, die sich nicht nur abgehängt fühlen, sondern es auch sind, die zu alt, zu unqualifiziert, zu wenig verdienen, zu viele Abgaben zahlen müssen, zu arm sind, die zu viele (arme) Kinder haben (obwohl eins ja manchmal schon reicht…), zu alleinerziehend sind, die keine „bezahlbare“ Wohnung finden, obwohl sie doch so viele verschiedene Jobs haben (also  quasi multi-employed sind), die zu wenig Rente bekommen (obwohl sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet oder Kinder erzogen haben), die kein Auto haben, kein Boot, kein Ferienhaus am Meer (noch nicht mal am beschissenen See!), die jeden Cent dreimal umdrehen, wenn mal wieder der Strom, die Heizkosten, die Krankenversicherung oder gleich alle drei zusammen ansteigen, die sich überlegen müssen, ob sie heute nicht mal auf den Latte verzichten sollten, weil ihr Konto schon wieder überzogen ist, weil sie Angst vor der Zukunft haben, die Schulden haben, die depressiv sind, einsam, verbittert, verknöchert, die keinen Spaß haben…und die vor allem keinen Bock mehr haben, sonntags morgens im Radio zu hören wie schlecht es der Welt geht. Und wie gut uns hier in Deutschland.

Und dann morgens unser Weltverbesserungs-Frühstücksfernsehen gucken und denken: Leck mich am Arsch, die reden mal wieder nur über…

Und sprechen es noch nicht mal laut aus, das was sie viel zu laut denken…obwohl sie alleine sind, ganz alleine, obwohl niemand sie hört, ihnen zuhört an diesem Sonntagmorgen. Weil man so etwas ja nicht sagen darf, in diesem Land. Nur hinter vorgehaltener Hand und in letzter Zeit gefühlt noch nicht mal das mehr. Seit die Öffentlich-Rechtlichen uns täglich sagen, was wir zu denken haben. Aber das russische Staatsfernsehen kritisieren... Donald Trump kritisieren… Die Bedingungen der Wanderarbeiter in China oder Minenarbeiter in Kolumbien kritisieren… Die bösen Ungarn kritisieren… Die Rechtspopulisten kritisieren… Ungesunde, fettige und süße Lebensmittel kritisieren… Dabei haben viele noch nicht mal eine Essstörung. Sie sind einfach nur arm und der Scheiß ist billig und füllt zumindest vorübergehend die Löcher in ihrer Seele.


Wie lange noch?!

Die kriegen ja auch davon nichts mit, die in Berlin, hat er letztens zu seinem Kollegen David aus dem Senegal gesagt. Der Christ ist und sagt, dass Deutschland ein Problem mit den Moslems hat. Dass Deutschland, ja sogar ganz Europa untergeht beziehungsweise sowieso schon so gut wie tot ist. Weil er das darf. Er ist ja schwarz. Da darf man das. Als Deutscher nicht. Also sind wir weiter arm. Weiter wütend. Und tun so als wären sie es nicht. Weil arm darf man nicht sein in diesem Deutschland. Unglücklich auch nicht. Wütend sowieso nicht. Rassistisch. Nein, denn…

Man darf noch nicht mal deutsch sein in diesem Deutschland. Muss sich für seine Nationalität immer noch schämen. Mehr als 70 Jahre nach dem Krieg. Man darf eigentlich gar nichts in Deutschland. Gar nichts sein. Am besten gar nicht erst (da)sein. Sonst kommt einen die Schwesig holen.


Armes Deutschland


Und wie auf Kommando läuft im Radio: Hör auf die Stimme! Hör, was sie sagt! Sie war immer da!

Und wenn du dann auf die Stimme hörst…







Samstag, 1. Oktober 2016

Mein Herzliches Beileid und Alles Gute










Im Bus sagt ein junger Typ mit Brille in sein Handy:

„Hat der geheiratet?“

„Dann schreib ich dem mal Alles Gute zur Hochzeit oder Herzliches Beileid oder…“

„Ich versteh dich ganz schlecht…“

Er legt auf und fängt an zu tippen.


Ach, wär ich doch nur damals so abgeklärt gewesen.


War ich aber nicht







Donnerstag, 29. September 2016

Garrucha, Andalusien










Ich weiß noch, als wir im Urlaub waren, das letzte Mal zusammen im Urlaub. Bei ihren Verwandten in Andalusien. In der Nähe von Almería. In…wie hieß das noch mal…keine Ahnung...ich weiß es nicht mehr…doch: Garrucha. Jetzt fällt's mir wieder ein. Das war’s, Garrucha! Muss man nicht kennen. Nicht unbedingt. Kein Highlight. Die wohnten da in einem Hochhaus in der Nähe des Strandes und waren sehr „nett“. Fast schon zu „nett“. Scheißfreundlich fast schon. Der Typ war Mechaniker und erinnerte mich irgendwie, so von seiner ganzen Art her, an ihren Schwager. Anders als ihr Schwager war der aber glaub ich nicht mir ihr "Fahrrad fahren". Schließlich war sie ja in Garrucha die ganze Zeit bei mir…

Wie wir da abends rausgegangen sind, kurz vor Sonnenuntergang, kurz bevor es selbst hier, im Süden Spaniens dunkel wurde. Wie wir am Meer spazieren waren, da wo die ganzen Hotels waren, diese ganzen teuren Hotels…

…ich hätte nie gedacht, dass sie mich irgendwann verlassen würde. Nie im Leben hätte ich das gedacht. Dass sie irgendwann gehen würde. Und nie wiederkommen würde.

Streit, ja…okay…aber verlassen? Niemals. Wir waren so…close, so eng, so keine Ahnung. Wie verwachsen. Symbiotisch. Co-dependent. Vielleicht genau deswegen, genau, weil wir so waren, so wie wir waren. Weil wir uns so nah waren. Und doch so weit voneinander weg

Ich dachte immer, dass sei für immer. Für immer und ewig. Obwohl ich natürlich frustriert war. Fast schon chronisch frustriert. Natürlich frustriert. Aber ich hätte sie nie verlassen. Ich hätte sie nie verlassen. Im Leben nicht. Soviel ist sicher. Frustrationen hin oder her. Wir waren wie ein Team. Ich, sie und María. Sie, ich und María. María, sie und ich

So kann man sich täuschen

Ich spürte sie, berührte sie, fast schon ständig, packte ihr an den Arsch, María regte sich auf, wir machten Witze, scherzten und auf einmal ist sie weg. Nie wieder ein Wort, nie wieder ein Witz, ein Lachen             Kein Wort, kein gar nichts. Noch nicht mal durch Zufall habe ich sie seitdem gesehen. Noch nicht mal durch Zufall.

Und frage mich heute immer wieder: Wie viel von all dem war echt? Und denke: Das kann doch nicht alles falsch gewesen sein, pure Einbildung, eine Illusion, ein Schimäre

in der warmen, andalusischen Nacht. María glücklich, ich glücklich…sie glücklich?

Wie viel von dem war echt? Von dem Glück zu dritt? Oder war alles echt und es hat sich einfach so ergeben? Durch einen dummen Zufall

(es gibt keine Zufälle)

damals wollte ich sogar ein zweites Kind von ihr, hab ihr das gesagt. Einen Santiago oder eine Liv. Oder war das nur Spaß? In jeden Scherz steckt immer auch ein ernster Kern? Ich war glücklich mit ihr, ich war doch glücklich mit ihr? Oder verkläre ich die Vergangenheit? In meiner Einsamkeit? Es ist so schwer zu sagen, aber wenn sie heute zurück wollte, ich würde wieder nehmen. Bin ich etwa besessen? Krankhaft fixiert? Liebeswahnsinnig? Würde mit ihr und der dafür fast schon zu alten María in den andalusischen Sonnenuntergang gehen, direkt am Meer, am Wasser, an den Wellen

die alles wegwaschen

Ihre warmer, quirliger Körper neben mir, im Hintergrund die roten Lichter der spanischen Nacht, das Rauschen des Meeres, die sauber gemähten und gesprengten Wiesen, der trockene, staubige Weg, die Wärme

die Nacht

um uns herum

nur Nacht

Nie wieder. Jetzt herrscht nur noch eisige Kälte (trotz des schwülen, deutschen Sommers). Eisige Kälte und Geld. Geld hier und Geld da. Hier ein bisschen, da ein bisschen: Ausgaben, Forderungen, Anwaltskosten, Prozesskosten. Und María ist 3 ½ Tage hier, 3 ½ Tage da. Und uns beiden bricht es hoffentlich das Herz, ihr unter Woche und mir am Wochenende – aber keiner will das zugeben, will sich die Blöße geben, vor dem anderen, dem Antragsgegner.


Wir sind Tiere, die sich Illusionen machen können bis sie platzen


Die Lichter sind aus, die Wärme ist weg (oder so schwül-deutsch, dass sie unerträglich wird), die Sonne scheint bald hoffentlich auch nicht mehr

Dieses satte Rot Andalusiens, das sich sogar in der spanischen Flagge wiederfindet, das Feuer von 35 Grad am Tag und 25 in der Nacht, die roten und weißen Lichter, die uns den Weg ausleuchten, den Weg zum Licht

Die deutsche Flagge ist zwar auch rot, aber dieses Rot steht nicht für das Feuer, die Leidenschaft, sonder für das verflossene Blut. Wofür das Schwarz steht ist ja wohl klar…Und das Gold steht für das Geld. Der Deutschen liebe zum Geld, das sie horten, das sie verstecken, tief unten im Keller, wie ihre Gefühle, fast schon verschüttet, um zu sehen wie es langsam anwächst

Obwohl sie wissen, sie ganz genau wissen

dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, dass nichts bleibt


wie es war






wie ich versucht habe, sie in diesem Zimmer, dem Zimmer, das der große Sohn der Familie für uns geräumt hatte, in den Arsch zu ficken

und sie nicht wollte

in der heißen, südspanischen Nacht










Donnerstag, 22. September 2016

Brangelina






Er liest das von "Brangelina", dass bei Brad Pitt die Polizei vorgefahren ist, und freut sich innerlich. Lächelt äußerlich. Es ist kein Wunder, dass Schadenfreude eins der wenigen deutschen Wörter ist, die sogar ihren Weg in die englische Sprache gefunden haben.

Wenigstens geht es nicht nur ihm nach der Scheidung beschissen…

Warte mal ab, Brad. Da ist der Fight Club gar nichts gegen. Gegen so eine richtige Schlammschlacht-Trennung. Einen richtigen Rosenkrieg. Da reicht es bei weitem nicht aus, den Nullpunkt zu erreichen, sich die Hand mit Säure zu verbrennen oder Forrest laufen zu lassen.

Gegen eine erboste, verbitterte Ehefrau, die obendrein noch selbst gegangen ist, reicht kein Fight Club. Die spielen in einer ganz anderen Liga!

Besonders, wenn sie Widder sind.

Da kannst du kiffen und trinken und ausflippen so viel du willst. Das lässt die kalt. Vollkommen kalt.

Da hast selbst du als Multimillionär und Schauspieler keine Chance! Da steht der Möbeltransporter schon vor der Tür! Und der zwanzig Jahre jüngere Student ist schon für den Umzug gemietet. Wenigstens musst du nicht keine Angst um deine finanzielle Zukunft haben…

…oder doch…?

Bei sechs Kindern…

Aber keine Angst. Das kann uns allen passieren…

Das passiert den Besten.

Und den Schlechtesten auch.

Wutausbrüche, Haschisch, Alkohol und eine Affäre…

Wenigstens hattest du vorher noch deinen Spaß. Bevor der Spaß endgültig aufhört.

Sei froh, dass Angelina kein Widder ist.

Aber – wie gesagt – keine Angst: Dieser durch und durch fi(c)ktive verlassene Ehemann bietet dir immer Unterschlupf in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung in Bonn an. Natürlich nur am Wochenende, wenn seine Tochter nicht da ist…