Mittwoch, 7. September 2016

WhatsApp






Ey, ihr Schlampen!




M, du hast nix zu tun und schickst uns Bilder von deinem Kopf.

Ey, du Schlampe.

Ich bin kein Bauernkind. Sagt die Richtige, die aus dem Dorf kommt.

Boah, diese Kinder auf dem Profilbild, die sind voll süß.

Leute, ich hab so kranke…

Die S die saß neben mir und die wusste auch nichts.

Boah, die ist ja ne richtige R. R hat in der Mathe-Klausur angefangen zu weinen.

Boah, geil, R hat in der Mathe-Klausur angefangen zu weinen.

…dann hatte die so Tränen in den Augen…

Die guckt immer so komisch. Die guckt immer so aggressiv.

Warum redet ihr nicht am Telefon miteinander.

Wie denn? Zu dritt…?

Ist ne Konferenz, oder was?

…ich hab von euren Gesichtern aus gesehen, dass ihr alle verschissen habt…

…der ganze Speck im Gesicht hat so geglänzt…

Weißt du noch, wo Glupschauge geweint hat?!

Was geht bei der? Die sieht voll anders aus.

Wer wollte noch mal dieses Eis haben. Irgendjemand wollte dieses Eis haben.

Ey, ihr Schlampen.

Ich weiß noch, wie die der Französisch-Lehrerin geschrieben hat: „Hab ich jetzt ne gute 
Note. Hallo, ganz ehrlich, warum weinen die…

…wie oft ich mir den Arsch aufgerissen habe…wie oft ich dicke Texte geschrieben 
hab…und da kam immer eine Fünf raus…

Leute, ich will mir die Haare kurz schneiden, ganz kurz, glaubst du, das würde mir stehen?
…aber im Winter sind lange Haare schön…

D, es wird dir auf jeden Fall stehen. Dir steht eigentlich alles. Das Ding ist ja, wenn du dir die jetzt kurz schneidest, dann sind die im Sommer eh wieder lang. dir wird alles.

Boah, M, an wen hast du das geschickt, du Eklige.

Das ist voll schön, das Lied, ne?!

Ja, total, das klingt, als ob die nem Neger einen Stock in den Arsch gesteckt haben.

D, wusstest du, dass M dachte, dass Hitlers rechte Hand Goebbels hieß. Die dachte wirklich, die rechte Hand von Hitler hieß Goebbels.

Nein, der Goebbels ist mein Geschichtslehrer.

Boah, N, google es.

Ich hab keinen Bock.

Ja, ich freu mich schon.

Morgen muss ich um sechs Uhr aufstehen wieder.

Ich geh nicht raus

Ey, Leute lass mal morgen das Wetter genießen. Eis essen.

Öh, ja ok.

Aber wir sehen uns ja am Samstag.

…was für eine Schlampe, die ganze Zeit, die dumme Kuh, ich brauch die Klausur.

Ja, D, das können wir gerne machen.

Ja, ok, dann machen wir das. Dann gönnen wir uns den Dalton.

Laber, M, was für Klausuren meinst du, von Deutsch?

Ich geh morgen in die Bibliothek.

Hallo, du hast mir meine Frage nicht beantwortet.

Ich stalke die die ganze Zeit. Aber die war noch nicht on, die hat’s noch nicht gesehen.

Ja, ich treffe mich und gib dir das.

Geht ihr erst so. Ich dachte, ihr geht in die Stadt und gönnt euch…wir reden morgen.

M, hast du wieder Drogen genommen.

Boah, D, ich hoffe morgen fällt Sport aus.

Davon kannst du träumen, M, ich hab den heute gesehen.

Boah, ich halt das nicht aus, ich hatte heute eine Stunde. Und ich war so kaputt.

Boah, wenn man so alt ist wie ihr, dann hat man richtige Probleme…

Bah, wie ekelhaft.

Schule macht richtig kaputt.

Bah, voll ekelhaft, wenn man als Mann so dicke Oberschenkel trainiert.

Wir haben jetzt eine Rumänin in der Klasse und meine Freundin hat gesagt, die rasiert sich nicht unter den Achseln. Die hat voll den Busch da.

Oh, ich hasse diese App, da kommt immer Werbung.

Boah, ich liebe Jennifer Lopez.

Die ist so Kacke. Und die ist Latina.

Boah, ich liebe die.






Nichts zu verlieren









Auf der Arbeit, auf seine Schüler wartend, hat er plötzlich einen lichten Moment. Einer der wenigen lichten Momente in dieser Wüste der Dunkelheit, in der er sich seit der Trennung befindet. Er denkt: Eigentlich musst du dir ja gar keine Sorgen machen. Weil du ja eh sterben wirst. Eigentlich kann dir ja gar nichts passieren. Außer dem Tod.

Außer dem Tod natürlich.

Eigentlich hast du ja gar nichts zu verlieren. In 30, 40 Jahren bist du eh nicht mehr da. Vielleicht auch schon in zehn. Vielleicht auch schon morgen. Wenn du so weiter machst. Also, wozu machst du dir noch Sorgen um alles?!



Nach der Arbeit, draußen, denkt er plötzlich: Vielleicht wissen die das ja auch schon alle, schon lange. Vielleicht ist er ja wieder mal der Einzige, der einzige Doof, der nichts mitbekommen hat. Vielleicht sind die ja deswegen alle immer so cool, so ruhig, scheinen so in sich zu ruhen. Weil die wissen, dass die ja eh sterben werden. Dass die sterben müssen.

Sind die etwa deswegen so? Weil die sich keine Illusionen mehr machen? Haben die das etwa alle schon vor lange vor ihm gelöst, das Rätsel des Lebens? Das Rätsel der Sphinx, die weiß, dass alles irgendwann einmal zu Sand, zu Staub verfallen wird? Vielleicht kratzt die ja deswegen das alles nichts mehr, vielleicht kann die ja deswegen nichts aus der Ruhe bringen…
…seine Frau, seine Tochter, seine Eltern, seine Anwältin…

Und ich dachte immer, ich wär der Existentialist…










Sorge dich nicht, lebe!














Einen Tag, nachdem seine Frau mit seiner Tochter das Haus verlassen hatte, nur um nie wiederzukommen, erhielt er eine SMS von seiner Tochter.

Mach dir keine Sorgen, ich komme morgen


Im Nachhinein klingt das fast wie aus einem Poesiealbum. Dem Dale-Carnegie-Poesie-Album. Wie sich das reimt, „Sorgen“ und „morgen“, fast schon poetisch. Philosophisch. Existentialistisch.



Am Abend des betreffenden Tages kam er nach der Arbeit die Treppe zu seinem Wohnblock hoch, guckte durch das Küchenfenster und sah eine kleine Person. Zuerst dachte er, das sei seine Frau, die es sich anders überlegt hatte und zurückgekommen war. In die gemeinsame Wohnung.

Aber dann, als er die Tür aufschloss und in die Küche ging, war da nur seine Tochter. Stand am Herd und kochte. So als wär nichts passiert. Nach einem Moment sagte er entgeistert: „Ich dachte, die Mama wär wieder da. Das sah so aus, von draußen…“

Sie sagte nichts.

Oder sagte er: „Und, wo ist die Mama?“

Keine Ahnung. Mittlerweile ist das alles schon so lange her, als wäre es gestern gewesen.

Auf jeden Fall informierte ihn seine Tochter später am Abend, als sie zusammen aßen, dass „die Mama kommt nicht mehr zurück.“ Und Punkt. Kein Wort mehr und keins weniger. Die Mama kommt nicht mehr zurück. War das ihre Aufgabe, ihm das zu sagen? Wie fühlte sie sich dabei? Er weiß es nicht. Er kann keine Gedanken lesen.


Er auf jeden Fall wird diesen Satz nie mehr vergessen, solange er lebt.


Am Morgen hatte ihm sein Anwalt, den er hastig aufgesucht hatte – er hatte noch nie vorher im Leben einen Anwalt gebraucht – mitgeteilt, dass das ein gutes Zeichen sei, dass seine Tochter noch Kontakt zu ihm hätte. Dass sie noch mit ihm reden würde.

„Das ist doch schon mal gut.“

Und Punkt.













Donnerstag, 1. September 2016

Wenn ich die Arbeit nicht hätte ...










Er denkt: Langsam fange ich echt an, mich mit dieser Arbeit zu identifizieren, richtig zu identifizieren. Die „Halle“ ist nicht nur eine Arbeit. Sie ist das, was mich am Leben erhalten hat. In dieser schwierigen, beschissenen, grauen-schwarzen Zeit.

Arbeit ist das, was einen nach der Trennung am Leben erhält. Arbeit, und zwar so viel wie möglich. Gebt mir Arbeit. Wie bei Raquel, in meinem Lieblingsbuch von Lucía Etxebarria. Die nach der Trennung von ihrem verheirateten Geliebten von ihrer Arbeit aufgefangen wird. Ok, ich bin kein Model, keine Literaturfigur und die „Halle“ ist nicht gerade ein hochdotierter Spitzenjob. Aber sie ist alles, was ich habe. For the time being




während ich weiter sterbe, innerlich sterbe, jeden Tag ein bisschen mehr