Donnerstag, 22. September 2016

Nichts ist unmöglich - Deutschland









Wenn ich einmal sterbe, möchte ich eingeäschert werden, hörst du. Du bist jetzt für mich verantwortlich. Ich habe niemanden außer dir. Keine Ahnung, ob deine schmalen Schultern das tragen können, die Verantwortung, diese schwere Last, mein Gewicht, aber so ist es eben…



Ich möchte im Höllenfeuer schmoren. Für immer und ewig. Amen. Er lächelt.



Sie stehen an der Haltestelle und warten auf den Bus. Ihren Bus. Er hat sie noch zum Bus gebracht. Weil er eh zur Bank muss…

…und weil er das früher, bei Nadine, auch immer so gemacht.

Merke: Die Tochter ist kein Partnerersatz.

Ich weiß, du Muthafucka!

Muthafucka ist in diesem Zusammenhang auch nicht gerade angebracht. Das ist viel zu eindeutig zweideutig.

Ok, ist gut. Ist ja gut.



Plötzlich sagt sie: Was soll ich machen, in Kunst?

Einen Gesichtsausdruck musst du machen, ne?!

Ja. Der will uns fotografieren. Wir sollen etwas einstudieren. Der Päd…

Keine Ahnung, sagt er müde. Schrei einfach. Ich würde einfach schreien…

wenn ich könnte

würde ich einfach schreien

Oder guck böse. Oder mach das. Er greift sich mit dem Zeigefinger an die Tränensäcke und zieht sie nach unten. Dann sieht das so schwarz aus, dadrunter. Das ist geil, das haben wir früher als Kinder immer gemacht.

Irgendwie sieht sie voll nicht begeistert aus. Von seinem Vorschlag.

Plötzlich hat sie eine Idee, sagt: Ich decke einfach die eine Hälfte ab. Sie tut sich die Hand über die eine Hälfte des Gesichts. So. Die mach ich schwarz. Das ist es. Und die andere lasse ich offen.

Hey, ja genau! Das ist geil! Das ist doch mal ne gute Idee! Das ist sogar tiefgründig. Geil

Das hat sie bestimmt aus dem Internet…

Wie bei einer gespaltenen Persönlichkeit. Eine Seite in Dunkelheit gehüllt, die andere im Licht. Welche ist seine, welche die ihrer Mutter? Die in der Dunkelheit oder die im Licht

Das ist gut. Echt!

Und schon kommen ihr Zweifel. Kaum hat er gesagt, dass er die Idee gut findet, da kommen ihr auch schon wieder Zweifel. Oder bildet er sich das nur (wieder) ein.



Wann musst du morgen in die Schule?

Normal.

Scheiße, dann sehe ich dich ja gar nicht…




In Deutschland kann man nicht leben. Die lassen dich nicht. Keine Chance. Die lassen dich nicht in Ruhe. Dabei wollte er doch immer nur eins: Dass sie ihn in Ruhe lassen. Das hat er jetzt davon. Wenn man in Ruhe gelassen werden will, wird man noch härter. Mit Eselpenis, wie sein kurdischer Kunde sagen würde. Sein Kollege

Sind wir nicht alle Kollegen in Deutschland

Ich sag dir das. Auch nicht in Berlin. Geh nach Valencia. Oder nach Cádiz. Oder nach Madrid. Oder irgendwohin. Aber bleib nicht in Deutschland. die lassen dich nicht


leben


Das ist ja schließlich deine Rolle als Vater, ihr etwas fürs Leben mitzugeben.



Und schon kommt ihr Bus und sie ist weg. Er auch. Ich bin wieder weg…





Er macht sich leicht schwankend und müde auf den Weg zur Bank. Die Sonne scheint und trotzdem ist die Luft frisch, klar, hier oben. Er war noch nie so nah daran, Alki zu werden, denkt er. Noch nie so nah dran, seine Sorgen im Alkohol zu ertränken wie jetzt. Er hat sogar noch eine Flasche Wein Zuhause… Die hat er schon über ein Jahr. Das letzte Mal hat er an Neujahr getrunken. Wie ein Loch. An ihrem Jahrestag. Dem zwanzigsten.

Manchmal ist es zu hart, das Leben so zu ertragen. Pur. Ohne alles

Ein Leben pur bitte… Nein, ohne Cola, nur pur.

Wie in Schottland damals. Da hat er gelebt. Da ist er in Bars gegangen, hat gesoffen, geheult, gelebt. Warum macht er das hier eigentlich nicht? Weil das mehr als fünfzehn Jahre her ist und jetzt schon fast 40 ist. 40 sind keine 24 mehr. Im Kopf schon. Im Kopf bleibt man jung. Nur der Körper...

…wie er diesem Mädchen, dieser Schottin, einfach so den Whisky weggetrunken hat. Im Waterhole. Dem Wasserloch. So hieß die Studentenkneipe da. Die war immer voll, jeden Abend. Bis zwölf Uhr. Oder hat er den Whiskey Paulina weggetrunken? Oder beiden. Auf jeden Fall hat er diese blonde Schottin bequatscht, dass sie zu der Spanierin, ja, der mit den kurzen Haaren, rübergeht und der sagt, dass er sie liebt. Dass er sie immer noch liebt. Und die hat das echt gemacht. Die hat das für einen Witz gehalten. Diese Festlandeuropäer, und besonders diese Deutschen, die sind doch eh alle ein bisschen seltsam. Am Ende hat ihn Paulina dann weggezogen von der Schottin. Weil er peinlich war? Oder weil sie gemerkt hat, dass er ziemlich gut bei der ankam, mit seinem schwarzen, britischen Humor und seinem südländischen Aussehen. Vielleicht stand die ja auch insgeheim auf ihn…

Damals ist er auch einer Frau hinterhergelaufen. Wie heute. Aber wenigstens hatte er Spaß dabei. Wenn er nicht gerade die Wände hochgegangen ist…

Dieses eine Jahr in Schottland; das war vielleicht echt das einzige Jahr in seinem Leben, wo er gelebt hat, wo er richtig gelebt hat. 

Nur heute ist er gute 15 Jahre älter, nur ein paar Monate von40 entfernt.

Man ist nie zu alt.

Man ist so alt wie man sich fühlt.

Ach, fick dich doch!

150-160, aber rüstig.



Morgens lief das mit Brangelina im Fernsehen. Die haben sich getrennt, Brad Pitt und Angelina Jolie. Mit sechs Kindern! Wenn die sich schon trennen, diese Stars, die alles haben, scheinbar, was für eine Chance habe ich dann? Wenn sogar denen ihre Ehe nicht hält? Der Westen schafft sich ab und die Scheidungsanwälte bringen vorher noch ihr Vermögen in Sicherheit. Vor ihren Frauen. Oder Männern. Er hatte immer gedacht, die Ehe der beiden würde ewig dauern. Obwohl es Gerüchte gab…

Er hatte immer gedacht, seine Ehe würde ewig dauern, er könne ewig so weiterleben. Arm, aber glücklich. Pobre pero feliz. Wie die Indios das in Ecuador das auf die Autos schreiben.

Aber die Realität sieht anders aus. Die Realität sieht immer anders aus

So wie bei diesem Typen aus Bonn, von dem er heute gelesen hat. Dem „Tattoo-Killer“, der eher aussah wie ein tätowierter Freddie Mercury. Mit seinem Clone-Schnäuzer und der runden Sonnenbrille (bestimmt ein Foto aus besseren Zeiten).Der angeblich seine Ex und seinen Sohn ermordet haben soll. In einem ganz normalen Block in Duisdorf, wo er früher mit Nadine gewohnt hat. Den haben sie erwischt. In einem Puff in Duisdorf. 15,000 € hatte er mitgehen lassen. Angeblich soll er spielsüchtig sein und die Hälfte schon wieder verspielt haben. Ein „Familiendrama“ hieß es. Heißt es immer, in der Presse, wenn der Vater mordet. Fast nie die Mutter. Oder wenn, dann gibt sie nur ihr Einverständnis.

Nadine steht auf Familiendramen.




Später, vor dem Spiegel, als er sich rasiert, denkt er: Du musst das alles nicht immer so negativ sehen. Es gibt immer eine Lösung, im Leben. Es gibt immer eine Lösung. Solange man lebt

Nichts ist unmöglich











Mittwoch, 21. September 2016

Traumdeutung: Griff in den Klo












Am Anfang des Traums sitzen wir in einem Restaurant. Ich, María und Nadine. Zumindest sitzen wir zusammen. Dann muss ich auf Toilette. Nadine ist bei mir. Ich setze mich auf eines dieser Wägelchen, so als könnte ich da mein Geschäft verrichten, so ein komisches Servierwägelchen, aber das geht auch nicht. Ich muss auf Klo. Ich bin in einer Art Großmarkt oder Supermarkt, suche eine Toilette, aber Nadine ist noch bei mir, trottet hinter mir her. Wenigstens das

Auf dem Rückweg sehe ich sie auf mich zukommen. Aber sie sieht irgendwie anders aus. Sie ist voll stark geschminkt und hat längere, lockige Haare. Sieht irgendwie aus wie eine dieser rumänischen…

Aber lassen wir das

Der Traum ist weg und ich wache wieder in der Realität auf. In der Realität meines derzeitigen Lebens. Meines derzeitigen Nicht-Lebens. In meinem alten Doppelbett. Alleine. Nachts. Ganz allein. Keine Ahnung, wie viel Uhr es ist. Im Fernsehen läuft ein schwedischer Krimi. Geil, ich liebe die! Die sind so schön düster. Ich kratze mich an den Eiern und rieche an den Fingern. Scheiße, morgen muss ich unbedingt mal wieder duschen gehen. Morgen ist Montag. Heute ist Montag. Wer weiß...

Dann schlafe ich wieder ein, träume weiter

…im Traum trage ich ein T-Shirt oder Hemd. Wie immer. Aber dann muss ich feststellen, dass ich darunter keine Hose trage, sondern eines dieser bunten, glänzenden Höschen, die Nadine früher immer getragen hat. 

Hat sie? Oder nur in deiner Erinnerung? 

Eins dieser Hotpants, die mehr wie Unterhosen wirken, aber aus dickerem Stoff sind. Irgendwann macht mir das aber nichts mehr und ich gehe einfach weiter, bleibe im Bus. Scheiß drauf

Ich fühle mich wie der Polizist aus diesem Roman, der irgendwann nach der Trennung von seiner Frau beginnt, deren Klamotten anzuziehen und nachts mordend und prügelnd durch Edinburgh zu ziehen. So fühle ich mich. Aber wen interessieren schon Gefühle
















Dienstag, 20. September 2016

Essstörung









„Wo ist der Schlüssel?“

„Weiß ich nicht.“




Ich denke einen Moment lang darüber nach, die ganze Scheiße, die ich gefressen habe und die mir schwer im Magen liegt, wieder auszukotzen, aber das kann ich nicht. Ich fresse die Scheiße lieber weiter in mich hinein. Bis ich platze. Und das tut niemand. Es platzen nur die Gefäße. Oder die Organe. Oder was auch immer. Früher oder später. Mir doch egal. Was hab ich denn noch vom Leben.

Wenn man nichts zu verlieren hat…

…kann man auch mal eben eine Tüte Chips, 6 Mini-Frikadellen auf 3 Brötchen mit Käse und dazu 3 Eis essen. Oder nicht? Das hilft zwar nicht das schwarze Loch zu stopfen, aber wenigstens ist einem danach wirklich zum Kotzen zumute.

„Brauchst du noch etwas von Aldi? Ich geh da heute hin.“

„Nichts.“




„Kannst Bananen…“

„Ok, wenn’s die gibt. Wenn nicht, hole ich die bei Lidl.“

„Brauchst du keinen Joghurt, den du magst?“

„Ne, nen Naturjoghurt kannst du mir mitbringen.“

„Keinen anderen?“

„Ne.“

Ok.




„Ich geh jetzt, ja?!“

Ok.

„Tschüs.“



Bis Montag