Donnerstag, 11. August 2016

Basta



 


 
Das ist der Wendepunkt!






Langsam reicht es echt, denkt er, als er in I. gegenüber von Edeka aus dem Bus aussteigt und sich auf den kurzen Fußweg nach Hause macht. An der älteren Frau vorbeigeht, die mit ihm ausgestiegen ist. Erhobenen Hauptes. Mit breiter Brust. (Er ist heute Morgen gelaufen!). Fast schon athletisch. Wenn man seine fast 40 Jahre mit einrechnet, sogar definitiv athletisch.

Langsam ist es auch mal gut.

Langsam muss es auch mal gut sein.

Er kann ja nicht sein ganzes Leben einer Frau hinterherschmachten, die…

…keinen Gedanken mehr an ihn verschwendet…

…die ihn nicht mehr lieben kann…

(sonst wär sie ja schon lange zurück…wenn sie ihn lieben würde…)

…die noch nicht mal über ihre gemeinsame Tochter mit ihm kommunizieren kann…

…nur über die Anwälte…

(und die können doch nicht kommunizieren, Anwälte, das können die doch gar nicht…kommunizieren)

Er kann doch nicht immer noch Eifersucht empfinden, denkt er, als er an dem Abbruchhaus vorbeikommt, auf dessen Grundstück bald ein neues, modernes Wohnhaus entstehen wird. Er kann doch nicht immer noch auf fremde Männer eifersüchtig sein, obwohl sie schon lange nicht mehr zusammen sind.

Wie krank ist das denn?!


Irgendwann ist es auch mal gut…




Und dieser Punkt ist jetzt erreicht.

Der Wendepunkt. Das ist der Wendepunkt. Der Wendepunkt in seinem Leben.

Wenigstens das…

…wenn schon die Kollateralschäden der Scheidung noch lange nicht überwunden sind…

…und sein Leben immer noch mehr den Trümmern des abgerissenen Hauses ähnelt als dem modernen Neubau, der hier irgendwann einmal – wann, das weiß nur Gott – erbaut werden soll…


…aber sie hat er überwunden

…oder ist gerade dabei sie zu überwinden…


…endlich, möchte man hinzufügen.


Die Leute hatten also recht. Es bleibt nicht immer so hart wie am Anfang. Jetzt muss er nur noch seine Existenz retten…


Er öffnet das Holztor, das zu seiner Wohnung führt. Bestimmt ist María da. Bestimmt ist meine Tochter da. Es regnet leicht, da ist sie bestimmt nicht tanzen.

Er geht zum Briefkasten und…

…sieht die zwei amtlich grauen Briefe.

Die zwei amtlich grauen Briefe mit seinem Namen.

Scheiße. Schon wieder gefickt. Du kannst so viele Wendepunkte haben, wie du willst. Du wirst immer „schon wieder gefickt“.






Dienstag, 9. August 2016

Daumen hoch oder runter?















Der Koch von nebenan kommt Zigaretten holen. Wie der als Koch rauchen kann, ist mir schleierhaft. 

Als.Koch.raucht.man.doch.nicht. Oder?! Das ist doch den Geschmackszellen abträglich…und das dann wiederum dem Essen. Oder hat der so gute oder so viele Geschmackszellen, dass er das verkraften kann? Sind die bei ihm von Natur so gut ausgeprägt, dass er auf die paar verzichten kann, die durch das rauchen absterben…?

Er macht eine Handbewegung und guckt mich fragend an. Zuerst macht er den Daumen nach oben. Und dann nach unten.

Ich antworte ihm natürlich direkt mit dem Daumen nach unten. Instinktiv. Das ist bei mir so drinnen,liegt in meiner Natur. Aber dann mache ich den Daumen in die Mitte. Neutral. So lala.

Er guckt mich fragend an: „Aber warum? Du bist doch gesund…?“

Nicht, dass ich wüsste…

Ich meine: Das weiß ich ja nicht. Aber sagen tue ich es auch nicht. Und warum ich mich nur so lala fühle: Wie würdest du dich den fühlen, wenn dich deine Frau nach 19 Jahren Ehe verlässt, nur um nie wieder ein Wort mit dir zu reden (noch nicht mal über die „Erziehung“ eurer gemeinsamen Tochter – du weißt, dass das ein Vorwand ist…)?! Dir ihren Anwalt auf den Hals hetzt, der aussieht, als wär er in einem früheren Leben mal Preisboxer auf dem Jahrmarkt gewesen?! Du in einer Wohnung, in einer Stadt, in einem Land, in einem Universum, in einem Leben lebst, in dem du nicht leben willst…und du noch dazu in allen möglichen Arten ruiniert und gescheitert bist…?! 

Aber das erzähl ich dir doch nicht. Lieber beiße ich mir dir Zunge ab… Lieber mach ich aus meinem Herzen eine Mördergrube… 

Außerdem, so zwischen Tür und Angel soll ich dir das erzählen? So mal eben zwischen dem Zigarettenautomaten und was auch immer die Brasilianer so essen…?! Ist das dein Ernst?!

Ich würd dir ja vielleicht was erzählen…aber doch nicht hier, auf der Arbeit. Vielleicht hast du ja noch eine Woche frei, um dir alles anzuhören. Wenn eine Woche ausreicht…

Also fragt er nur: „Und dir, wie geht’s dir?“

„Mir geht’s gut“, sagt der Koch. „Wie immer…normal.“

„Ah…! Sage ich doch! Siehst du!“




 Mehr vom philosophischen Koch hier: Koch und Philosoph, Philosoph und Koch






Stimmen aus dem Jenseits?






 
Höre ich jetzt schon Stimmen oder was?!






Um ungefähr halb neun ruft er sie auf ihrem Handy an. Es klingelt ein paar Mal, dann sagt jemand „Hallo…“

„Hallo…?“ sagt er fragend.

Scheiße. Er guckt auf das Display, aber da steht María. Trotzdem legt er auf. Das klang verdammt komisch, dieses „Hallo“. So gar nicht nach María. Eher nach… 

Boah, bin ich jetzt komplett verrückt, oder was?! Das kann doch nicht sein. Einen Moment lang dachte er sogar, er hätte aus Versehen Nadines Nummer gewählt und sie wär dran gegangen… Das würde sie nie machen, das weißt du. Aber der Schreck steckt ihm immer noch in den Knochen…

Trotzdem wählt er noch mal Marías Nummer. Und diesmal ist es wirklich ihre Nummer! Diesmal geht er hundertprozentig sicher, dass es ihre Nummer ist.

„Hallo...“

„Hallo…“

Sie sagt: „Hörst du mich jetzt richtig?“. Oder irgend so was in der Art.

„Und? Alles klar?“ sagt er schnell, ohne auf ihre Frage zu antworten.

„Ja…ich hab das Essen rübergestellt…“

„Echt?! Danke…jetzt schon? Ist das nicht noch ein bisschen früh?! Ich komm erst um zwei nach Hause. Das sind noch fünf Stunden…“

„Ja was soll ich denn machen?! Das in den Kühlschrank stellen?“

„Ne, stimmt, du hast recht. Das wird ja nicht schlecht. Das ist ja kein Hackfleisch…“
 
Aber Käse. Ach, egal. Das wird schon.

„Wie, bist du nicht im Wohnzimmer? Guckst du kein Fernsehen?“

„Ne, ich gucke Videos.“

„Ok.“

In deinem Zimmer? In ihrem Zimmer? Toll

„Ok. Dann bis Morgen!“

„Tschö.“

Als er auflegt, hat er immer noch dieses komische Gefühl…

Beim ersten Mal, das Hallo, das klang verdammt nach…

Nadine. Gar nicht nach María. Werd ich jetzt bekloppt, oder was?! Paranoid? Oder war das Nadine, die dich verarschen wollte und sich deswegen Marías Telefon geschnappt hat, weil sie dich verwirren will.

Ja klar… Verwirrt bist du wirklich ein bisschen. Warum sollte Nadine bei dir Zuhause sein…und warum sollte María ihr ihr Handy geben (das sie wie ihren Augapfel hütet und niemandem freiwillig gibt, bestimmt noch nicht mal ihren Freundinnnen. Ja, klar…

Aber das hörte sich so verdammt an wie früher, wie Nadine, wenn sie ans Telefon gegangen ist…

Mann, bist du doof oder was. Sie ist weg, du bist getrennt, sogar geschieden, bald…

…und du denkst, die kommt  einfach so zu dir nach Hause, wenn du nicht da bist…und geht dann noch ans Telefon, um dich richtig zu verunsichern…

Echt…du solltest wieder zu dieser Psychologin gehen…

Nein, die war doof. Die hat deine Reaktion kritisiert. Du gehst nicht zu jemandem, der schon beim ersten Gespräch anfängt an dir

Ne, aber ehrlich. Warum sollte ich sonst aufgelegt haben. Das klang echt nach…Nadine. Nicht nach María.

Aber sie ist ihre Tochter, da könnten sie ja ähnlich klingen.

Aber doch nicht, wenn die eine nur „gebrochen“ Deutsch spricht und die andere Deutsche ist…?!


Vielleicht ist sie ja da, um ihre Fotos zu retten. Weil sie deinen Blog gelesen hat und jetzt denkt, du verbrennst die wirklich eins nach dem anderen, all ihre Fotos.

Ja, bestimmt!

Boah, echt ey, da wirst du echt bekloppt! Das hattest du schon mal, bei María. Da hat jemand im Hintergrund gelacht und du dachtest, das wäre Nadine. Dabei war es nur Marías Freundin Jacqueline…



…oder doch nicht…?



 
"Aber das hörte sich so verdammt an wie früher..."







Montag, 8. August 2016

Snack-Automat













Auf einmal, um kurz nach elf, kriegst du voll den Heißhunger auf Süßes. Du gehst nach vorne, zum Eingang der Halle, wo seit neuestem dieser Snack- und Getränkeautomat steht. Du guckst dir an, was du dir nehmen würdest…

…die Ritter-Sport? Näh, das ist die blaue, die Vollmilch-Variante. Die magst du nicht so. Die wird auch immer hart oder ist schon von Natur aus ein hartes Stück Arbeit für deine Zähne…

…diesen komischen großen Cookie. Mit Schokoladenstückchen…Näh, zu teuer und schmeckt nicht richtig…hast du letztens schon probierst.

…den Nestle-Vollmilchsnack…

Nein, der ist zu billig. Viel zu billig und simpel für stolze 80 Cent Kaufpreis!

Nein…

…wenn, dann den Dessert-Kuchen mit 20% leckerer Creme-Füllung. Ein braunes, rundes Küchelchen mit weißer Creme-Füllung. Schmeckt voll geil…

Sehnsüchtig stehst du vor dem Snack-Automaten und guckst dir die Sachen an…

…es gab schon Tage, da hast du dir hier für 3-4 Euro etwas gekauft. Meistens nichts Süßes, sondern Wasa-Sandwiches. Die grünen oder die roten, aber die roten sind besser… Imma wigga hast du da Geld reingeschmissen, sauer zusammengeschleimtes Trinkgeld und gierig eine Packung Wasa-Snacks nach der anderen verputzt… Oder irgendeinen anderen Scheiß. Das Einzige, was eigentlich halbwegs seinen Preis wert ist, ist die Ritter-Sport für 1,20. Fast wie im Geschäft. Aber da gab es ja diese Gerüchte, bei Ritter-Sport, diesen Skandal…

Aber heute nicht! Heute nicht! Hörst du! Du gehst wieder zurück an deinem Platz hinter der Panzerglasscheibe der Wechselkabine. Es sind keine Kunden mehr da…

Ach, scheiß doch drauf…

Wechsel doch den Zwanziger…

Morgen kriegst du den doch eh wieder…

Oder wenn heute noch jemand was gewinnt und Trinkgeld gibt…

Vielleicht findest du ja auch noch etwas im Automaten. Du guckst zu den zwei ersten Automaten hinter dem Eingang… Geld, das irgendjemand vergessen hat. Vor lauter Eile! Das ist bei dir sowieso besser aufgehoben als bei denen… die verzocken das doch eh nur…

…und du verfrisst es. Das ist auch nicht besser!

Nein, es gibt jetzt nichts Süßes. In einer Stunde musst du dir schon wieder die Zähne putzen…

…und außerdem ist das ganz schlecht für deine Zähne…

…da bleibt immer etwas hängen…

…vor allen Dingen, da du ewig lang nicht mehr beim Zahnarzt warst…seit der Trennung nicht mehr…ist eh egal…

…aber was hab ich denn sonst noch vom Leben. Wat hann ich denn noch vom Levve…hörst du deinen Vater sagen…

…heute ist Cheat-Day, Papa…hörst du deine Tochter sagen…

…die hat gut reden, die wiegt ja nur 50 Kilo…

…nein, du wirst jetzt hart bleiben…

…du wirst den Zwanziger nicht anbrechen…

 …vor allen Dingen nicht für Süßes… Keine Schokolade, Nichts Süßes. Das ist schlecht für die Zähne!

Aber…

Aber du hast gerade Trinkgeld bekommen… 6 Euro… Das hat gerade gereicht, um die 90 Euro wieder voll zu machen…

Du brichst den jetzt an, scheiß drauf. Das Leben ist kurz…und am Ende wartet der Tod. Wartet nur der Tod… Am Ende ist das eh scheißegal. ob du das jetzt isst oder nicht… In the grand scheme of things…

…nothing really matters…

Nein!

Klappe!

Aus!

Sitz!

Warte auf die kalten Frikadellen und den Rest der Brühe mit Zwiebelchen, Knoblauch und Möhrchen, die Zuhause auf dich warten…