Donnerstag, 16. Juni 2016

Es rappelt im Karton!










„Früher hab ich das immer geguckt…“

„Was?“

„Das…“

„Ja, was denn?“

„EM.“


„Mit acht. Oder zehn. Nicht mit acht. Oder mit zwölf.“

„Und dann kam das Spanien-Spiel, wo du mit mir hingegangen bist...“


„Es rappelt im Karton, dong dong.“

„Wo hast du dat denn her?“

„Aus der Werbung. Kennst du die nicht.“

Sie spielt mir das Lied vor.

Es rappelt im Karton…

„Voll lustig. Ist ein Video, Verarschung.“

„Wie heißt das Video?“

„Das gibt’s nicht. das gibt’s nur auf Instagramm.“

„Wieso, ich kann doch auch auf Instagram.“

„Wie heißt du denn da? Soll ich dich adden.“

„Als ob ich dir das sagen würde…“

„Die Frage ist nur, ob ich dich adden würde.“


„Bei meinem Spanisch-Lehrer kann man nicht spicken.“


„Weißt u worauf ich Bock hab?“

„Worauf?“

„Mir Pancakes zu machen.“

„Wie macht man denn Pancakes?“

„Es gibt voll viele Videos. Auf YouTube.“

„Ich glaub, ich geh Schwimmen am Wochenende.“

„Echt? Gehst du schwimmen.“

„Ja, ich glaub…“


„Mach doch Pancakes. Hau rein! Ich hab Hunger!“

„Nein, bist du verrückt?!“

„Wie mach man die denn? Hau ma rein! Ich hab Hunger!“


„Wie macht man die denn jetzt? Mit Mehl?“



Sie lacht.

„Wie macht man dieeee?“

„Nerv nicht!“

„Mach mal ein paar. Ich hab keinen Bock! Ich hab Hunger!“

„Es rappelt im Karton, tong, tong…“

Er lacht.

„Karton, tong, tong…“

Harry S ist Teil…

„Der Harry!“

Wir lachen.

„Sind schon weg. Sind im Paradies.“

Sie lacht. Wir lachen.

Schmutzige Hunde…

„Karton, tong, tong…“


„Marokko…“

„Häh?“

„Casablanca…“


How to make pancakes…“

„Ja, mach mal ein paar…“


Sie gähnt.

„Ich muss mein Geschichtsbuch. Ich find das nicht mehr.“


„Bestimmt hat das die Merve. Die ist ein richtiger Messie...“


„Heute hat jemand voll den Wirt gemacht. Einer hat gesagt: Ich hatte ein Polen-Trikot. Aber es wurde mir geklaut.“

„Haha.“


„Ist aber nicht lustig. Die Polen klauen doch nicht ihre eigenen Trikots.“


„Die Polen klauen höchstens Bälle. Die beklauen die Deutschen. Bestimmt sind die alle nackisch, im Zuschauerraum.“


„Ich hab echt keinen Bock, Morgen arbeiten zu gehen.“

„Ich hab auch keinen Bock, morgen in die Schule zu gehen.“



„Boah, mein Kinofilm kommt nächste Woche raus.“

„Echt? Welcher denn?“

„Ein halbes, ganzes Jahr.“


„Hast du Bananen gekauft.“

„Die sind mir!“

„Ich ess jetzt keine. Morgen.“








Als sie gegangen ist, sucht er auf YouTube nach den Karton-Videos. Das will er jetzt wissen. Was das für eine Verarschung ist. Das will er jetzt ganz genau wissen.
Zuerst stößt er nur auf das „echte“ Video. Das von Pixie Paris. Ich glaube, das ist das Echte. Das mit den Frauenärschen. Aber er will keine Frauenärsche – egal, wie knackig die auch sein mögen. Er will die Verarschung. Weil sein ganzes Leben eine Verarschung ist? Keine Ahnung. Das Leben an sich ist genauso eine Verarschung. Es dauert nicht lange, bis er sie gefunden hat. Und sie ist voll nach seinem Geschmack. Jetzt weiß er auch, warum sie ihm das nicht richtig gesagt hat.

Im Video singen fette, bärtige, mittelaltrige Männer (genau wie er), die in Bademäntel gekleidet sind und mit dem Arsch wackeln: Wir ficken im Karton, tong, tong, tong, tong, tong, tong, tong, tong. Und essen Eis dazu. Kleben sich Lollys auf die fetten behaarten Lenden. Er weiß nicht genau, ob das jetzt geil oder traurig ist.

Wir sind alle in der Kiste…

Wir ficken in der Kiste…

Und am Ende sagt eine deutlich jugendlichere Stimme: „Verpiss, dich, du Hurensohn!“ 


Was soll er jetzt davon halten?! 


Das Leben ist schon Scheiße!






Nach Hause zurück



15.06.16





Morgens, als er aufwacht und aus dem Bett aufsteht, kommt er sich vor, als ob das hier ein Schullandheim wär. Ein Ort, an dem er sich nur für eine bestimmte Zeit aufhält. Um dann wieder nach Hause zurückzugehen. Zurück zu können.

Aber das ist es natürlich nicht. Das ist jetzt dein Zuhause. Ob du willst oder nicht.



Das ist dein Leben jetzt. Ob du willst oder nicht.





Dienstag, 14. Juni 2016

Meerschweinchen und der Harem









Im Fernsehen läuft ein Bericht über Meerschweinchen.

Meerschweinchen?!

Ich war auch mal mit einem Meerschweinchen zusammen. Un dich habe eins gegessen. In Ecuador.

Ihr Quieken erinnert an Schweine…so kam ihr Name zustande.

Ja, besonders beim Sex quieken die wie wild…

Niedliche kleine Nager, die als beliebte Haustiere gehalten werden…

Aber wenn sie erst mal die Scheidung wollen, sind sie gar nicht mehr so niedlich…

Meerschweinchen sind vor allem für Erwachsene geeignet…

Aber nicht für Erwachsene europäische Männer…

Meerschweinchen leben im Rudel. Die kleine Nager lieben es im Harem zu leben…möglichste ein kastriertes Männchen, auch Bock genannt (oder Rafael!), und viele Weibchen, im Fachjargon als Sau betitelt (Mandy, Nadine, Slainté – Weibchen, meine ich natürlich, nicht Säue).

Meerschweinchen sind übrigens Nestflüchter…

Oh ja! Das kann er nur bestätigen. Seins ist auch geflüchtet.

es ist wirklich faszinierend, sie zu beobachten, weil sie halt so ausgeprägt miteinander umgehen…

Oh ja!

wenn sie artgerecht gehalten werden…

Bitte nicht mit einem deutschen Schwein (oder auch Elefant genannt halten, das gibt nichts!)

Bei Bedarf müssen die Krallen geschnitten werden…

…damit sie sie nicht im Streitfall (und der tritt mit der Zeit immer öfter ein) eingesetzt werden können…

Es sind Beobachtungstiere. Keine Kuscheltiere.

Stimmt!

Sie haben eine natürliche Beißhemmung, sie beißen also nicht…

…dafür legen sie aber ein umso beindruckenderes passiv-aggressives Verhalten an den Tag, das wirklich interessant zu beobachten ist…

…sie sind sehr schreckhaft…und haben hohe Ansprüche…

Keine Ahnung, was die wollte. Konnte die mir ja auch nicht richtig sagen, die quiekte ja immer nur…

Viele Meerschweinchen vegetieren wirklich vor sich hin, in einem kleinen Käfig, im Dunkeln, auf dem Boden…und häufig wird dann nur ein Meerschweinchen.

Ok, ok, aber sie hatte ja täglich Auslauf. Konnte sich mit den anderen Nagern, mit den anderen Nervennagern, draußen treffen.

…die brauchen die Gemeinschaft, sogar den Harem…

Ja, ok, aber wie soll ich als fetter, deutscher Eber das verstehen. Die hätten sich ja wenigstens ein bisschen an ihre Umgebung anpassen können…

Wir ham hier auch Kerl dabei…das ist der Max, der da vorne frisst…ein stattliches Kerlchen…das ist immer so…möglichst einen Kastraten mit Weibchen halten…das können dann ganz viele sein (dann bleibt es wenigstens in der Familie!)…er ist alleine und hat viele Frauen…das geht bei uns in den menschlichen Kreisen natürlich, aber bei den Meerschweinchen auf jeden Fall…da findet auch keine Eifersucht statt…die Männchen sind kastriert (sicher, dass der kastriert ist?)…und die Weibchen werden ungefähr alle drei Wochen brünstig…und der Mann deckt die dann auch…alle hintereinander…es kommt natürlich nichts raus, aber die Mädchen mögen das…es wird sich liebevoll um sie gekümmert (was man von so einer fetten, einsamen Sau wie ihm natürlich nicht erwarten kann…), das hört sich ein bisschen skurril an, aber so ist das Meerschweinchen-Leben…so kann man sie auch am besten beobachten…man kriegt alles mit, fressen, decken…

Er auch. Unbewusst hat er das auch immer mitbekommen. Das war so ein Gefühl…so ein vages Gefühl…dass da noch mehr vor sich ging…als sein alleiniges Decken, Fressen…





Montag, 13. Juni 2016

Die letzten 24 Stunden










Es ist Montag, der 13.06.16, 12:10 Uhr. Er sitzt am Bahnhof auf einer Bank und isst Brötchen. Eins nach dem anderen, immer weiter. Seinen Zug hat er gerade fahren gelassen. Scheiß drauf! Er hat noch Zeit. Obwohl Herr Reiher, sein Kollege, im Zug saß und ihm sogar noch zugewunken hat. Aber er hat den Zug trotzdem nicht genommen. Oder gerade deswegen nicht, weil der da drinnen saß?! Nein, so wichtig ist Herr Reiher auch wieder nicht. So nervig. So langweilig. Obwohl er einem schon ganz schön auf die Eier gehen kann. Mit seinem ständigem intellektuellen Gehabe und Getue. Einmal, nur einmal würde er ihm gerne die Frage aus Fight Club stellen. Die, die Brad Pitt Edward Norton im Flugzeug stellt: Bringt das Ihnen was, so intelligent zu sein? Aber dafür ist er natürlich viel zu nett. Viel zu feige.

Seelenruhig kaut er auf seinen Brötchen rum, die er zum reduzierten Preis bei Kamps gekauft hat. 5 Dinkel-, Sonnenblumen-, Vollkorn oder Roggenbrötchen zum Preis von zwei Euro. Ein echtes Schnäppchen! Normalerweise würden 5 Roggenbrötchen € 3,25 kosten. Und so nur € 2. Geil, ne?! Er selbst hat sich 2 Dinkel- und 3 Roggenbrötchen genommen. Seelenruhig sitzt er da und hat schon drei der 5 Brötchen verspeist. Während er Love of Lesbian hört. Auf seinem MP3-Player. Diese spanische Band, an die er den Rest seines Herzens verloren hat. Das heißt, das, was María davon noch übrig gelassen hat. Aber wer weiß schon, wie es in seinem Inneren aussieht. Wie es wirklich in seinem Inneren aussieht. Äußerlich wirkt er seelenruhig, wie er so dasitzt und kaut. Äußerlich…

Er hört das Lied „Los días no vividos“. Mittlerweile schon zum dritten Mal. Er liebt dieses Lied. Der Titel stammt aus dem gleichnamigen spanischen Film, der davon handelt, dass der Weltuntergang durch irgendwelche Sonnenstürme unmittelbar bevorsteht und die Leute aus den Nachrichten erfahren, dass ihnen nur noch 24 Stunden bleiben. Er kaut und denkt darüber nach, was er an seinen letzten Tag auf diesem Planeten machen würde. Wie würde ich diesen einen Tag verbringen, wenn ich ganz genau wüsste, dass es mein letzter ist? Er weiß es nicht, findet keine Antwort. Würde er die ganze Zeit nur mit Rumsaufen und Rumhuren verbringen? Mit Sex- und Gewaltorgien? Oder würde er diese absolut letzten 24 Stunden seines Lebens mit seinen Liebsten verbringen, von denen eigentlich nur noch María übrig geblieben ist? Würde sie ihren letzten Tag mit ihm verbringen wollen? Oder mit ihrer Mutter? Oder mit beiden? Sozusagen als letzter Wunsch.

Wie er so darüber nachdenkt, fällt ihm die Antwort förmlich wie Schuppen von den Augen. Er lächelt bitter. Klar, denkt er. Aber wer weiß schon, was in seinem Kopf so vor sich geht. Ich, als Erzähler dieser schier unendlichen Geschichte von Leid, Liebe, Leben und Tod, als Gott über diese Welt, die Einzige, die mir geblieben ist, weiß zwar, wie ich es machen würde, aber das interessiert ja niemanden. Ihr wollt ja alle (alle 2,65 Leser im Monat) wissen, wie er die Zeit verbringen würde, die ihm noch bleibt. Ich persönlich würde mir sagen: Scheiß auf alle Gesetze! Wer will dich denn och bestrafen, wenn in 24 Stunden eh alle tot sind?! Und dann würde er losgehen. „In einer Welt ohne Gesetze…“, hat er früher immer zu Nadine gesagt. In einer Welt ohne Gesetze würde ich keine Angst mehr haben, endlich keine Angst mehr. Oder noch mehr Angst, aber dafür wär sie wenigstens real. Irgendwie

Und was würden Sie tun, lieber Leser, wenn Sie wüssten, dass Ihnen nur noch 24 Stunden bleiben?

Und was würdest du tun, lieber Leser? (Schließlich habe ich nur noch 24 Stunden, und da sieze ich doch niemanden mehr! Nie mehr!)