Sonntag, 17. Mai 2015

Keep calm and fuck you!









Alle sagen mir, ich soll ruhig bleiben. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester, Herr Baden, alle. Wenn alle das sagen, denke ich, muss doch da was dran sein.

Ich finde diese Haltung beneidenswert. Immer die Ruhe zu bewahren.

Wirklich.

Wie ihr alle so ruhig seid, so cool bleibt, immer und überall, in allen Lagen und Situationen, das ist wahrlich beneidenswert.

Wirklich.

Angesichts eines Lebens, das unweigerlich im Tod endet und dir Stück für Stück alles nimmt, was du jemals lieb gewonnen hast, würde ich auch gerne ruhig bleiben, cool bleiben.

Genau wie ihr.


Oder seid ihr es in echt gar nicht? Oder tut ihr nur so, weil ihr euch daran labt, dass es mir schlechter geht und ihr euch so als stoische deutsche Buddhas präsentieren könnt, die immer ruhig bleiben, komme was wolle.

come hell or high water

Das frage ich mich, während um mich herum die Welt, die ich vor ein paar Monaten noch für selbstverständlich gehalten habe, zusammenbricht.

Und so bin ich auch in gewisser Weise ruhig. Fühlt ihr euch jetzt besser dadurch? Seid ihr ruhiger? Oder quält euch, wenn ihr meine Probleme nicht mehr habt, die Tatsache, dass man immer nur scheinbar ruhig bleiben kann, angesichts eines Lebens, das unweigerlich im Tod endet und in dem man am Ende alles verliert, was man irgendwann einmal geliebt hat.

Da lob ich mir Johnny Cash, der ganz einfach nur singt: Everyone I know goes away, in the end. Mit ganz ruhiger Stimme.

Keep calm and fuck you!







Liebeskummer









Wenn ich nachts aus der Spielhalle, in der ich als Aushilfe arbeite, nach Hause komme, fühle ich mich wie die mexikanische Prärie-Wühlmaus aus dem Liebeskummer-Experiment, wie sie abends in ihren leeren Bau zurückkehrt und das Weibchen nicht mehr da ist. Das ist jedes Mal das Gleiche. Das bedrückt mich so, dass ich, wenn ich ins Schlafzimmer komme, nachdem ich mich, nach einer langen Busfahrt, zehn Minuten mühsam den Berg hochgequält habe, nicht ihre beiden Füße unter der Decke hervorragen sehe. Liebeskummer ist das Schlimmste, was es gibt. Könnte man dieses Gefühl gezielt anwenden, dann wäre das bestimmt eine der bevorzugten Foltermethoden auf Guantanamo.

Ich will nicht nach Hause, ich kann nicht nach Hause. Ich bin so einsam.

Warum muss ich überhaupt noch nach Hause zurück? denke ich während der Bus mich meinem verlassenen Bau immer näher bringt. Denn anders als die Präriewühlmaus, die nach einem langen, abenteuerreichen Tag nichts ahnend in ihre Höhle zurückkehrt, weiß ich bereits im Voraus, was mich erwartet.

Nichts.

Ich will nicht mehr in diesem Bett schlafen. Diesem leeren, kalten Bett. Ich will ein neues Bett. Oder Marías. Obwohl ich weiß, dass das nichts bringen würde. Denn seit sie mich verlassen hat, ist die ganze Wohnung von den Erinnerungen unserer Liebe verseucht. All die Jahre.

Und sie interessiert das alles nichts, wie ich mich fühle. Nichts. Kein bisschen. Kein Stück. Und ich war über 19 Jahre ihr Mann, der Mann an ihrer Seite. Mit dem sie ihr Bett, ihr Leben geteilt hat. Wie kann sie so kalt sein? Wie kann sie nur so kalt sein?

Heute werde ich mich ganz sicher in den Schlaf heulen. Ich heule ja schon fast in der U-Bahn. Wie kann sie mir das antun? Warum? Okay, ich weiß, dass ich viel falsch gemacht habe. Ich kenne meine Fahler. Aber ist das ein Grund, mich so zu behandeln? Mich so abzuservieren? Von einem Tag auf den anderen?

Kann man denn wirklich nichts machen?

Kann man denn wirklich nichts mehr machen?

Außer die Kontaktsperre konsequent einzuhalten?

Zu beten?

Gibt es nichts, was ich tun kann? Wenn die Wohnung weg ist, bin ich auch weg.

Wer mir sowas antut, den lohnt es nicht zurückzugewinnen.

Und wieder kommt mir der Gedanke an Selbstmord. Das ist etwas, was ich nie tun werde, aber es tut so weh; nach Hause zu kommen und da ist niemand mehr. Niemand.

Ich will nicht mehr. So will ich nicht weiterleben. Das ist jetzt schon 2 1/2 Monate her. Und es wird und wird nicht einfacher. 2 1/2 Monate jeden Tag Schmerzen. Tränen. Stellen Sie sich das mal vor. Ich leide wie ein Hund.


Der Bus kurvt durch die dunkle Stadt und du sitzt da wie betäubt. Als hätte der irgendein Insekt jeglichen Lebenswillen ausgesaugt. Du erinnerst dich an dieses Facebook-Foto, was sie dir nicht gezeigt hat und wo sie an Karneval als Insekt verkleidet war.

Du kannst dich nicht töten, wegen einer Frau. Aber das Leben macht auch keinen Sinn mehr. Du liebst sie so sehr. Hast sie immer geliebt. Vielleicht war das dein Fehler.

Warum kann Gott mich nicht einfach sterben lassen? Oder die Tabletten, die ich nicht mehr nehme. Was hat er – wenn es ihn überhaupt gibt – noch mit mir vor, mit dieser leeren Hülle von Mensch, mit diesem leeren Fleischbehältnis?

Was soll das noch?

Es bringt doch nichts mehr.

Sie ist weg. Und was auch immer du tust oder lässt, sie wird nicht zurückkommen.

War das alles?

Aber ich hatte auch gute Zeiten mit ihr. Die Zeit ist so schnell vergangen und jetzt stehe ich kurz vor 40 auf einmal allein da. Von heute auf morgen. Ohne Erklärung.

Wie viele gute Jahre bleiben mir noch? Und wie viele von ihnen werde ich mit Trauerarbeit verbringen? Im Moment ist mein Leben vorbei. Ende. Aus. Der Nikolaus.

So einfach, und wie lange noch?

Bei mir dauert so etwas lange; ich weiß das. Weil ich in meiner Kindheit keine Liebe hatte.

Und dann bin ich irgendwann 50 und eh schon halb tot.

Warum nicht gleich? Das kann ich auch schneller haben.

Da muss ich nicht noch Jahre voller Trauer leben, voller leerer Hoffnungen, die sich nicht erfüllen. Nie erfüllen werden. Nie mehr.

Das macht doch keinen Sinn. Das wollte mir Betty damals erzählen, in Schottland, als sie mir beim Abendessen ohne Vorwarnung mitten ins Gesicht sagte: "Das Leben macht keinen Sinn". Und ich hab das für Quatsch gehalten. Ich kann einen liebgewonnenen Menschen nicht verlieren. Nicht einfach so. Ich verkrafte das nicht.

Es ist so ohne dich...

Damals hab ich das auch Spaß im Urlaub gesungen, immer wieder, obwohl sie da noch da war.

Heute hat das Lied eine ganz andere Bedeutung. Wie Bettys These zum Sinn des Lebens. Heute verstehe ich zum ersten Mal, was die Bedeutung dieser Worte ist, die ich ihr damals im Urlaub so übermütig und glücklich immer wieder ins Ohr gesungen habe.

Jetzt, wo es zu spät.

Es ist so ooooohnne dich...

...ich will das nicht...

...denkst du vielleicht auch mal an mich?

Ich gab dir meine Liebe...

Alles ist zu spät. Nur ein paar Tabletten und es wär Schluss. Ende. Aus. Der Nikolaus. Ein paar mehr als sonst. Nur ein paar. Wie viele? Keine Ahnung. 5-6 Bisos und 5-6 Ramipril...oder beide zusammen...und ich würde so Herzklabaster kriegen, dass Schluss wär. María würde mich in 3 Tagen finden und gut ist.

So in meine trüben Gedanken versunken, merke ich gar nicht, dass ich gerade an meiner Haltestelle vorbeigefahren bin. Das heißt, ich merke es doch, aber ich fahre einfach weiter. Dann fahre ich eben die große Runde. Dann komme ich zwar später nach Hause, muss aber auch weniger laufen.

Oder fahre ich etwa weiter, weil ich nicht nach Hause will?

Fahre in Medinghoven an dem Kindergarten vorbei, in dem María war. So viele Erinnerungen. Überall. Wie Tretminen. Wie oft bist du mit ihr diesen Weg gefahren...

Wir haben so viel miteinander erlebt, so viel zusammen durchgemacht. Ich dachte immer, das schweißt zusammen.

Aber ihre Schwestern waren stärker. Die Liebe zu ihren Schwestern ist stärker als die Liebe zu mir.
So ist das eben. Im Leben.

Sometimes you love someone and sometimes you lose instead...

Dein ständiger Frust war stärker, deine Eifersucht, deine Wut, die du an ihr immer wieder ausgelassen hast, bis sie daran zerbrochen ist. Sie hat dir das bildlich gezeigt.

"Wie bei einem Zweig...", hat sie gesagt und mit ihren Hände eine Bewegung gemacht, als würde sie einen Zweig zerbrechen.

Den dünnen Zweig eurer Liebe. Zu zerbrechlich in dieser harten, kalten Welt. Du hast ihn zerbrochen und er lässt sich nicht mehr kitten. Und selbst wenn, er ist nicht mehr derselbe.

Okay, ich hab sie bedroht, beschimpft

Aber nur, weil sie mich so zur Weißglut getrieben hat, mit ihrem Schweigen, ihrem Heulen, ihren Lügen.

Okay, ich hab meine schlechte Laune an ihr ausgelassen, immer wieder, bis sie an ihr zerbrach...an mir zerbrach.

Wie ein Zweig.

Aber wissen Sie, wisst ihr, wie ich leide???

Ich habe in diesen 2 1/2 Monaten das alles wieder gutgemacht. Mindestens. Oder vielleicht nicht alles, aber...

Vielleicht kann man das aber auch nie wieder gutmachen.


Warum kann Gott mich nicht einfach zu sich holen? Ich habe genug gesehen, genug erlebt. Das reicht mir. Was soll denn noch kommen? Noch mehr Leid, noch mehr Schmerz. 38 ist nicht 24.

Ich habe die Schnauze voll von diesem Leben, wo man Stück für Stück alles verliert, was einem lieb ist.






Life is not so bad










17. Mai 2015 (Fortsetzung)

Ich komme von meinen Eltern, mache extra einen Umweg um den Fußballplatz, wo sonntags immer die ganzen Ecuadorianer spielen. Darauf, die zu sehen, hab ich jetzt echt keinen Bock. Also umlaufe ich den Platz weitläufig, laufe extra oben entlang, fast schon am Waldrand, nur um nicht an diesem roten Ascheplatz am "Haus der Jugend" vorbeizukommen.

Trotz alledem ertappe ich mich in letzter Zeit immer öfter dabei, dass ich denke, dass es mir scheißegal ist, was sie gerade macht. Ich bin zwar noch nicht so weit, eine Wichsfantasie von ihr und einem anderen Mann zu schreiben, aber ich bin auch nicht mehr am Anfang meines langen Leidensweges. Ein Hoch auf die Kontaktsperre. Das ist wirklich so: Entweder sie nimmt Kontakt auf und es kommt zu einem Treffen und vielleicht zur Versöhnung oder man lernt langsam und jeden Tag aufs Neue, ohne den Partner klarzukommen. wie ich so in der Sonne die Straße entlang laufe, weiß ich weiß noch nicht mal mehr, ob ich sie jetzt noch so einfach zurücknehmen würde. Die Zeiten sind vorbei. Es ist vorbei. Irgendwann ist auch mal Schluss mit Jammern. Auch nach 19 Jahren. Vielleicht hat meine Schwester ja Recht und das, was ich im Moment durchlebe sind die letzten Wehen meines Liebeskummers, das letzte Aufbäumen, bevor ich bereit bin, sie zu vergessen. Ihr zu vergeben ist da immer noch eine ganz andere Sache. Auch mein Glück im Spiel geht langsam zu Ende. Nächste Woche ist Salsa-Party und ich werde voll sein wie ein Fass. Garantiert. Vielleicht finde ich ja einen Ersatz für sie oder gar eine bessere, jüngere Version von ihr. Bock hätte ich. Worauf ich keinen Bock mehr habe, ist, den ganzen Rest meines Lebens depressiv zu sein, den ganzen Rest meines Lebens einer Frau hinterherzutrauern, die mich – wie mein Vater das immer nennt – "mutwillig" verlassen hat und die mich nicht mehr zurück will. Das Leben ist zu kurz und ich fühl mich eigentlich ganz gut. Ich gehe jetzt nach Hause und mache mir das Käsebrot, das mir meine Mutter mitgegeben hat, schreibe und hole mir vielleicht sogar einen runter.
Raten Sie mal, an wen ich dabei denken werde. Life is not so bad, if you give it half a ******* chance.

Im Bus sitze ich schräg hinter einer Schwarzen mit Dreadlocks. Das ist interessant, das Haar von denen. Wie das sich kräuselt. Ich denke darüber nach, wie ich ihr Haar aus Spaß berühren würde, um zu sehen, wie es sich anfühlt, wie ich sie berühren würde. Ihren Körper. Das wär schön. Unter ihren Oberteil kann man ein Stück ihrer Schulter und ihres Rückens sehen. Ihre Haut ist so schön, so glatt, so braun, dass ich immer wieder hingucken muss, ob ich will oder nicht. Auch ihre kecke schwarze Stupsnase, die ich im Profil sehe, finde ich schön. Ich stelle mir vor, wie es wäre mit ihr auf der Abschlussfeier meiner Tochter aufzutauchen. Da würde meine EX ganz schön gucken! Das wär schon geil. Wenn ich sie mitnehmen würde...aber ich weiß nicht, ob ich das tun würde, selbst wenn ich mit ihr zusammen wäre. Ich glaube nicht. Das wär einfach noch nicht richtig, das wär eine klare Missachtung meiner Tochter.

Ich hab noch nie eine Schwarze gehabt. Auch keine Chinesin. Ich hab so viele verschiedene Frauen noch nie gehabt. Was hab ich eigentlich in all den Jahren gemacht. Frauen sind dafür da, Spaß zu haben, sagt John Alexander.

Ich werde jede Minute lockerer, entspannter, sehe die Trennung nicht mehr so verbissen. Es geht aufwärts!





Sonntag, 1. März 2015

Stunde Null



1. März 2015






Stunde Null (Tag 0/D-Day/Groundhog Day/Ground Zero)


Die Tür geht zu und sie ist schon auf dem Weg zum Auto. Mit deiner Tochter. Du könntest noch hinterherlaufen - selbst in deinem hochprozentigen, hochexplosiven Zustand. Aber du tust es nicht. Diesmal nicht. Irgendwas hält dich davon ab. Du liegst mit verheulten Augen auf dem Bett, der Laptop vor dir. Du hast es getan. Du hast die Email verschickt. Du willst hinterherlaufen, kannst es aber immer noch nicht. Du hast keine Kraft. Du hast keine Kraft mehr. Du hörst, wie sie das Auto anlässt, dieses typische Geräusch ihres alten Polos. Den du so liebst.

Ich weiß nicht mehr, ob ich noch sehe, wie das Auto aus der Einfahrt fährt, aber ich weiß, als es weg ist. Als sie weg ist. Und du alleine zurück bleibst in eurer Wohnung. Du torkelst zum Fenster. Aber es ist zu spät. Viel zu spät. Es ist vorbei. Diesmal hast du es richtig versaut. Diesmal hast du sie - einmal - nicht aufgehalten. Hast dich nicht - wie sonst, als sie gehen wollte - im Flur vor die Tür gestellt. Hast sie nicht aufgehalten. Nadine, mit der du seit ewigen Zeiten zusammen bist. Seit du 18 Jahre alt bist, um genau zu sein. So lang. Und jetzt ist sie weg. Endgültig weg (zuerst willst du endlich weg schreiben!). Die Frau, mit der du seit 1996 zusammen bist, mit der du so viel erlebt hast, mit der du eine 16-jährige Tochter hast. Die sich nicht in der Mitte teilen lässt, so dass ein Teil bei dir bleibt und ein Teil bei ihr. Und selbst wenn: Im Moment ist der ganze Teil bei ihr. Ist mit ihr gegangen. Warum? Weil sie keinen Bock mehr auf die dauernden Streitigkeiten hat. Auf rationaler Ebene kannst du deine Tochter sogar verstehen. Aber emotional. Emotional is a totally different ballgame wie die Amerikaner sagen würde.

Und dann, irgendwo zwischen Bett, Küche und Fenster, kommt dir dieser Gedanke mit der Kraft eines Vorschlaghammers, einer in deinem Gesicht exploierenden Atombombe, einem Flugzeugabsturz, einem Sprung aus Hundert Metern, ohne Fallschirm auf Betonboden.

Du bist so dumm!

Du bist so dumm!

Du bist so dumm!

So unglaublich dumm!

Du heulst, schlägst die Hände über dem Kopf zusammen, raufst dir die Haare, ziehst dich an.

Du bist so dumm!

So dumm!

Du hast gerade deine Ehefrau verloren!

Und deine Tochter ist auch weg!

Du bist so dumm!

Wie kann man nur...

...so dumm sein.


Du weißt es instinktiv in diesem Moment.

Du hast heute alles verloren. Dein Leben wie es bisher war, ist vorbei.

Mannomann


***


Du gehst zu deinen Eltern. Und in diesem Fall ist „gehen“ wortwörtlich zu nehmen. Du läufst nämlich wortwörtlich die 7 Kilometer zu Fuß - wie magisch angezogen von Bonn-Kessenich. Eigentlich hast du hier nichts zu suchen. Du hast ja schließlich runde sechs Jahre keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt, hast ihn einfach so abgebrochen – fast genau wie Nadine dich jetzt einfach so hat sitzen gelassen. Später wirst du wissen, warum dich Kessenich vielleicht noch unbewusst so angezogen hat. 

Wo sollst du auch sonst hin?! Du hast keine Freund, keine Bekannten, keine Geliebte (Gott bewahre) und auch sonst niemanden. Also müssen die Eltern herhalten. Aber das stellst du erst auf dem Weg fest. Der Weg ist das Ziel! 

Jahrelang hast du alles (Freunde, Bekannte, Haustiere, Geliebte) deiner Ehe untergeordnet. Und auf perverse Weise warst du glücklich. Jetzt rächt sich das. Du läufst wie auf Autopilot. Und das liegt nicht am Alkohol, den du intus hast. Okay, wenig ist das auch nicht, aber du kannst das ab. Was du nicht abkannst ist eine Frau, die dich soeben mitsamt Tochter verlassen hat. Vielleicht für immer. Vielleicht auf Nimmerwiedersehen. Gedanken schießen dir durch deinen ohnehin schon benebelten Schädel. Und obwohl es kühl ist, kriegst du von deinem Marsch quer durch die Stadt keinen kühleren Kopf. Du hast sie verloren. Du hast alles versaut. Das war’s. 

Sie hat das arrangiert. Sie wollte schon am Freitag gehen. Sie wollte schon lange gehen. Du wolltest es nicht sehen. Wolltest es nicht wahrhaben. Nicht jetzt, wo deine Tochter kurz vor ihrer Abschlussprüfung steht. Selbst als ihre Papiere am Freitag verschwunden waren, wolltest du die Wahrheit einfach nicht sehen. Wolltest dir nicht eingestehen, dass das kein schlechter Scherz war, als sie dir vor ungefähr zwei Wochen gesagt hat, dass sie auszieht, dass du dir eine Wohnung suchen sollst, denn sie wolle nicht mehr, sie könne nicht mehr. Du wolltest selbst die Tatsache nicht wahrhaben, dass sie dir am Freitag gesagt hatte, sie ginge zu ihren Schwestern – nachdem du ihre Lüge entlarvt hattest, dass sie zu einer Frau wo sie Arbeit geht. 

Du hast deine Beziehung als selbstverständlich angesehen. Du hast sie – und deine Tochter – als selbstverständlich angesehen. Selbst als sie dir das mitten ins Gesicht gesagt hat.
Doch als sie dir dann heute sagte, dass sie nicht mehr neben dir schlafen könne, da ging es nicht mehr. 

Und noch ein anderer Gedanke kreist dir durch den Kopf. Der Streit war geplant. Siewollte, dass du ausflippst. Sie wollte dich provozieren, um einen Vorwand zu haben, um gehen zu können. Du spürst instinktiv, dass das die Wahrheit ist. Die bittere Wahrheit. Die Wahrheit ist immer bitter. Du bist doch jahrelang derjenige gewesen, der die Wahrheit gepredigt hat. Und jetzt verträgst du sie nicht?!  Sie ist weg und hat den Streit so hingebogen, dass sie gehen konnte. Und du hast ihr mit deinem Wodka und deinem Theater noch in die Hände gespielt. Sie hat dich voll ins Messer laufen lassen.

Du bist so dumm!

„Ich will nicht mehr neben dir schlafen.“


„Ich kann nicht mehr neben dir schlafen.“


Ihr steht in der Küche. Sie steht vor dem Herd, kocht eine Nudelsuppe. Warum sie noch kocht, wenn sie nicht mehr neben, mit dir schlafen kann, ist mir schleierhaft. Du nimmst die halbvolle Wodkaflasche aus dem Schränkchen beim Fenster, nimmst dir eine Tasse und schüttest dir einen kräftigen Schluck ein. Dann gehst du zur Tür und schließt sie, so dass María nichts von dem hören kann, was jetzt kommt. Nadine guckt dich mit einer Mischung aus Trauer und Verbissenheit an, die du nur allzugut kennst.

„Ich kann nicht mehr neben dir schlafen.“

Du hast diese Nacht keine vier Stunden geschlafen, bist um zwei nach Hause gekommen und bist um sechs wieder aufgestanden. Wie konntest du nur denken, dass alles ausgestanden war?! Wie konntest du nur so dumm sein.

„Ich hab nächste Woche einen Termin bei einer Psychologin. Dann erklär ich der das.“

Mach doch, du blöde Kuh.

„Du kannst ja mitkommen.“

„Als ob ich mit dir zu irgend so einer Psycho-Tante gehen würde…bin ich denn bescheuert.“

„Dann nicht.“

Oder war es andersrum und ich hab gesagt: „Ich kann ja mitkommen. Dann gehen wir da gemeinsam hin und reden über die Probleme.“

„Nein, da geh ich alleine hin. Dafür ist es zu spät. Ich nimm dich doch nicht mit.“

„Dann leck mich doch. Mann!“

Ja, ich glaube das ist näher an der Wahrheit. 

Was ist schon die Wahrheit.

Etwas, das zwischen einer halben Tasse Wodka, meiner Wut und ihren rohen Emotionen verloren geht.

Sobald die Tür zu ist, fang ich an, sie anzuschreien. Das Übliche. Es geht nicht mehr. Sie hat ja Recht. Aber so geht es auch nicht. Ich bin doch nicht ihr Fußabtreter.

Das Ende vom Lied ist, dass die Tür aufgeht und María alles mitbekommt.

Irgendwann kurz darauf ist Nadine im Schlafzimmer und sitzt mit María am Kopfende des Bettes. Ich schreie heulend, wie ein Besessener:

„Ich liebe meine Tochter. Ich liebe sie. Gott weiß, dass ich sie liebe.“

Keine Ahnung warum. Wer fragt schon nach dem Warum, wenn es um Gefühle geht. Um Liebe, Hass, Wut. Vielleicht hab ich ja da schon geahnt, dass ich sie kurz darauf verlieren würde. Wen? Meine Tochter? Nein: meine Frau. Beide.