Sonntag, 17. Mai 2015

Liebeskummer









Wenn ich nachts aus der Spielhalle, in der ich als Aushilfe arbeite, nach Hause komme, fühle ich mich wie die mexikanische Prärie-Wühlmaus aus dem Liebeskummer-Experiment, wie sie abends in ihren leeren Bau zurückkehrt und das Weibchen nicht mehr da ist. Das ist jedes Mal das Gleiche. Das bedrückt mich so, dass ich, wenn ich ins Schlafzimmer komme, nachdem ich mich, nach einer langen Busfahrt, zehn Minuten mühsam den Berg hochgequält habe, nicht ihre beiden Füße unter der Decke hervorragen sehe. Liebeskummer ist das Schlimmste, was es gibt. Könnte man dieses Gefühl gezielt anwenden, dann wäre das bestimmt eine der bevorzugten Foltermethoden auf Guantanamo.

Ich will nicht nach Hause, ich kann nicht nach Hause. Ich bin so einsam.

Warum muss ich überhaupt noch nach Hause zurück? denke ich während der Bus mich meinem verlassenen Bau immer näher bringt. Denn anders als die Präriewühlmaus, die nach einem langen, abenteuerreichen Tag nichts ahnend in ihre Höhle zurückkehrt, weiß ich bereits im Voraus, was mich erwartet.

Nichts.

Ich will nicht mehr in diesem Bett schlafen. Diesem leeren, kalten Bett. Ich will ein neues Bett. Oder Marías. Obwohl ich weiß, dass das nichts bringen würde. Denn seit sie mich verlassen hat, ist die ganze Wohnung von den Erinnerungen unserer Liebe verseucht. All die Jahre.

Und sie interessiert das alles nichts, wie ich mich fühle. Nichts. Kein bisschen. Kein Stück. Und ich war über 19 Jahre ihr Mann, der Mann an ihrer Seite. Mit dem sie ihr Bett, ihr Leben geteilt hat. Wie kann sie so kalt sein? Wie kann sie nur so kalt sein?

Heute werde ich mich ganz sicher in den Schlaf heulen. Ich heule ja schon fast in der U-Bahn. Wie kann sie mir das antun? Warum? Okay, ich weiß, dass ich viel falsch gemacht habe. Ich kenne meine Fahler. Aber ist das ein Grund, mich so zu behandeln? Mich so abzuservieren? Von einem Tag auf den anderen?

Kann man denn wirklich nichts machen?

Kann man denn wirklich nichts mehr machen?

Außer die Kontaktsperre konsequent einzuhalten?

Zu beten?

Gibt es nichts, was ich tun kann? Wenn die Wohnung weg ist, bin ich auch weg.

Wer mir sowas antut, den lohnt es nicht zurückzugewinnen.

Und wieder kommt mir der Gedanke an Selbstmord. Das ist etwas, was ich nie tun werde, aber es tut so weh; nach Hause zu kommen und da ist niemand mehr. Niemand.

Ich will nicht mehr. So will ich nicht weiterleben. Das ist jetzt schon 2 1/2 Monate her. Und es wird und wird nicht einfacher. 2 1/2 Monate jeden Tag Schmerzen. Tränen. Stellen Sie sich das mal vor. Ich leide wie ein Hund.


Der Bus kurvt durch die dunkle Stadt und du sitzt da wie betäubt. Als hätte der irgendein Insekt jeglichen Lebenswillen ausgesaugt. Du erinnerst dich an dieses Facebook-Foto, was sie dir nicht gezeigt hat und wo sie an Karneval als Insekt verkleidet war.

Du kannst dich nicht töten, wegen einer Frau. Aber das Leben macht auch keinen Sinn mehr. Du liebst sie so sehr. Hast sie immer geliebt. Vielleicht war das dein Fehler.

Warum kann Gott mich nicht einfach sterben lassen? Oder die Tabletten, die ich nicht mehr nehme. Was hat er – wenn es ihn überhaupt gibt – noch mit mir vor, mit dieser leeren Hülle von Mensch, mit diesem leeren Fleischbehältnis?

Was soll das noch?

Es bringt doch nichts mehr.

Sie ist weg. Und was auch immer du tust oder lässt, sie wird nicht zurückkommen.

War das alles?

Aber ich hatte auch gute Zeiten mit ihr. Die Zeit ist so schnell vergangen und jetzt stehe ich kurz vor 40 auf einmal allein da. Von heute auf morgen. Ohne Erklärung.

Wie viele gute Jahre bleiben mir noch? Und wie viele von ihnen werde ich mit Trauerarbeit verbringen? Im Moment ist mein Leben vorbei. Ende. Aus. Der Nikolaus.

So einfach, und wie lange noch?

Bei mir dauert so etwas lange; ich weiß das. Weil ich in meiner Kindheit keine Liebe hatte.

Und dann bin ich irgendwann 50 und eh schon halb tot.

Warum nicht gleich? Das kann ich auch schneller haben.

Da muss ich nicht noch Jahre voller Trauer leben, voller leerer Hoffnungen, die sich nicht erfüllen. Nie erfüllen werden. Nie mehr.

Das macht doch keinen Sinn. Das wollte mir Betty damals erzählen, in Schottland, als sie mir beim Abendessen ohne Vorwarnung mitten ins Gesicht sagte: "Das Leben macht keinen Sinn". Und ich hab das für Quatsch gehalten. Ich kann einen liebgewonnenen Menschen nicht verlieren. Nicht einfach so. Ich verkrafte das nicht.

Es ist so ohne dich...

Damals hab ich das auch Spaß im Urlaub gesungen, immer wieder, obwohl sie da noch da war.

Heute hat das Lied eine ganz andere Bedeutung. Wie Bettys These zum Sinn des Lebens. Heute verstehe ich zum ersten Mal, was die Bedeutung dieser Worte ist, die ich ihr damals im Urlaub so übermütig und glücklich immer wieder ins Ohr gesungen habe.

Jetzt, wo es zu spät.

Es ist so ooooohnne dich...

...ich will das nicht...

...denkst du vielleicht auch mal an mich?

Ich gab dir meine Liebe...

Alles ist zu spät. Nur ein paar Tabletten und es wär Schluss. Ende. Aus. Der Nikolaus. Ein paar mehr als sonst. Nur ein paar. Wie viele? Keine Ahnung. 5-6 Bisos und 5-6 Ramipril...oder beide zusammen...und ich würde so Herzklabaster kriegen, dass Schluss wär. María würde mich in 3 Tagen finden und gut ist.

So in meine trüben Gedanken versunken, merke ich gar nicht, dass ich gerade an meiner Haltestelle vorbeigefahren bin. Das heißt, ich merke es doch, aber ich fahre einfach weiter. Dann fahre ich eben die große Runde. Dann komme ich zwar später nach Hause, muss aber auch weniger laufen.

Oder fahre ich etwa weiter, weil ich nicht nach Hause will?

Fahre in Medinghoven an dem Kindergarten vorbei, in dem María war. So viele Erinnerungen. Überall. Wie Tretminen. Wie oft bist du mit ihr diesen Weg gefahren...

Wir haben so viel miteinander erlebt, so viel zusammen durchgemacht. Ich dachte immer, das schweißt zusammen.

Aber ihre Schwestern waren stärker. Die Liebe zu ihren Schwestern ist stärker als die Liebe zu mir.
So ist das eben. Im Leben.

Sometimes you love someone and sometimes you lose instead...

Dein ständiger Frust war stärker, deine Eifersucht, deine Wut, die du an ihr immer wieder ausgelassen hast, bis sie daran zerbrochen ist. Sie hat dir das bildlich gezeigt.

"Wie bei einem Zweig...", hat sie gesagt und mit ihren Hände eine Bewegung gemacht, als würde sie einen Zweig zerbrechen.

Den dünnen Zweig eurer Liebe. Zu zerbrechlich in dieser harten, kalten Welt. Du hast ihn zerbrochen und er lässt sich nicht mehr kitten. Und selbst wenn, er ist nicht mehr derselbe.

Okay, ich hab sie bedroht, beschimpft

Aber nur, weil sie mich so zur Weißglut getrieben hat, mit ihrem Schweigen, ihrem Heulen, ihren Lügen.

Okay, ich hab meine schlechte Laune an ihr ausgelassen, immer wieder, bis sie an ihr zerbrach...an mir zerbrach.

Wie ein Zweig.

Aber wissen Sie, wisst ihr, wie ich leide???

Ich habe in diesen 2 1/2 Monaten das alles wieder gutgemacht. Mindestens. Oder vielleicht nicht alles, aber...

Vielleicht kann man das aber auch nie wieder gutmachen.


Warum kann Gott mich nicht einfach zu sich holen? Ich habe genug gesehen, genug erlebt. Das reicht mir. Was soll denn noch kommen? Noch mehr Leid, noch mehr Schmerz. 38 ist nicht 24.

Ich habe die Schnauze voll von diesem Leben, wo man Stück für Stück alles verliert, was einem lieb ist.