Sonntag, 8. Mai 2016

Vaters Lektionen fürs Leben








Das ist der Vorteil, wenn man komplett allein ist, denkt er: Man muss sich um Niemandes Sensibilität kümmern. Die akzeptieren einen ja eh nicht, nehmen einen nicht für voll. Warum sollte man das dann umgekehrt anders machen?! Oder wie hat das sein Vater immer gesagt, ihm fast eingebläut als er Kind war: „Ist der Ruf erst einmal ruiniert, lebt man völlig ungeniert. Needless to say, dass der Ruf und Leumund seiner Vaters makellos war – das ist er immer bei Leuten, die solche Sprüche bringen.

Aber wenn man so drüber nachdenkt, dann hat ihm sein Vater doch so einige wichtige Lektionen fürs Leben mitgegeben.

In der Philosophie: Dass er die Augen zumachen soll, dann würde er sehen, was er ist. Nämlich nichts. Oder Dunkelheit?!

In der Liebe/Partnerschaft: Dass manche Typen zwei Freundinnen haben und er (der Sohn natürlich, wer sonst) keine. Siehst du, Papa, das stimmt jetzt sogar wieder. Ich habe keine Frau und keine Freundin. Ich habe sozusagen nichts, was uns wieder auf Punkt eins, nämlich die Philosophie zurückwirft!

In der Sexualität: „Pervers ist der, der von der Norm abweicht. Aber keiner kann die Norm bestimmen.“ (auch wieder leicht philosophisch angehaucht, obwohl ich immer dachte, dass pervers der ist, der mit Nadines Schwester liiert, befreundet oder gar bekannt ist, aber ich lasse mich da gerne überraschen)

Und eben zu guter Letzt in der moralischen Lebensführung (siehe oben). Obwohl er Letzteres immer noch nicht so verinnerlicht hat, dass er danach leben würde/könnte. Aber was nicht ist, kann ja noch werden…

Dann kann ich dir ja vielleicht sogar das Rauchen wie ein Schlot und meinen Bluthochdruck mit stolzen vier Jahren verzeihen, Vater, denn jetzt, wo wir getrennt sind, stelle ich immer mehr fest, dass du mir nur auf den rechten Weg helfen wolltest. Dass ich das nicht annehmen wollte, das liegt dann wohl doch eher an meiner eigenen jugendlichen Halsstarrigkeit, die in diesem, meinem 39ten Lebensjahr immer noch nicht ganz auskuriert ist.

Danke, dass du versucht hast, diesem schlechten Material, diesem schlechten Leibholz den wahren Weg aufzuzeigen!






Samstag, 7. Mai 2016

Rhein in Flammen









Draußen scheint die Sonne…

...keine Wolke ist am Himmel zu sehen...

...es ist locker 25 Grad warm...

...und...

...und...

…heute ist Rhein in Flammen…

…ein großes Feuerwerk am Rein und in der Rheinaue…

…da kommen locker eine halbe Million Menschen hin…

…alle gehen raus…

…mit Freunden und Familie…

…alle saufen, tanzen, lachen…

…und ficken…



…und…

…ihm ist so langweilig…

…dass er auf Klo geht…

…um auch nur ein bisschen Leben zu haben…

…ein bisschen Abwechslung…



…und selbst sein Haufen…

…ist kein richtiger, wohlgeformter Haufen…

…sondern mehr so ein plotterndes, braunes Etwas…

…braune Bolognese-Sauce.





Freitag, 6. Mai 2016

Vater








Ich erinnere mich noch vage an die Jugoslawien-Urlaube. Wo mein Vater dauernd diese traurigen Lieder gehört hat, im Auto. Wie alt werde ich damals gewesen sein: dreizehn, zwölf, keine Ahnung. Ich weiß immer noch genau, von welcher Band die damals waren, die Lieder, die er auf den langen Fahrten in den Urlaub und auch auf den kürzeren Fahrten im Urlaub selbst immer gehört hat. Wir fuhren damals noch mit dem Auto in Urlaub und mein Vater rauchte glaub ich noch – dafür ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle! Ich glaube, es waren die Bee Gees. Die haben glaub ich so etwas Melancholisches – aber ich bin mir da nicht so sicher. Das war der einzige Zeitpunkt, wo mein Vater halbwegs zugänglich war: im Urlaub. Wo er halbwegs glücklich war. War er das wirklich?? Was weiß ich denn. Ich habe kein Tagebuch geschrieben, leider – aber bei meiner Mutter vielleicht verständlich. Ich hatte aber auch nicht den Drang zu schreiben, nicht wie heute, wo ich gar nicht mehr damit aufhören kann.

Aber damals war das noch anders und ich habe nur meine Erinnerungen. Die Erinnerungen eines Mannes, dem noch nicht mal die Namen der berühmtesten Schauspieler einfallen (außer vielleicht der von Leonardo DiCaprio, Julia Roberts und vielleicht auch noch Will Smith, aber bei dem Komiker aus Bruce Allmächtig wird es schon schwierig, da hört der Spaß schon auf).

Wir fuhren also immer nach Jugoslawien, vor dem Krieg – aber die Zeit, an die ich denke, wo mein Vater andauernd diese Lieder gehört hat, die so wunderschön melancholisch waren, war nicht die Jugoslawien-Zeit, sondern die in Ungarn. Vielleicht hatte er damals ja gerade keine Freundin am Laufen und war deswegen so melancholisch, aber über die wahren Gründe seiner Vorliebe für diese Lieder weiß ich nichts.

Er war nie der zugängliche Vater. Aber der bin ich jetzt bei meiner Tochter auch nicht. Nicht richtig. Vielleicht war ich das ja auch nie. Vielleicht hat mich meine Tochter auch jahrelang als distanzierten Über-Vater erlebt, als Tyrann – oder erlebt mich sogar heute immer noch als solchen.

Es ist schwer mit Steinen zu werfen, wenn man im Glashaus sitzt, das hat mir diese Trennung gezeigt…

Aber er war nie direkt zugänglich, mein Vater. Und später – wo ich anfing, mein „Theater“ zu machen, wie es meine Eltern ausdrückten – sowieso nicht mehr. Auch mit progressiver, liberaler 68er-Erziehung hatte er nicht viel zu tun. Obwohl, vielleicht doch: Denn anstatt auf die rohe, brutale Gewalt der vorangegangenen Kriegsgeneration zu setzen, setzte er lieber auf psychische und emotionale Gewalt: Nichtbeachtung, bissige Kommentare, Schweigen und die allmähliche psychische Zermürbung des Feindes, der in seinem Fall ich war. Der Feind seiner Freiheit eines Mannes in den besten Jahren.

Wie sich die Dinge doch ähneln! So sehr, dass es bei mir selbst oft nicht anders war. Während die Welt weiter indifferent ihre Runden dreht.

Aber trotzdem ist das keine hundertprozentige Projektion. Keine hundertprozentige Übertragung meiner eigenen, schlechten Eigenschaften, auf ihn meinen Vater, meinen Erzeuger. Meinen „Erzeugergroßmarkt“, wie er immer zu sagen pflegte. Wie ich war er bestimmt auch mal glücklich, mit dieser **** verheiratet zu sein. Bestimmt gab es Momente des Glücks. Garantiert.


Außerdem kannte er es ja nicht anders. Hatte es nie anders kennengelernt. Wer als Kind schon auf Verlierer geeicht…

…auf schwarzes Schaf, auf Buhmann, auf "an allem schuld", auf "hat nichts und ist nichts" und wird natürlich auch nie was sein…oder haben. Und Punkt.





Spanische Strände








Im Fernsehen läuft ein Bericht über spanische Strände und ich muss fast heulen, als der Strand von Barcelona vorgestellt wird. Der schönste Strand Europas. Oder zumindest einer der schönsten.

Aber danach gehen sie auch noch nach Cádiz und ich werde von einer Sehnsucht ergriffen, die fast nicht mehr zu ertragen ist.

Das letzte Mal war ich mit Nadine in Cádiz. Ich habe immer noch die Fotos. Wo ich ihr den ganzen Tag hinterhergelaufen bin, um das beste Foto von ihrem Ausschnitt zu machen. Sie hatte damals so eine Kette mit einem roten Plastikchili dran. Die zwischen ihren Brüsten hin und herbaumelte. Sie war so schön damals, so sexy in der Sonne Andalusiens. Fünf Tage schien nur die Sonne und es war die ganze Zeit nicht eine Wolke am Himmel zu sehen. Unglaublich! Ich hatte zwar einen Wolf und wir hatten auch glaub ich Streit, aber trotzdem…

…wenn ich jetzt mit damals vergleiche, verstehe ich im Leben nicht, wie ich so schnell in diese Scheiße hineingeraten konnte. Unglaublich


Ich dacht immer unsere Beziehung sei für immer, aber ich musst auf die schmerzlichste Weise erfahren, dass nichts für immer ist

La vida da vueltas, würde Nadine jetzt sagen, wenn sie hier wäre. Ist sie aber nicht. Sie ist bestimmt mit ihrer Familie in der Rheinaue. Glücklich. Keinen Gedanken an mich verschwendend.

Warum sind alle glücklich außer ich?

La vida da vueltas. Wortwörtlich übersetzt heißt das „Das Leben dreht Runden.“ Und ich kann mich nur verwundert und eingeschüchtert und depressiv fragen, wann ich wieder über Start und eine neue Runde beginne.

Genau in diesem Moment, gerade jetzt, wo ich das aufschreibe, läuft im Radio Evanescence mit My Immortal. „Evanescence“ heißt auf Deutsch „Vergänglichkeit“. Vielleicht bin ich ja deswegen so unglücklich, weil ich immer alles zu wortwörtlich nehme. Das war es bestimmt, unter anderem. Meine Unfähigkeit, das Leben leicht zu nehmen – und sei es auch nur für einen Moment. Das macht jede Beziehung kaputt. Diese Leichtigkeit, die mir komplett fehlt. Und diese Schwere, die sie nicht kann. Inkompatibel

und trotzdem

und sag nur ein Wort

aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund

aber sie spricht ja nicht mal mehr mit mir

weil es ihr zu weh tut und sie mich vergessen will?

Amen





 ***


manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn sie noch da wäre. Wenn ich nach Hause kommen würde und sie noch da wäre, im Bett liegen würde, friedlich schlafend, ihr Körper warm, mein Essen würde auf dem Herd stehen, von ihr zubereitet. Ich würde ins Wohnzimmer gehen, in unserer alten Wohnung, mich vor den Fernseher setzen, die Tür zumachen, damit mich keiner sieht, mir den Bauch vollstopfen und mir einen runterholen. Danach würde ich wie immer ins Bett zurückgehen, auf meine Seite des Bettes und irgendwann vor dem Fernseher einschlafen. Am nächsten Morgen kurz von hinten mit ihr schlafen, bevor sie zur Arbeit geht.

Man vermisst die Dinge, die man für selbstverständlich hält  immer erst, wenn sie weg sind.

Aber dann dafür umso schmerzlicher