Mittwoch, 17. Februar 2021

Eis am Stiel

 

for me dad

and for me, of course

R.I.P.

For the heart, life is simple: it beats for as long as it can. 

Then it stops.

Knausgard



Eis am Stiel 

 

Im Fernsehen läuft Eis am Stiel 2. Das heißt, eigentlich auf dem Laptop auf der Arbeit, aber das hält ihn ja nicht davon ab, das zu gucken. Ich wollte auch so sein, denkt er...die erste Liebe...der Dicke, der immer Prügel kriegt...der romantische Dünne, wie der wollte ich sein...mich verlieben, in eine schöne Frau, etwas erleben...wie diese Tammy, eine vernünftige, schöne Frau...das ist so lange her; als der Film rauskam, war ich gerade geboren...das ist ein Kultfilm, ein Kultfilm in der Tat...dieser Benny...auf Partys gehen...die einzige Party, auf die mich mein Vater gefahren hatte, mein Vater, der jetzt tot ist, tot...den Blues tanzen, ganz eng, die wollten alle damals den Blues tanzen...Freunde haben...ein schüchternes Mädchen...meine Eltern hatten das alles auf Video...wo bin ich gelandet, mit all diesen Träumen von damals...das mit dem Hausflur hatte ich später auch, aber nur mit einer Frau, in der Altstadt...Steiner - Das Eiserne Kreuz hatte mein Vater auch...hatte sein Leben einen Sinn und Zweck? Hat er was davon gehabt? Hat irgendein Leben einen Sinn und Zweck - außer natürlich sich fortzupflanzen, diesen sinnlosen Tanz fortzusetzen, die Art zu erhalten...Bowle trinken, wie auf dieser Kirchenfahrt...mit dieser Frau; die war ein paar Jahre älter als ich und hatte einen Freund...einen gut aussehenden, jungen, sportlichen. Aber ich war damals auch dünn, vielleicht nicht sportlicher, aber dafür jünger. Vielleicht auch besser aussehend, wer weiß das schon? Welche Zeiten waren das in Eis am Stiel? Unbeschwerte Zeiten...all das Leben...jeder hat das irgendwann, und es geht verloren...at one time, you've got it, then you lose it, and then it's gone forever...never to return...like your dad...wo er jetzt wohl ist? Es ist egal, was wir tun, wirklich egal, es macht wirklich keinen Unterschied, one way or the other...denen passieren all diese Abenteuer, aber es passiert ihnen nichts, es passiert nichts...nichts außer ein bisschen Herzschmerz...das spielt in den Fünzigern, jetzt sehe ich es, nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Zweiten Weltkrieg in Israel...wie die sich küssen, so unschuldig...junge Liebe, unschuldig, unschuldig und rein, ja, vielleicht nicht rein, aber unschuldig...ernst, ohne Spielchen, das erste Mal... Nicht wie später...wie die Karnickel...lo hacíamos cada rato, como los conejos...der Sex wird weniger ernst und irgendwann wird er vom Leben abgelöst, in seiner Ernsthaftigkeit überholt...diese einsetzende Melancholie, die mit dem Sex kommt, der pequeño mort, der kleine Tod des Orgasmus...tell Laura I love her...tell **** I loved her, and ******* too, and *****, and...my love for her will never die...and ****** of course too...dieser Rock 'n' Roll, sie liebte das, wenn es lief, ging voll darin auf...vergaß alles, sogar mich, haha...und dann der Selbstmordversuch...ach ne, die begeht gar keinen Selbstmord, das war ein anderer Film...und am Ende kommen sie zusammen und der Abspann läuft...Tammy und Benny...und noch eine Folge Eis am Stiel, dabei bin ich schon fast überdrüssig...schon fast gesättigt...hat eh alles keinen Sinn. Trotzdem gucke ich weiter, bis zum bitteren Ende...wieder fahren sie Boot, diesmal mit einer anderen, die frecher ist als die erste...aber auch nicht bumsen will...Benny hat aber auch Pech...die Szene mit dem Penis im Popcorn...



Im Traum liegt mein Vater da und ich will heulen, sage, glaube ich, "Atme, atme", will ihm helfen, er ist doch noch so jung, hat doch nichts von seiner sauer verdienten Rente gehabt. Ich sehe sein Gesicht vor mir, das meinem eigenen so ähnlich sieht, immer ähnlicher wird         und kann nix machen. Nix. Nada. Nada. Ein Satz mit x. Das sagte er immer. Ich will, dass er atmet. Das gönne ich keinem...atme, du Arschloch   aber er liegt einfach nur da...

wie er da liegt. Wie im Krankenhaus     du konntest ihn nicht anfassen, nicht berühren  hast es nicht fertiggebracht  konntest oder wolltest nicht ...



 

Was hat er damals gedacht? Als er all diese traurigen Lieder gehört hat, immer und immer wieder. Verstanden hat er sie nicht. Zumindest nicht so wie ich. Hat er an eine andere gedacht, während er mit meiner Mutter unterwegs war, im Urlaub war? War er wirklich mit dieser Gaby zusammen, die meine Mutter ihm ständig vorhielt? Sehnte er sich nach ihr, während er mit uns durch Ungarn, durch Jugoslawien fuhr? Spürte er die Vergänglichkeit? Wie konnte er sie nicht spüren, bei diesen Liedern?! Spürte er den Sinn dieser Balladen, obwohl  er sie nicht verstand? Spürte er, wie das Leben durch seine Finger rann? Vielleicht mehr sogar als wenn er den so wie ich Text verstanden hätte? Wusste er, dass er sterben würde, dass er irgendwann sterben würde, einfach so umkippen würde, in der gleichen Straße, in der er so viel gearbeitet hatte, in der er so oft gewesen war, zu der er mich manchmal mitgenommen hatte. Zu Schmitz, dem Taxiunternehmer. Mit den zwei  rothaarigen Töchtern. Den Füsschen, wie er immer sagte. Mit denen er mich verkuppeln wollte. Gefallen die dir nicht, die sind eine gute Partie. Spürte er, dass er dort dreißig Jahre später einfach so sang und klanglos umkippen würde, nach seinem Spaziergang mit dem Chihuahua, den ihm seine Tochter dagelassen hatte, als sie nach Amerika gegangen war. Für immer …

 

Ich habe ja gebetet und gebetet, sogar eine Kerze für ihn angezündet, in der Kirche in Meckenheim, aber es ging nicht. Er wollte nicht mehr zurückkommen. Ist nicht mehr zurückgekommen. Von da, wo er hingegangen war, wo auch immer das war. Das was hier lag, war nur noch sein Körper, seine Hülle, seine fleischliche Hülle, die er hinter sich gelassen hatte. Für immer.

Und ich stand da, und dachte was? Dass ich noch immer ein bisschen Schnupfen hatte und eigentlich nicht hier sein sollte. Dass ich ih nicht anfassen, nicht wie meine Mutter am Arm streicheln konnte.

"Pack ihn doch mal an, mach schon", 

...

"Du kannst ihn anfassen ..." 

Aber ich konnte nicht, konnte es nicht, war irgendeine Sperre, irgendeine Blockade, die mich davon abhielt. dieer oder ich selbst Jahre zuvor aufgebaut hatte. Zum Schutz, wie immer. Schutz vor Enttäuschung, Schmerz, Leiden, ungewollten Gefühlen. Was natürlich nur menschlich war, nur ein Teil des Lebens, unserer Existenz auf diesem kalten, harten Planeten. womit wir beide aber nicht umgehen konnten. Wahrscheinlich, weil wir beide es nie gelernt hatten, er nicht von seinem Vater und ich nicht von meinem. Meine Tochter nicht von mir. Und so setzt sich die Reihe fort, in dieser endlosen Abfolge unser endlichen Leben. Einem Zyklus ähnlich dem von Ray Dalio ...


...wird fortgesetzt, auch über den Tod hinaus...