Schon um 10 Uhr ist er
wieder wach. Sie liegt immer noch neben ihm. Es war also kein Traum. Es ist
wahr. Ihr Tattoo ist zwar nicht zu sehen, aber ihr Haar und ihr Hinterkopf.
Fast wie Nadine. Er bewegt sich ganz vorsichtig – er will sie ja nicht aufwecken
– und sucht nach der Fernbedienung. Die muss doch hier irgendwo sein. Er findet
sie in der Ritze zwischen den beiden Matratzen, zieht sie vorsichtig raus und
schaltet den Fernseher ein, stellt ihn aber sofort auf lautlos. 9:53. Scheiße,
Mann. Schon so spät. Scheiße. Er richtet sich leicht auf, stütz seinen
stämmigen, schweren Oberkörper auf seinen Ellbogen auf. Macht den Fernseher
wieder aus, legt sich aber nicht wieder hin. Guckt zu ihr rüber. Sieht, wie sie
ruhig und gleichmäßig atmet. Wie sie den Schlaf der Gerechten schläft. Scheiße.
Was mach ich denn jetzt, wenn María aufwacht? Und auf dem Weg zum Bad hier
durch muss. Dann bin ich gefickt. Wenn die die sieht. Das geht gar nicht. Ich
kann ja so tun, als wäre ich allein im Bett. Vielleicht merkt sie es ja nicht.
Du kannst ihr ja, sobald du die Tür zur Küche hörst, die Decke über den Kopf
werfen und so tun als wär da niemand. Und wenn sie genau in dem Moment
aufwacht. Dann gibt es bestimmt ein Riesentheater. Nicht, dass sie dann denkt,
du wolltest sie ermorden. Man weiß ja nie. Scheiße. Das geht so nie durch. Und
Marías Freundin Nicole ist Frühaufsteherin. Heute vielleicht nicht, denn die
ist ja auch erst um kurz vor eins ins Bett gekommen. Das ist die gar nicht
gewöhnt, wenn die sonst immer pünktlich um zehn Uhr schlafen geht. Aber darauf
kannst du dich nicht verlassen.
Warum machst du eigentlich
so ein Theater? Ihr seid doch getrennt. Ist doch scheißegal, mit wem du
rummachst. Ist doch nicht ihr Problem. Aber trotzdem willst du nicht, dass sie
dich hier mit einer anderen Frau rumliegen sieht. Ne, das geht gar nicht. Du
bist ihrer Mutter ja immer noch treu, auch wenn es nur im Gedanken ist. Dann
kommt ihm ein Gedanke: Vielleicht wär es ja sogar gut, wenn sie dich sehen
würde. Und das dann an ihre Mutter weitertragen würde.
Nein! Das geht gar nicht!
Aber was soll ich denn
machen. Die rausschmeißen? Und wenn sie ihren One-Night-Stand mal wiederholen
will. Dann siehst du sie bestimmt nicht wieder. Ne, das geht auch nicht. Am
Ende entschließt du dich sie sanft zu wecken. Du rüttelst an ihrer Schulter, sagst
leise ihren Namen: „Patricia…“ Das würde jetzt gar nicht gut kommen, wenn sie
plötzlich hochschrecken und schreien würde. So besoffen war sie nun auch wieder
nicht. Sie wusste schon noch, was sie tat. „Patricia…“ Ihr Name klingt fremd in
seinen Ohren. Seit so vielen ist er es gewöhnt, nur einen Frauennamen zu sagen.
„Patricia...“
Aber sie bewegt sich immer
noch nicht. Die hat ja Vertrauen. Oder einen gesegneten Schlaf. Nadine hat
immer mit einem offenen Auge geschlafen, da brauchte man nicht lange rütteln.
Er rüttelt weiter. Was soll
er denn auch anders machen. Ihr den Finger in den Arsch stecken, bis sie
aufwacht. Hey, ist sie etwa noch nackt unter der Decke. Dann könnte er ihr auch
was anderes reinstecken.
Nein, sie muss jetzt gehen.
Egal, wie Scheiße das ist.
Endlich rührt sie sich,
dreht sich verträumt um, so als wüsste sie im ersten Moment nicht, wo sie ist
und guckt ihm ins Gesicht.
Ohne Panik, zum Glück. Kein
Geschrei, kein „Wer bist du denn?“, kein angstvoller Blick.
Nur ein sanftes „Hola“, das
sich so zuckersüß anhört…aber es hilft alles nichts.
„Escúchame…me ha gustado mucho contigo…eh...todo...“ War alles sehr schön…, “…pero tengo un problema…“
Ich hab ein kleines Problem… Genau 1,50 groß!
Sie guckt mich mit ihren großen
braunen, leicht mandelförmigen Augen an.
„¿Sí…?
Wie sag ich das jetzt?
Scheiße.
„Mi hija duerme al lado…“ Meine Tochter schläft nebenan.
„Tienes una hija. No me…“ Du hast eine Tochter? Hast du mir…
„…con
su amiga…y…tiene pasar por aquí para ir al baño…“
Die muss hier durch, wenn die
ins Bad will…
Jetzt bist du tot.
„¿Sí…? Sie ist immer noch ganz verschlafen.
„Y…“
„Ah, ya entiendo…“ Ah, ich verstehe…
…
Tust du?
„Así sería…un poco…“ So wär das…ein bisschen…
„Ya me visto…“ Ich zieh mich schon an…“
„Gracias..no quiero que te….“ Danke! Ich will nicht, dass du….
„No, no pasa nada…“ Ne, ist schon ok.
Es gibt einen Gott. Und der
fährt mir auch noch mit dem Zeigefinger über die Nase, bevor er sich aus dem
Bett erhebt – ebenso flink wie er gestern auf der Tanzfläche gezappelt hat.
Scheiße. Bleib hier, denke ich nur, als ich ihren tatsächlich noch nackten
Körper sehe. Scheiße. Sag nur ein Wort…und ich schmeiße meine Tochter
persönlich samt Freundin raus.
Nein…nur Spaß.
Aber dieser Arsch ist schon
geil. Fast wie Nadines. Nur ein bisschen jünger. Aber die Form stimmt. Ich sag
nur: Beuteschema… Boris Becker... Die Katze lässt das Mausen nicht…
Kannst du dich nicht noch
mal umdrehen. Bitte. ¡Por favor! Oder
dich bücken, so dass ich deinen Busch noch einmal von hinten sehen kann.
Sie setzt sich auf die
Bettkante, bückt sich nach ihrem Höschen und du siehst zwar nicht ihren Busch,
aber doch ihre kleinen Indianertittchen. Klein, aber fein. Einen Moment lang
betrachtest du sorgenfrei ihren braunen Rücken. Sie hat ein großes Muttermal
auf ihrer Wirbelsäule. Nadine hat eins auf dem Oberschenkel. Hören die
Gemeinsamkeiten denn nie auf?
Sie streift sich ihr T-Shirt
über, sagt leise, aber gut gelaunt:
„Así qué me echas…“ Wirfst du mich also raus…
Ich will ja nicht, aber…
Ich will ja auch…
„Disculpa…“ Tschuldigung…
„Pero está con su amiga…“ Ihre
Freundin ist auch hier.
„Ok, ok. Gut, gut.“ Auf Deutsch
hat sie den gleichen Akzent wie Nadine. Scheiße.
Sie steht auf und schlüpft
in ihre Jeans. Ein letzter Blick.
„No quiero que te enojes.“ Ich will nicht, dass du böse bist… Siehst
du, du bist immer noch ein Waschlappen! One-Night-Stand mit Südamerikanerin hin
oder her. Du entschuldigst dich immer noch für alles. Erklärst alles haarklein.
Erklärst alles tot. Sie geht zum Tisch und nimmt sich einen halb zerrissenen
Briefumschlag, der da liegt und schreibt etwas auf.
"Te
dejo mi número…" Ich lass dir meine Nummer da.
Es gibt einen Gott.
Jetzt erhebst auch du dich.
Anders als sie hast du dein
Bayern München T-Shirt und die rote Shorts an. Wie Peinlich! Das T-Shirt nicht,
aber die Blümchen-Shorts schon. Du gehst zur Tür, nicht ohne ihr vorher noch
mal mit der Hand über den Rücken zu streifen. Du spürst ihren Körper unter der
Hand, als du die Tür vorsichtig öffnest. Sie geht auf den Flur hinaus, nicht
besonders bedächtig, und dreht sich noch einmal um. Gibt dir einen Kuss auf den
Mund. Boah, ihre feuchten Lippen. Wie lange habe ich das jetzt nicht mehr
gespürt…Ewigkeiten…
Sie lächelt und hält sich
einen Finger vor den Mund, als du langsam die Haustür öffnest.
„Ciao.“
„Ciao.“
Und schon ist sie weg.
Scheiße. Komm zurück. Du hörst noch das Tor zuschnappen und machst die Haustür
wieder zu. Egal…wenn María jetzt aufsteht wolltest du eben etwas vom
Wäscheständer holen. „Ständer“ ist gut, denn genau den hast du schon wieder.
Und diesmal ist es nicht nur eine Morgenlatte. Langsam gehst du zurück in dein
Zimmer, das Schlafzimmer, guckst dich kurz um, und gehst dann ins Bad. Die Morgenlatte
loswerden. What’s the story, morning
glory?!
Aber als du deinen kleinen
Freund rausholst, merkst du erst, was du getan hast. Scheiße. Du hast die so
gefickt. Ohne Kondom. Du hattest keine – wie solltest du auch so kurz nach der
Trennung – und warst zu geil, um nein zu sagen. Und sie zu besoffen. Oder
andersrum. Du zu besoffen und sie zu geil. Keine Ahnung. Er riecht auch
komisch. Du hältst dir deinen Zeigefinger unter die Nase, riechst daran. Scheiße.
Der riecht definitiv nach…
…Muschi.
Fremder Muschi.
Scheiße.
Du hast die echt so gefickt.
Was hättest du den tun
sollen? Kalt duschen? Zeig mir einen Mann, der so kurz vor der Himmelspforte
nein sagt. Oder vor dem Tor zur Hölle. Das soll ja auch eine gewisse Attraktion
ausüben…
Scheiße…
Wenigstens bist du nicht…
…bist du doch.
Scheiße. Nicht, dass die…
…schwanger wird.
Näh, Quatsch. (Hast du bei
Nadine auch gedacht…und dann war María da, 9 Monate später).
Die weiß, wo du wohnst. Die
findet dich. Nein, nicht noch mehr Ärger. Und wenn die jetzt was hatte? Und was
kannst du dann jetzt noch machen? Nichts. Was geschehen ist, ist geschehen.
Scheiße. Ich bin zu jung, um Aids zu haben. Haha, mit fast 39 wird es bald aber
Zeit. Wie alt war Freddie Mercury, als er gestorben ist. 45. Und als er sich
angesteckt hat. 39.
Aber der war schwul.
Und Magic Johnson?!
Der lebt noch!
Aber der ist reich, nicht
wie du, ein armer Schlucker. Ein armer Wichser. Jetzt nicht mehr
Du deine mittlerweile ganz
kleine Latte vorsichtig wieder ein, so als könnte sie dir jetzt schon abfallen
– das wird sie erst wenn das Aids-Virus richtig ausgebrochen ist! Der Geruch
liegt dir immer noch in der Nase. Dieser leicht fischige, leicht dreckige
Vagina-Geruch. Riechen eigentlich alle Frauen gleich. Das erinnert dich daran,
wie sich Nadine früher immer den Finger in den Arsch gesteckt hat und ihn dir
dann unter die Nase gehalten. Das war dann doch ein bisschen zu viel des Guten.
Du dachtest du würdest diesen Geruch nie mehr riechen. Und jetzt…
…hast du mit der ohne Gummi
gebumst.
…ohne ihn rauszuziehen.
Das neue Jahr fängt ja gut
an.
Hey, sei doch froh, dass du
überhaupt noch eine abbekommen hast Sah ja nicht danach aus. Und dann auch noch
so einen Tiger. Una pantera. Mit
Tattoo. Die dir die Eier abschneidet, wenn du sie geschwängert hast. Ach ne,
das macht dann ihre Familie. Nicht schon wieder.
Aber glücklich bist du
trotzdem, du Arschloch. Wiegst deine Eier in deinen Händen. Deine entleerten
Eier, deine leergeschossenen Eier. Geil.
Legst dich wieder hin,
schiebst dir die Decke zwischen die Beine, so wie du das immer machst. Kaum
liegst du fünf Minuten – du kannst immer noch nicht einschlafen – da hörst du
schon die Schiebetür zur Küche. Du schließt die Augen, atmest so langsam wie
möglich und drehst deinen Kopf in Richtung Fenster. Siehst noch nicht mal, wer
da kommt. Ob es deine Tochter oder ihre Freundin Nicole ist. Bestimmt ist es
María und nicht Nicole. Sie öffnet die Tür, geht ins Bad und schließt die Tür
dann wieder. Keine zwei Minuten später hörst du Stimmen und noch jemand kommt.
Diesmal ist es ganz sicher Nicole.
Scheiße