Dienstag, 16. Mai 2017

Traumdeutung: Kreuzweg











In der ersten Szene des Traumes sind wir im Schlafzimmer. Ich weiß nicht, ob es unser Schlafzimmer ist, aber wir sind da. Auf jeden Fall. Im Schlafzimmer, mit María, die kleiner ist als jetzt (okay, das ist ja kein Wunder, jetzt ist sie ja schließlich schon erwachsen, wie sollte sie denn da nicht kleiner sein). Ich schreie Nadine an, María sagt nichts, wie immer. Ich schreie


Sie will gehen, zu diesem Haus, ich glaube in Ippendorf, am Ende der Ippendorfer Allee. Dort, wo es zum Kreuzberg geht, und runter in die Stadt. Am Scheideweg sozusagen, zwischen dem Leiden Christi und der seelenlosen, viel zu kleinen, deutschen Großstadt. Ich weiß nicht, warum sie da hin will, wir hatten eigentlich früher nie etwas mit Ippendorf zu tun, ich weiß nur noch, dass wir einmal den Berg hoch gelaufen sind. Zusammen. Wie immer. Immer am Laufen. Am Davonlaufen? Vor uns, vor unserer Vergangenheit, die mich uns sie hier einholte, in der Bundesstadt, die wir beide nicht verlassen konnten, nie verlassen konnten, die wir beide hassen und hassten. Sie tritt in den Eingang dieses Hauses. Mit María, die wieder klein ist, sogar glaub ich noch im Kinderwagen sitzt. Und ich reiße sie jäh rum, versuche es zumindest, ziehe fast an ihrer dicken, weichen Winterjacke, sage:

Tú eres una hija de mierda. Una mujer de mierda. Dejándonos. Una mujer de mierda. UNA MUJER DE MIERDA, DE MIERDA, ESCUACHAS, DE MIERDA…

fast ohnmächtig schreie ich es ihr hinterher, immer wieder, im Traum, aber sie lässt sich nicht aufhalten, verlässt mich dann doch, im Traum, geht in dieses Haus, dieses vermeintlich normale, ältere Einfamilienhaus in der Ippendorfer Allee.


Zum Glück ist es nur ein Traum, denke ich, als ich aufwache. Ein Alptraum zwar, aber im Endeffekt nur ein Traum. Doch dann denke ich: Du musst sie endlich raus lassen, diese Wut, vielleicht hilft sie dir ja weiter. Diese falsche „Nettigkeit“ tut dies auf keinen Fall, steht dir nur im Weg. Immer, wenn deine Tochter sagt: „Der ist nett.“ Oder: „Die ist nett“, dann zweifelst du das direkt an. Das hat schon seinen Grund. Lass ihn raus, den bösen Larson, der irgendwo in dir begraben ist, aber nicht tot, noch lange nicht tot. Lebendig begraben sozusagen, im Sarg deines Körpers, deiner Psyche. Der Teufel, der Böse, ohne den du hier nicht überleben wirst, in diesem Höllenloch…


Und ich frage mich noch was: Wurde es ihr zu heiß und hat sie mich deshalb verlassen? Weil ich die Maske erkannt habe? Hinter der sich was verbirgt? Nichts? Ihr wahres Ich? Dein wahres Ich? Dein böses Ich?


Andererseits:  Wie weit bist du denn mit deiner vordergründig „netten“, zuvorkommenden Art gekommen im Leben. Hierhin

Genau: Das meine ich ja

Aber wie ist man böse?

Komm schon, du kannst das auch, wenn du willst. Lass ihn raus, den Deutschen, zeig ihnen, dass du es kannst…

nicht umsonst habt ihr zwei Weltkriege verloren. Nur mit Nettigkeit und „Mr. Nice Guy“ geht das nicht

vielleicht liest du Zafón ja nicht umsonst im Moment             das erste spanische Buch seit langem     vielleicht will dir Gott ja was damit sagen: mit dem armen, guten Schreiberling, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht, der sich am Ende als Hirngespinst herausstellen könnte und der in Wirklichkeit nur die andere, vom ihm abgespaltene, böse Seite seiner Persönlichkeit sein könnte

vielleicht hat das alles einen Sinn, eine Bedeutung; und selbst wenn nicht: dann schadet ein bisschen böse bestimmt nicht

Nächster Traum: Rückkehr (im Traum)
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