Dienstag, 25. Oktober 2016

Tatort










Montag. Deine Tochter ist wieder da.

Lange nicht gesehen, sagst du. Direkt nachdem du „Und, alles klar?!“ gesagt hast. Eine Frage, auf die es natürlich keine ehrliche Antwort gibt.

Sie tippt ein bisschen auf dem Handy rum, spricht in es hinein, als wär es eine lebendige Person, hört sich ein paar Voice-Messages an, geht in ihr Zimmer, kommt wieder, guckt GZSZ, dann Wer wird Millionär, dann Hart aber fair und sagt dann „Ich bin müde“, putzt sich die Zähne und geht ins Bett. Oder nur in ihr Zimmer?

Du hast auch keinen Bock mehr, bist auch müde und schläfst irgendwann um kurz vor zehn ein. Dieses Leben, es ist dieses Leben






und dann wachst du wieder auf. Im Fernsehen läuft das Nachtmagazin. Endet gerade. Dann kommt der Tatort. Der München-Tatort. Geil. Würdest du normalerweise sagen, aber diesmal ist der wirklich geil. Mit diesen zwei alten Knackern, noch nicht mal mehr mit grauen, sondern schon mit schneeweißen Haaren. Wo du normalerweise gar nicht mehr denken würdest, dass das Polizisten sind, so alt, wie die aussehen (übrigens durchaus auch im übertragenen Sinn). Der eine kann noch nicht mal mehr schlafen, was ihn dir direkt sympathisch macht. Denn du kannst ja irgendwie auch nicht schlafen, sonst wärst du ja nicht hier, würdest nicht um halb eins den Tatort gucken, wie einer dieser Psychopathen, die die suchen. Die Shorts und Unterhose ausgezogen (die hat dich irgendwie eingeengt, deine dicken Eier, haha), von der Hüfte abwärts nackisch. Aber der Tatort, der hat was. Echt! Manchmal ham die was. Wie dieser Scharfschütze damals, aus der Schweiz, der Typen erschossen hat, weil seine Freundin/Frau vergewaltigt worden war. Dieser bärtige, urwüchsige, urige… 

Im aktuellen Fall wird ein junger, mittelaltriger Vater vor den Augen seiner japanischen Frau und seines Sohnes in München niedergestochen, als er versucht, einem Typen, der auf der Straße liegt zu helfen. Das hat man von Hilfsbereitschaft und Gutmenschentun. Deutschland, nimm dir ein Beispiel an diesem Tatort! Dafür wird man nur hinterrücks erstochen. Du hast es da eher mit dem „Last Don“, dessen Motto ist: „Let them all swim at the bottom of the ocean!“ Auf jeden Fall fangen die an, den Mörder zu suchen. Verdächtigen erst einen Obdachlosen, dann einen leicht oder schwer durchgeknallten Türken, der  sein Jura-Studium abgebrochen hat, sich aber trotzdem für oberschlau hält. Während die Frau des Opfers, die Japanerin, weiter leidet (eigentlich unrealistisch…ja, ich hör ja schon auf, ich halt ja schon die Klappe!!!). München nicht verlassen kann, bis der Täter gefunden ist. Was sich nicht so leicht gestaltet, da auch der durchgeknallte, türkische Ex-Jura-Student ermordet wird und am Ende sogar die Frau in ihrem Haus von einem Trittbrettfahrer (einem Trittbrettpsychopathen sozusagen) überfallen, mit der Original-Tatwaffe, die der Psycho an dem Tag des Mordes an ihrem Mann gefunden hat, als er den Täter beobachtet hat, wie er sie wegwarf. Aber auch der Psycho, der sich selbst ewigen Frieden verschafft, in dem er aus dem Fenster seines Hochhauses springt ist nicht der Täter, obwohl einer der Ermittler die Frau des Opfers, die die Messerattacke überlebt hat, belügt, damit wenigstens sie nach Japan zurückgehen und ihren Frieden finden kann.

Und dann ist der Fall zu Ende. Und du denkst: Scheiße. Dürfen die das? Einen Fall einfach ungeklärt enden lassen. Dann können die ganzen Omis und alten Knacker, die das gucken, doch bestimmt die ganze Nacht nicht schlafen…das geht doch gar nicht. Oder doch? Siehst du doch, dass es geht.

Du guckst dir das an, bei Twitter, twitterst ein bisschen und siehst, dass das sogar ein wahrer Fall ist. Deswegen ist er also ungelöst. Geil! Weil die Polizei in echt auch keinen Mörder gefunden hat. Krass!

Und dann hast du einen Flash. Diesen Flash, den du öfter hattest in letzter Zeit. Diesen Paranoia-Flash. Du denkst an Nuri von der Arbeit. Keinen Ahnung, wo das jetzt herkommt. Du denkst daran, dass da irgendwas nicht stimmen kann. Und genau in diesem Moment sagt eine Frauenstimme im Fernsehen: „Wenn du das Gefühl hast, dass etwas nicht stimmt, dann musst du dem auf den Grund gehen…“ Oder sagt die das vorher und du wirst deswegen leicht para? Keine Ahnung. Auf jeden Fall bist du jetzt leicht para und schiebst den Film, den du seit der Trennung immer wieder geschoben hast. Das mit Nuri und deiner Frau und Rudi und allem und jedem. Deinem Chef. Sie war da, hat den Schlüssel für dich zurückgebracht. Wenn der da…warum hört der Spanisch, südamerikanisches Spanisch, gesprochen von südamerikanischen Frauen auf seinem Handy?? Wenn der das doch nicht versteht?? Ich hör doch auch keine japanischen minutenlang, ohne die zu verstehen. Der hat doch eh Dreck am Stecken, der Typ. Mit seinen fünf Fünfhunderten, die er vor deinen Augen rausholt. Fünfhunderter in Umschlägen. Verdächtig. Aber jetzt echt: Du hast da ganz stark dieses Gefühl, dass da was nicht stimmt. Mit dem, mit deiner Frau, mit deiner Trennung, mit allem. Bist du jetzt para oder ist da was dran? Oder beides? Wie kann das denn sein?! Du hast da so deinen Verdacht. Er hat einen Verdacht. Das ist schon komisch, da gibt es schon so einige Verdachtsmomente. Auch dieser Araber, den du damals rausgeschmissen hast. Dreimal hintereinander. Der will dir nicht aus dem Kopf. Wo du alleine in Barcelona warst und deine Frau mit deiner Tochter nach einer Woche nachgekommen ist. Eine Woche noch alleine in Bonn war. Der dir gedroht hat, dich gefragt hat: Hast du Familie? Dessen Freund ist wieder aufgetaucht auf deiner Arbeit, hat jedes Mal, als du kamst, um nach dem Rechten zu sehen, irgendwie komisch gelacht, mit diesem Schmierer, der neben ihm saß. Der ihn geküsst hat, zur Begrüßung. Wie schwul ist das denn?! Der auch damals den Typen verteidigt hat, den du dreimal rausgeschmissen hast. Das ist schon irgendwie komisch alles.

Aber bestimmt bist du nur para…

Wie immer…

Du guckst aus dem Fenster nach draußen, als könntest du da was sehen. Aber es ist nur dunkel, draußen. Stockdunkel.